Die rosarote fucking Brille

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Acht Jahre. Es dauerte acht Jahre, eine Flasche Wein und eine Schublade voller Rechnungen, die besser hättet verschlossen werden sollen, bis mir klar wurde, dass ich mein Leben so nicht weiter führen wollte. Acht Jahre in denen ich immer Mal wieder an einem Punkt war, an dem ich alles hinschmeißen wollte, es aber nie durchgezogen habe, auf Grund von mangelndem Rückgrats und vor allem mangelndem Mut. Ich lebte nun seit knapp einem Jahr mit Josh zusammen in meiner Wohnung und es fühlte sich von Tag zu Tag immer mehr so an, als würde er alles beanspruchen, was ich mir in den letzten Jahren mühsam erarbeitet hatte. Wenn man mit Anfang zwanzig schon so lange in einer Beziehung steckte, musste man kein Mathematiker sein, um zu schnallen, dass Josh meine erste (mehr oder weniger) große Liebe war. Es fing alles so schön an, fast so, wie man es aus diversen Netflix Filmen kannte. Wir lebten in der selben kleinen Stadt, hatten den gleichen Freundeskreis und auf einmal war mein vierzehnjähriges Ich hin und weg. Mit ihm hatte ich mein erstes Date, den ersten Kuss, das erste Mal. Wir waren bei den wichtigsten Momenten des Anderen dabei, unterstützten uns wenn es darauf ankam. Leider wollte ich irgendwann mehr. Es reichte mir einfach nicht nach so langer Zeit, nicht Mals einen Schlüssel zu seiner Wohnung zu haben. So zog er, nach einer langen Diskussion über Freiräume in einer Beziehung, zu mir. Die Tatsache, dass ich Josh schon beinahe zwingen musste seine Sachen in meinen Schrank zu räumen, hatte ich damals völlig verdrängt. Kristin meine bessere Hälfte neben Josh, war sprachlos als ich ihr von den, wie ich dummerweise dachte, tollen Neuigkeiten erzählte "Du verarschst mich! Ist das dein Ernst? Also tut mir ja leid, wenn ich deine Illusion zerstören muss, aber dass wird nicht gut gehen!". Sie wusste immer schon wie man mir Mut machte... Ich hörte nicht auf sie, oder meine Eltern, die den regelmäßigen Auseinandersetzungen von Josh und mir, in den Monaten vor dem Einzug, nahezu hilflos ausgesetzt waren, da sie in der Wohnung über mir lebten und Decken scheinbar auch dünn sein konnten. Meine Mutter war kein Fan von Josh. Sie ließ es ihn nie spüren, mich dafür um so mehr. Sie sagte immer, er sei nicht gut genug, würde mich gar nicht zu schätzen wissen. Total übertrieben und unangemessen wie ich fand. Nun ja, als ich ein Jahr später in meinem Schlafzimmer saß, umgeben von seinen Klamotten, Essen und Rechnungen, wurde mir bewusst, dass sie vermutlich recht hatte. Ich starrte auf mein leeres Glas und entschloss es endlich zu beenden. Ich hatte die Lügen satt. Ich wollte mich nicht immer und immer wieder streiten. Als ich sein Auto auf der Garageneinfahrt hörte, wurde mir kurz schwindlig. Mein Herz pochte bis zum Hals und meine Hände wurden taub. Jetzt nur nicht einknicken! Du schaffst das! Das mit ihm kann noch nicht alles gewesen sein!  Ich erinnerte mich an Kristins Worte vom gestrigen Abend "Also weißt du, ich verstehe es nicht. Wir sehen uns ein bis zwei Mal im Monat und immer wieder erzählst du mir, was dich alles an ihm stört. Das er nie aufräumt, obwohl er vor dir zu Hause ist und mehr Zeit hat. Das er nie einkaufen geht und wenn doch, nur an sich denkt und gar nicht fragt, ob du noch etwas brauchst.", sie kippte ihre Weinschorle runter und wedelte mit der freien Hand schon nach dem Kellner. "Mila du lässt dich immer wieder so runterziehen. Ich habe das Gefühl, dass es bei euch nie eine harmonische, oder romantische Zeit gibt. Schau mal es ist doch so", sie nippte bereit an Wein Nummer vier und ich hörte ihr gespannt zu "Du baust deine ganze Welt nur um Josh herum auf. Du richtest dich nach ihm, nimmst immer Rücksicht. Dein Studium, Arbeit, Freunde und Familie stehen immer an letzter Stelle! Erst kommt er!". Um mir diese wirklich sehr fragwürdige Argumentation zu veranschaulichen, ballte sie die rechte Hand zu einer Fast und kreiste mit der linken Hand drumherum. Ich glaube die Faust sollte meine Welt, oder wie sie es nannte "Josh" darstellen und die linke Hand mich selbst. Sie fuhr fort "Alles in deinem Leben, was dich anbelangt, ist außerhalb deiner Welt, weil Josh deine Welt ist. Aber es sollte genau andersherum sein. Zuerst kommt deine Welt, dass was du möchtest und danach kannst du einen Partner hinzufügen.", sie deutete nun wieder auf ihre Hände. Sie hatte recht. Auch wenn es schwer nachzuvollziehen war, weil sie wie wild mit ihren Armen herumwedelte und der Kellner sichtlich verwirrt war, da er nicht wusste, ob sie nun noch etwas zu trinken haben wollte. Aber im Prinzip hatte sie Recht.

So eine kacke! Ich stand auf und machte mich bereit, Josh zu Hause in Empfang zu nehmen. Als sich die Tür öffnete sah er mich auf dem Schlafzimmerboden hocken und in seinen Rechnungen wühlen. "Ähm hallo? Was machst du da?", sagte er fast schon überrascht. "Ich habe die Rechnungen für dein Auto gefunden. Sagtest du nicht, dass ich diesen Monat etwas mehr zahlen muss, da du pleite bist?". Als ich es laut aussprach, bemerkte ich, dass er mich die ganze Zeit nur ausnahm wie eine Weihnachtsgans. Etwas sprachlos stand er da. Josh druckste herum, versuchte Ausreden zu finden, wieso er sich einzelne Teile für seinen Oldtimer kaufen konnte, obwohl er eigentlich kein Geld hatte. Schließlich gab er zu, dass er in den letzten Monaten immer wieder Geld gespart hatte, um sich im Sommer einen schönen Urlaub machen zu können. Geld, dass ich dafür von meinem Aushilfslohn in unsere Haushaltskasse fließen lassen musste, damit der Herr etwas zu essen hatte. Das ich das Geld gut hätte für mein Studium gebrauchen können, oder gar zum tanken, kam ihm dabei nie in den Sinn. Ich erinnerte mich, dass es einen Monat so knapp wurde, dass ich meine Mutter um Geld bitten musste, damit ich noch zur Arbeit kam. Für meine Mutter kein Problem. Für mich, die beweisen wollte, dass sie selbstständig und unabhängig war, war dieser Moment ein Tiefpunkt. Ich hatte mich emotional und finanziell von Josh abhängig gemacht. Hatte immer an ihn und seine Bedürfnisse gedacht und wofür? Er hortete regelrecht sein Geld. Es war nicht so, dass er die Knappheit zu Monatsende nicht mitbekam, es interessierte in offenbar schlicht und einfach nicht. Er hatte ja seine Schäfchen ins trockene gebracht. "Weißt du, ich dachte immer in einer Beziehung, muss man sich auf den anderen verlassen können. Das man alles teilt, für den anderen da ist und sich gegenseitig unterstützt. Ich denke bei allem was ich mache zu erst an dich, an uns, aber nie nur an mich!" Ich holte tief Luft, wohlwissend, dass es das Ende sein könnte. "Ich habe das Gefühl, dass sich meine ganze Welt nur um dich dreht. Du hingegen, nun ja, denkst scheinbar immer zu erst an dich.". Ich musste schwer Schlucken, angsterfüllt vor seiner Antwort. Er stand einfach in der Tür, sah mich an und lächelte. Wieso grinst er jetzt so dumm? Ich habe ihm gerade mein Herz ausgeschüttet. Die Situation ist doch nicht zum lachen! "Das ist dir aber nicht erst jetzt aufgefallen oder? Also nach acht Jahren?". Fassungslos starrte ich ihn an. Das hat er nicht gesagt! Das war der Moment, an dem meine rosarote Brille zerbrach und mir bewusst wurde, dass ich von nun an auf mich gestellt war. Schlagartig war ich nicht mehr traurig, oder gekrängt. Ich sah die Dinge einfach zum allerersten Mal realistisch.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 07, 2020 ⏰

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