Ich habe verloren ... schon wieder. Man sollte meinen, ich hätte mich langsam daran gewöhnt ... aber das habe ich nicht. Noch immer löst sein nach Tod stinkender Atem Würgereize bei mir aus, noch immer verursacht seine keifende Stimme stechende Kopfschmerzen. Noch immer hinterlassen seine Krallen Narben und noch immer erweckt seine blosse Anwesenheit in mir den dringenden Wunsch, mich unter meinem Bett zu verkriechen und für immer dort zu bleiben. Ekelhaftes Federvieh! Ich hätte gegen ihn ankämpfen, mich gegen ihn wehren sollen, ich weiss es ... Ich hätte ihm die Augen auskratzen, die Rippen brechen oder den Hals umdrehen sollen. Er hätte es verdient ... Er, dessen blosse Anwesenheit Leben zu zerstören vermag. Er, der meines bereits dem Erdboden gleich gemacht hat. Aber ich habe schon verloren. Kämpfen bringt nichts mehr, Widerstand ist zwecklos ...
Ich habe verloren ... schon wieder. Man sollte meinen, ich hätte mich langsam daran gewöhnt ... aber das habe ich nicht. Du nutzloser Mistkerl! Ich nutzloser Mistkerl. Ich sollte schon längst aufgestanden sein, ich weiss es. Ich sollte schon längst angezogen sein, ich spür es. Ich sollte schon längst im Büro sitzen, es ist mir bewusst. Und trotzdem bin ich immer noch hier. Ein Häufchen Enttäuschung mit einem Kern aus Leere. Ich bin selbst schuld. Ich muss selbst schuld sein. Wenn ich heute Morgen aufgestanden wäre, hätte ich mich schon längst angezogen. Hätte ich mich angezogen, sässe ich schon längst im Büro. Ich wäre ein ganz normaler Mensch mit ganz normalen Pflichten. Ein Angestellter und Chef wie alle anderen auch. Aber stattdessen liege ich hier. Ich liege hier und warte darauf, dass er endlich zu seinem letzten Angriff ansetzt, auf dass ich endlich frei sein kann. Kämpfen bringt nichts mehr, Widerstand ist zwecklos ...
Ich habe verloren ... schon wieder. Man sollte meinen, ich hätte mich langsam daran gewöhnt ... aber das habe ich nicht. Ist im Endeffekt ja auch egal. Ich mein, ich bin ja doch nicht wichtig genug, als dass es irgendwen kümmern sollte, wenn er sich nach all der Zeit doch noch dazu entscheidet, sich mein Leben vollständig einzuverleiben. Es wäre wahrscheinlich sogar besser. Ein Problem weniger auf dieser Erde. Einer weniger, der die gute Laune versaut. Einer weniger, der auf Kosten des Staates lebt. Einer weniger, der am Leben erhalten werden muss, obwohl alle wissen, dass er nur allzu bald abkratzen wird. Kämpfen bringt nichts mehr, Widerstand ist zwecklos ...
Ich habe verloren ... schon wieder. Man sollte meinen, ich hätte mich langsam daran gewöhnt ... aber das habe ich nicht. Wie denn auch? Ein Hase gewöhnt sich ja auch nie an den Gedanken, dass er womöglich eines Tages vom Jäger erschossen wird ... Ich hätte schwören können, dass er gerade gelächelt hat. Ein Zucken seiner Mundwinkel nur, ein Heben seines Schnabels, aber es hat gereicht, um mir das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Sein Opfer hat verstanden. Kämpfen bringt nichts mehr, Widerstand ist zwecklos ...
Ich habe verloren ... schon wieder. Man sollte meinen, ich hätte mich langsam daran gewöhnt ... aber das habe ich nicht. Werde ich wahrscheinlich auch nie. Er kommt näher, ich spüre es. Was auch immer ihn bis anhin aufgehalten hat, es ist verschwunden, zerbrochen, hat sich aufgelöst. Kämpfen bringt nichts mehr, Widerstand ist zwecklos ...
Ich habe verloren ... schon wieder. Man sollte meinen, ich hätte mich langsam daran gewöhnt ... aber das habe ich nicht. Kämpfen bringt nichts mehr, Widerstand ist zwecklos ...
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Hasenjagd
Short StoryPsychische Störungen sind für viele nur schwer nachvollziehbar Denn anders als bei einer grossen Wunde oder einem gebrochenen Bein, sind die Leiden, welche eine solche Krankheit mit sich bringt, optisch nicht erkennbar. Im Folgenden findet sich ein...