Kapitel 18

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Lucinda

Das Wasser wabberte mir frisch um die Taille. Aufgrund der fast windstillen Nacht tanzten fast gar keine Wellen über die Oberfläche. Nur eine sanfte Brise streichelte meinen nackten Oberkörper. Es fühlte sich gut an und ich brachte es einfach nicht übers Herz, mich in die kühlen Fluten sinken zu lassen. Viel zu sehr brauchte ich die streichelnden Finger der Luft, um meinen Kopf zu klären.

Denn das heillose Durcheinander dort war wirklich zum Heulen - ein Wunder, das eben dies noch nicht tat. Schon allein der Alkohol machte es fast unmöglich, einen der Gedankenfetzen zu erhaschen, die in meinem Kopf umherwirbelten. Ich hätte nicht so viel bechern sollen; die letzten Drinks waren definitiv nicht die beste Idee gewesen und morgen würde ich mein Handeln bereuen. Und das so sehr, dass ich besser jetzt schon damit anfing.

Dabei war der Abend so schön gewesen. Mit Shira hatte ich den Spaß meines Lebens, wir hatten bis zum Umfallen gelacht und getanzt, dass meine Füße wehtaten. Wieso hatte ich heute auch die etwas höheren Schuhe angezogen? Ich trug doch sonst nie welche. Jetzt wusste ich auch, weshalb. Vermutlich war ich einfach nicht der Typ Mensch für Absatzschuhe. Flache Schuhe waren mir dann doch besser gesonnen. Außerdem blieben mir das Stechen in den Fesseln und den Ballen erspart.

Genau wie abartige Flirtereien von anderen, schmierigen Typen.

Denn solange Shira bei mir gewesen war, hatte sich keiner an uns herangetraut. Vielleicht lag das an Ash, der zwar in einiger Entfernung auch mit Jean und Gael seinen Spaß hatte, aber immer ein Auge auf seine Freundin warf. Tatsächlich hatte er sich viermal mit einen Typen angelegt, der uns beiden an die Wäsche wollte. Und es hatte ein stechend finsterer Blick aus seinen silbernen Augen genügt, um den Kerl einknicken zu lassen.

Doch irgendwann hatte Ash mit seiner Freundin tanzen wollen. Alleine. Und das konnte ich voll und ganz verstehen. Zumal beide durch den Alkohol aufgeheizt waren. Daher hatte ich auch nichts dagegen gehabt, als Ash fragte, ob er mir meine Freundin entführen dürfte. Wieso auch? Man konnte doch auch alleine tanzen.

Hatte ich gedacht. Bis dann dieser schleimige Lackaffe angekrochen gekommen war. Zwar war er nicht viel größer als ich gewesen, doch das hinderte ihn nicht daran, weniger besitzergreifend bei einem fremden Mädchen zu sein. So gut ich konnte, hatte ich versucht, seinen widerlichen Finger auszuweichen, welche ganz deutlich an meine weiblichen Vorzüge gleiten wollten. Es hatte mich regelrecht angeekelt, wie dermaßen lasziv er versucht hatte, seine Gelüste zu befriedigen.

Und weiß Gott, was passiert wäre, hätte Logan nicht eingegriffen. Es war eine furchtbare Erleichterung gewesen, als mein bester Freund bei mir gewesen war und ich mir sicher sein konnte, nicht von anderen Widerlingen begrabscht zu werden. Ohne jetzt sagen zu wollen, dass alle Jungs, die Mädels antanzten, widerlich waren. Es gab eben nur solche Spezialisten, die genau dem Ruf gerecht wurden, und in ihrer besoffen Geilheit alles, was bei Drei nicht auf dem Baum saß, am liebsten sofort auf der Tanzfläche flachgelegt hätten.

Als Logan da war, hatte ich mich wieder genauso sicher gefühlt, wie es es bei Shira unter Ashs Argusaugen getan hatte; wenn nicht sogar nicht sicherer. Und vielleicht war es der Alkohol, vielleicht meine allgemein emotionale Verwirrung bezüglich sämtlicher Gefühle, die ich für manche Jungs hatte. Vielleicht war es auch einen Mischung aus beidem. Anfangs hatte das letzte, verkümmerte Bisschen Vernunft mich noch von dieser Dummheit abhalten wollen, doch der Versuch war von Misserfolg gekrönt gewesen. Denn kaum hatten Logans Lippen die meinen berührt, waren sämtliche Mauern der Gegenwehr gefallen. Im dem Moment hatte ich einfach fühlen wollen. Ihn fühlen. Mich hingeben. Ihn schmecken und seinem warmen Körper an meinem spüren.

Und tief drin war ich auf der Suche nach Gewissheit gewesen. Ich wollte einfach der Möglichkeit, dass ich den Jungen, welcher wie ein Bruder für ich gewesen war, lieben konnte, eine Chance geben. Wie oft hatte ich in den letzten Tagen genau das in Frage gestellt? Nicht selten hatte mich das Verlangen überkommen, seine Lippen zu kosten; einfach nur, um zu probieren, ob die ebenso wie Álvaros nach zerreißendem Verlangen und leidenschaftlicher Liebe schmeckten.

Seelenschreiberin (Doppelband)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt