„Doch es ist, wie es ist. Die Zeit rennt nie zurück." Ein kurzer Blick auf eine Postkarte auf dem Weg von der Stadt nach Hause. Zwei Sätze. Ein Spruch. Diese elf Worte haben mich so aus der Bahn geworfen, dass ich fast ein kleines Kind mit seinem Vater über den Haufen gerannt hätte.
Wie oft habe ich mich auf etwas gefreut, was sich als Enttäuschung herausgestellt hat? Wie oft musste ich etwas erledigen und war komplett überfordert damit, wie schnell ich keine Zeit mehr hatte? Wie oft ging etwas schönes viel zu schnell vorbei? Wie oft habe ich Fehler gemacht, zurückgeschaut und gehofft, ich könnte alles verändern? Wie viel ist passiert, was ich nicht richtig wahrgenommen habe?
Ich schaue zurück auf so viele Sachen, und wünsche mir, es nochmal zu erleben. Ich hänge in der Vergangenheit, wünsche mir, manche Sachen würden sich nie verändern. In der Grundschule wollte ich zurück in den Kindergarten. Ich habe mir gewünscht, wieder mit meinen Freunden aus dem Kindergarten zusammen zu sein, keinen Unterricht haben zu müssen, keine Hausaufgaben. In der zweiten Klasse habe ich die Aufgabenbücher vermisst, in die man reinschreiben konnte, bei denen man die Aufgaben nicht abschreiben musste. Und in der ganzen Zeit habe ich nicht gemerkt, wie gut ich es in der Grundschule hatte. Jetzt vermisse ich meine Freunde aus der Grundschule und wie einfach alles war. Schwarz oder Weiß. Keine grauen Bereiche. Gut oder Böse. Glücklich oder Traurig. Fröhlich oder wütend.
Ich bin so in Gedanken versunken, dass ich fast an meinem Haus vorbeilaufe. Das ist mir noch nie passiert. Den Schlüssel vergessen, über die unterste Stufe stolpern. Aber am Haus vorbeilaufen? Heute ist komisch „Hey Mama, ich bin zu Hause!" „Hast du alles gekriegt?" „Ja, ich war mir nur nicht mehr sicher, wie viel Milch wir brauchen, darum kann es sein, dass ich zu wenig mitgebracht habe" Genau das meine ich. Als Kind hat meine Mutter mich nie gefragt, ob ich noch schnell was aus der Stadt mitbringen kann. Sie würde auch nie auf die Idee kommen, meine kleine Schwester darum zu bitten, etwas mitzubringen. Noch etwas, was mir nie wirklich aufgefallen ist. Eine kleine Veränderung, die einem erst auffällt, wenn man darauf achtet. Genauso, wie der Berg an Hausaufgaben, der letztes Jahr irgendwie kleiner und einfacher war. Wie gerne ich die jetzt einfach später machen würde. Das Problem ist, ich weiß, dass ich mich am Ende nur wieder darüber aufregen werde, dass ich sie nicht früher gemacht habe.
„It doesn't matter, what you do. At the end of the day, life is too short"
Noch nie, noch nie vorher bin ich so oft hintereinander auf so viele Sprüche oder Filmzitate gestoßen, die sich mit Zeit beschäftigen. Ich weiß nicht, ob das Zufall ist, ich weiß nicht, ob das ganze irgendeinen tieferen Sinn hat, aber ich weiß, dass mich das irgendwie beschäftigt. Ich habe nie richtig auf die Zeit geachtet, abgesehen von dem täglichen „wie spät ist es?", „wann muss ich los?" oder „bin ich zu spät?". Mir ist nie zuvor so deutlich aufgefallen, wie unaufhaltsam die Zeit eigentlich ist. Wie unumkehrbar, wie endgültig. Man kann davon träumen, in Erinnerungen schwelgen, aber am Ende bleibt das Geschehene geschehen, die Gegenwart und die Zukunft das Einzige, was zu verändern möglich ist. Die Zeit hat kein Interesse an ihrem Inhalt. Sie hat keinen erkennbaren Ursprung und kein erkennbares Ziel. Sie läuft einfach immer weiter. Vorwärts.
Ich schaue auf die Uhr.
Tick.
Tack..
Tick...
Tack....
Tick.....
Tack......
Tick. ......
Tack........
Stopp. Das macht mich noch ganz verrückt. „Lisa" noch völlig in Gedanken schaue ich auf meine kleine Schester. Tara, die sich für alles begeistern kann, vor allem dafür länger wach zu bleiben, als sie eigentlich dürfte. „Schauen wir noch eine Folge?" Ich schaue wieder auf die Uhr. „Aber nur noch eine. Ausnahmsweise." Sie schaut mich an. Verwirrt, weil sie nicht erwartet hätte, um diese Uhrzeit mit mir noch eine Folge zu schauen. Ausnahmsweise. Warum? Weil ich mich ablenken will, weil ich nicht daran denken will, dass jede Sekunde, die verstreicht nie wieder kommen wird. Oder daran, dass was in genau diesem Moment passiert nie wieder rückgängig gemacht werden kann. Daran, dass was sie jetzt entscheidet, über ihre gesamte Zukunft entscheidet. Wenn man immer nur daran denkt, alles was man tut vor diesem Hintergrund geschieht, dann...
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Zeit ist der Schlüssel
Short Story„Doch es ist, wie es ist. Die Zeit rennt nie zurück" Zwei Sätze. Elf Wörter. Tausend Gedanken. Manche Dinge sind einfach da, ohne dass man sie richtig wahrnimmt und erst wenn man darauf achtet, wird einem bewusst, wie prägend sie eigentlich für uns...