Kapitel 1

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"Hast du wirklich alles?", fragen mich meine Mutter und mein bester Freund beinahe gleichzeitig, als ich den letzten Koffer in den Flur stelle.

Ich nicke langsam und versuche mich an einem Lächeln.
Mein Herz befindet sich in diesem eigenartigen Zwischenstadium, in dem es nicht sicher ist ob es sich vor Freude überschlagen soll oder einfach nur in tausend Teile zerbrechen will und um ehrlich zu sein, weiß ich es auch nicht.

"Dein großer Traum geht endlich in Erfüllung.", sagt meine Mutter stolz und legt eine Hand auf meine Schulter.

"Ein Wunder huh?", gebe ich von mir und streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr.

Lewis schüttelt den Kopf und seine Stimme klingt traurig, als er zu reden ansetzt.
"London. Unfassbar. Davon hast du schon in der sechsten Klasse geredet und du hast es geschafft."

"Ich kann wohl echt stolz auf mich sein.", stelle ich fest und sehe in ihre gezwungen glückliche Gesichter.

Ich blicke noch einmal zurück in mein Kinderzimmer, aus welchem ich in den letzten Tagen alle Schallplatten und Gedichte von den Wänden abgehangen habe, ehe ich seufze und mich eine ungewohnte Entschlossenheit packt.

"Dann los.", sage ich, hänge meine Tasche, in welchem mein Flugticket, samt Reisepass und Portemonnaie Platz gefunden haben um und greife nach den Koffern.

Meine Mutter nickt aufgewühlt und Lewis greift nach seiner Jacke.

Schweren Herzens verlasse ich schließlich als erste die Wohnung und höre schließlich wie Wohnungstür im Schloss einrastet.

Ich mache das jetzt also wirklich.
Verrückt.

An der Garage angekommen öffnet Lewis den Kofferraum seines SUVs und nimmt mir die Koffer ab.

Ich setze mich auf die Rückbank.
Auf den Mittleren Sitz und beobachte wie meine Mutter seufzend auf der Beifahrer Seite und Lewis auf der Fahrerseite einsteigen.

Der Motor heult leise auf, als Lewis den Zündschlüssel im Schloss dreht und schließlich in den Rückwärtsgang schaltet.

Während der gesamten Fahrt herrscht eine unangenehme Stille im Auto, welche mich zu erdrücken scheint.

Es ist als wäre etwas grausames passiert.
Dabei erfüllt sich gerade mein größter Traum.

Wir fahren über die Autobahn und nervös spiele ich mit meinen Fingern.
Ich spüre wie sich alle meine Gefühle, von Unentschlossenheit, über Angst und Trauer, bis hin zu immenser Vorfreude in mir aufstauen und ich habe absolut keine Ahnung wie ich damit umgehen soll.

Langsam bildet sich ein Kloß in meinem Hals und ich merke wie sich Tränen in meinen Augen bilden, als wir gerade von der Autobahn abfahren.

Ich beiße die Zähne zusammen, schlucke schwer und wische schnell die Tränen weg, die sich selbstständig machen.

Ich will nicht weinen, nicht vor meiner Mutter, nicht vor meinem besten Freund.

Wir fahren schließlich auf den Parkplatz des Flughafens und Lewis schaltet den Motor aus.

Kurz bleiben wir still sitzen, bis Lewis seinen Anschnallgurt öffnet und aussteigt.

Ich folge seinem Beispiel und hole meine Koffer aus dem Kofferraum, während Mama und Lewis sich gegenseitig Mut zusprechen.

Fast glaube, ich dass sie nicht wollen das ich es mitbekomme, weil sie so leise reden, dass ich es kaum höre.

Nachdem ich den Kofferraum, wieder geschlossen habe, stelle ich mich zu den anderen zweien und sage leise: "Wir können rein gehen."

Lewis nickt, nimmt mir einen Koffer ab und legt einen Arm um meine Schultern.
Das macht er immer, wenn er merkt, dass mich etwas bedrücktel, aber ich glaube heute macht er es um selbst etwas Halt zu finden.

Er sah aus als wolle er zum reden ansetzen, lässt es dann aber doch.

Meine Mutter nimmt meine Rechte Hand und drückt sie fest mit ihrer.

Wir gehen schweigend in das laute Flughafen Gebäude, sehen wie hunderte Menschen umher wuseln und irgendwie fühlt es sich an, als gehörten wir nicht hier her.

Wir waren nicht laut und wir liefen auch nicht schnell ein und aus.

In einer ruhigen Ecke vor dem Check-In blieben wir stehen und mir wurde klar, dass es jetzt, Abschied nehmen hieß.

Es war kein Abschied auf alle Zeit, aber es fühlte sich so an.

"Und du versprichst mir das du gut auf dich aufpasst, ja?", kam es von meiner Mutter und ich nickte, während ich die Zähne zusammenbiss.

Sie nahm mich schnell in den Arm und ich spürte, wie sie zitterte.
Ihr fiel das unfassbar schwer und ich verstand das, ich war ihr einziges Kind und mich auf einmal ans andere Ende von Großbritannien reisen zu lassen, war sicherlich nicht einfach.

"An Weihnachten bin ich wieder da.", versichere ich ihr und drücke sie fest an mich.

Als sie mich wieder loslässt, sehe ich Tränen in ihren Augen, welche sie jedoch rasch wegwischt.

Sie schaut zu Lewis, welcher sichtlich mit den Tränen kämpft.

Ich nehme ihn schnell in den Arm, versuche selbst ein klägliches Schluchzen zu unterdrücken, als ich schnell sage: "Nicht weinen, es sind nur vier Monate."

Ich höre ihn leise Schluchzen, als er mich fester an sich drückt.

Mir laufen nun selbst die Tränen über die Wangen und kurz überlege ich alles über Bord zu werfen und doch zu bleiben.

Vier Monate sind verdammt lang.

"Du hast das so verdient.", flüstert er tränenerstickt und lässt mich schließlich los.

Und auf einmal fühle ich mich als würde ich fallen.
Kilometer tief.

Es fühlt sich an wie ein Abschied für immer.
Weil er weint.

Lewis weint schön.
Weil er schön ist.
Das grün seiner Iris sticht durch die vom weinen roten Bindehaut, nur noch mehr hervor und seine Wangen sind etwas rot.

Er ist wundervoll.

"Vier Monate.", flüstere ich, versuche dabei weitere Tränen zu unterdrücken.
"Vier Monate.", erwidert er.

Ich nehme meinen Koffer, schlucke schwer und umarme ihn noch einmal kurz.
Danach gebe ich meine Mutter noch einen Kuss auf die Wange und dann heißt es auch schon auf widersehen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 12, 2020 ⏰

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my name is Angel || liathewriter16 [slow updates]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt