vierter akt.

84 6 0
                                    

Henderys Stuhl am Ende der zwölf Meter langen Tafel ist aus purem Gold mit Polstern aus rotem Samt. Er hat seinen langen, roten Mantel abgelegt und trägt nun die fliederfarbene Uniform, die er sonst nur zu besonderen Anlässen trägt.

Du sitzt zwölf Meter von ihm entfernt und trotzdem nah genug, sein Herz zu wärmen. Und seine Augen. Der Yukata ist verschwunden, du trägst ein europäisches Kleid aus rotem Samt, mit einer Schleppe, die vier Meter hinter dir über den Boden fegt. Deine Haare sind zu einem kunstvollen Zopf geflochten und deine Lippen rot, wie die Kirschen auf seiner hektargroßen Plantage im späten Sommer. Rot, wie die Diamanten seiner Krone.

„Ich habe noch nie so viele exotische Speisen auf einmal gesehen", sagst du und deine Augen sind vor Bewunderung weit aufgerissen. „Es ist ein wahres Festmahl."

Hendery gluckst zufrieden. „Ich verfüge über Köche aus aller Welt. Bedient Euch, so viel Ihr möchtet."

Ein Fingerzeig Henderys genügt und ein kleines Streichquartett beginnt leise zu spielen. Die Melodie ist süß, aber nichts ist süßer als das Lächeln, was ihm zwölf Meter gegenüber sitzt und trotzdem Spuren in sein Herz brennt. Honigsüße Spuren.

Honigsüßer Schmerz.

°•○●

Trotz Hendery Hilfe bist du gestern nicht fertig geworden. Weswegen er heute noch einmal vor der Tür steht.

„Komm schon um zehn, weil – um zwei hole ich meinen Bruder von seiner Klassenreise ab", hast du ihm gestern noch gesagt und trotzdem ist erst um kurz vor elf da.

„Wir hatten doch zehn gesagt", begrüßt du Hendery. Genervt von ihm – warum kommt er immer so spät? – und genervt von dir – warum kümmert es dich überhaupt? –.

„Hast du mich vermisst?", fragt er und umarmt dich wieder viel zu kurz.

„Ja", gibst du augenrollend zu, weil er es sowieso nicht glauben würde, und schiebst dich an ihm vorbei ins Wohnzimmer.

Hendery folgt dir leise lachend. Als sein Blick auf die Kaffeetasse fällt – die, die du schon für ihn bereit gestellt hast – wird sein Herz ganz leicht. Aber beim ersten Schluck verzieht er schon das Gesicht. „Eiskaffee? Ohne Vanilleeis?" Es soll ein Scherz sein, aber du lachst nicht.

„Tja." Zuckst nur mit den Schultern. „Um zehn war er noch warm." Es soll lässig wirken, so als würde es dir nichts ausmachen, aber Hendery sieht die Verletztheit hinter der Geste. Es tut ihm weh. Warum schafft er es auch nie, pünktlich zu sein? Warum entgleitet ihm die Zeit so schnell – und allen anderen nicht? Und dir nicht.

„Tut mir leid." Er sieht so ehrlich geknickt aus, dass du dich selbst geknickt fühlst.

„Ist okay." Du nimmst ihm die Tasse aus der Hand, berührst seine warmen Hände mit Absicht – braune Augen intensiv auf dir – und verschwindest in der Küche. „Ich brauche ja deine Hilfe. Weil ich den Quatsch für dieses Referat nicht kann."

Als du kurze Zeit später wieder vor Hendery stehst und ihm die aufgewärmte Tasse Kaffee reichst, kann er nicht anders. Er muss einfach grinsen, breit und glücklich. Du drehst dich weg, damit er nicht sieht wie sehr dich sein Grinsen aus dem Konzept bringt.

„Also." Hendery räuspert sich. „Womit kann ich helfen?"

Dir fallen viele Dinge ein. Auf einmal. Du räusperst dich auch. „Ich hab vereinzelte Sätze in der Mitte und den Schluss."

„Du schreibst das Fazit vor der Einleitung?"

„Tja." Du streichst dir nervös eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich weiß zwar wie das hier ausgehen soll, habe aber keine Ahnung wie es anfangen könnte." Dann siehst du ihn an. Lange.

Vielleicht war das zu viel. Vielleicht war das mit Absicht – unterbewusst.

Hendery erwidert den Blick. Sein Herz rast, seine Gedanken auch. Trotzdem nippt er seelenruhig an seinem Kaffee, schlürft einen Schluck, stellt dann die Tasse bedächtig neben den Untersetzer. Du öffnest den Mund, um ihn darauf hinzuweisen, aber da steht er schon wieder hinter dir an den Stuhl gelehnt. Es ist derselbe Move wie letztes Mal. Du kannst nicht glauben, dass du es verdammt nochmal wieder zulässt.

„Lass mich erst mal drüber lesen", sagt Hendery und beugt sich weiter nach vorne. Weiter nach unten. Weiter zu dir. Deine Haut beginnt zu prickeln.

„Die – die ersten Sätze sind halt noch in Arbeit." Deine Stimme macht Gott sei Dank mit. Hendery hat dich vollkommen in der Hand, aber das muss er nicht wissen. Darf er nicht wissen.

„Okay, fahr mal runter."

Du verschluckst dich fast an deiner eigenen Spucke. Glücklicherweise reagiert deine Hand auch ohne dein Hirn, langsam scrollst du mit der alten Computermaus weiter runter. Und weiter runter. Bis sich Henderys warme Hand auf deine legt um dich zu stoppen.

„Das reicht", murmelt er an deinem Ohr, beugt sich noch ein wenig weiter nach vorne. Hendery liest die Worte, aber er versteht sie nicht. Er weiß nicht, was auf der ersten Seite steht, er will es nicht wissen, nicht jetzt.

Seine Wange berührt deine Wange. Warme Haut brennt auf deiner. Sie fühlt sich weicher an, als gedacht, schöner. Seine Haare kitzeln an deiner Stirn. Du spürst, wie sich sein Brustkorb unter dem Kapuzenpulli regelmäßig senkt und hebt – zu regelmäßig. Wenn du bedenkst, wie flach dein eigener Atem geht, wie rasend dein eigenes Herz ist. Es macht dich wieder wütend.

Entschieden weichst du ein bisschen zu Seite, neigst dich in die entgegengesetzte Richtung. Um ihm klar zu machen, dass er Abstand halten muss, weil du sonst explodieren wirst, vielleicht nicht genau in diesem Wortlaut. Aber Hendery versteht deine Geste nicht, er will nicht. Stattdessen dreht er den Kopf. Drückt seine Lippen gegen deine Wange, erst sacht, dann mit Nachdruck. Lässt sie dort liegen. Bewegt sie, atmet dich ein, kostet deine süße Haut.

Hendery atmet deinen Geruch ein und weiß mit einem Mal, dass er nie wieder etwas finden wird, was herrlicher riecht.


___________________

his heroine. wkhWo Geschichten leben. Entdecke jetzt