Der Graf betrachtete Salverton eingehend. »Sehr richtig. Und ich nehme meine Aufgaben mehr als ernst. Weswegen mir auch sehr an Diplomatie gelegen ist. Also bitte, esst!«
Der Graf gab den Dienern ein Zeichen, die uns daraufhin all das Essen servierten, das eben schon so köstlich gerochen hatte. Es schmeckte unglaublich gut. »Ihr habt ein sehr schönes Haus«, sagte ich und Huntington nickte wohlwollend. »Danke sehr. Wir haben es nur für euch aufgeheizt. Normalerweise benutzen wir den Kamin nicht.«
»Ich wusste nicht, dass ihr auch normales Essen zu euch nehmt.«
»Das müssen wir auch nicht«, meinet er. »Aber es schmeckt gut.« Lord Salverton nahm einen großen Schluck aus seinem Weinglas. Er hatte sein Essen nicht angerührt und saß kerzengerade in seinem Stuhl. Als wäre er jeden Moment bereit aufzuspringen. »Warum sparen wir uns nicht das Geplauder und kommen endlich zur Sache.« »Und was soll das sein?«, fragte Huntington. »Die Geheimwaffe natürlich. Warum sonst habt Ihr uns eingeladen.« Der Graf legte sorgfältig sein Besteck ab und faltete die Hände über seinem Bauch. »Wie ich schon sagte«, meinte er feierlich. »Ich nehme meine Aufgabe als Clanführer sehr ernst und die besteht nun mal darin, meinesgleichen zu beschützen. Aber machen wir uns doch nichts vor. Ihr seid wohl kaum wegen des vorzüglichen Weins hier, oder, Baron?« Wir tauschten einen Blick und ich räusperte mich. »Es gibt tatsächlich etwas an dem wir Interesse hätten.«
»Ach ja? Und was wäre das?«
»Ein Clanmitglied«, sagte Lord Salverton. »Elijah Wright. Er hat den Vater meiner Verlobten fast umgebracht. Jedenfalls vermuten wir das.« Der Blick des Grafen glitt zu mir. »Euer Vater? Mein tief gefühltes Beileid, Teuerste.« Er klang überraschend aufrichtig, wenn man bedachte, dass er doch regelmäßig selbst das Blut Unschuldiger trank. Ich schob den Gedanken beiseite. »Danke. Ich hoffe Ihr versteht, wie wichtig diese Sache für mich ist.«
»Aber selbstverständlich! Schließlich habe ich noch immer ein Herz. Es war ohnehin ein Fehler Mr. Wright wieder aufzunehmen, obwohl er seinen Schwur gebrochen hatte. Aber er ist so eine bemitleidenswerte Kreatur, dass ich ihn nicht zu einem Leben in Einsamkeit verdammen wollte.«
»Und was ist es, das Ihr für ihn haben wollt?«, fragte Salverton. Huntington zögerte keine Sekunde. »Dokumente. Aus der Collectio. Diskretion wird selbstverständlich vorausgesetzt. Eure Ordensbrüder dürfen nichts davon erfahren.«
»Das ist Verrat.«
»Und wenn Ich Euch einen meiner Schützlinge ausliefere ist das kein Verrat? Ihr vergesst, dass ich an einen Schwur gebunden bin.«
»Warum zieht ihr es dann überhaupt in Erwägung?« Huntington seufzte tief. »Weil das Wohl eines Einzelnen unter dem Allgemeinwohl steht. Sozusagen das Gegenteil eurer Motivation, wenn Ich das anmerken darf.« Mein Verlobter rollte mit den Augen. »Ach, jetzt tut bitte nicht so, als wärt Ihr mir moralisch überlegen«, sagte er. »Wir wussten, dass Ihr eine Gegenleistung verlangen werdet, aber das geht zu weit.« Huntington zuckte mit den Schultern und spießte eine einzelne Erbse auf seine Gabel auf. »Meinetwegen, aber vergesst nicht, dass Mr. Wright ein Mitglied dieses Clans ist und damit von mir und all seinen Brüdern und Schwestern beschützt wird. Ohne einen Handel mit mir werdet Ihr ihn nicht mal zu Gesicht bekommen.«
Meine Kehle wurde eng. Wir waren so weit gekommen. »Ich bitte euch!«, begann ich. »Wenn wir den Vampir, der ihn gebissen hat nicht finden, wacht er möglicherweise nicht mehr auf. Würden sie dasselbe nicht für ihren Vater tun?«
»Liebes Kind, mein Vater starb vor vielen Jahrhunderten. So ist die Welt nun mal. Es ist nicht schön, aber man muss sich damit abfinden. Wenn er aufwacht und sich verwandelt hat müssen sie sich um seinen Tod wenigstens keine Gedanken mehr machen und Eure gestillten Rachegelüste werden das nicht beschleunigen.«
»Sie verstehen nicht.« Jetzt musste ich mir wirklich Mühe geben nicht in Tränen auszubrechen. »Er wird gar nicht mehraufwachen, nicht als Mensch oder als Vampir, wenn wir nicht denjenigen finden, der ihm das angetan hat.« Der Graf legte seine Hand auf die meine und ich zuckte zusammen weil sie so kalt war. »Verstehe. Aber leider bleibt es bei meinem Angebot. Mein Assistent wird euch eine Liste der Dokumente geben, die ich brauche. Sollte es euch gelingen euren Verlobten zu überzeugen, kommt morgen nach Sonnenuntergang zur Statue am Golden Square.« Mit einer Handbewegung bedeutete er einem der Diener zu ihm zu kommen. Während er ihm Anweisungen gab, sah ich zu Lord Salverton, der meinem Blick auswich und in dem Essen stocherte, dass er nicht angerührt hatte.
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Als wir wieder in der Kutsche saßen, hielt ich die Liste fest umklammert. Darauf standen die Titel zweier Bücher, eine Geburtsurkunde und ein Taufschein. »Und jetzt? Ich nehme an, Ihr wollt euch nicht darauf einlassen.« Lord Salverton fuhr sich müde durch das dichte Haar und sah aus dem Fenster. »Ich kann nicht einfach so meine Brüder betrügen, Mylady.«
»Ich weiß. Könnten wir ihm nicht einfach falsche Papiere übergeben?«
»Wir sollen wir bis morgen Abend an Papiere gelangen, die überzeugend genug aussehen, dass er es nicht sofort bemerkt? Wenn wir doch nur mehr Zeit hätten!« Ich sah bedrückt aus dem Fenster. Wir waren so nah dran gewesen und jetzt mussten wir wieder von ganz vorne beginnen. Der Lord schüttelte nachdenklich den Kopf. »Vielleicht könnten wir den Einband abtrennen und andere Seiten in die Bücher legen.« Bei der Vorstellung verzog er das Gesicht, als würde es ihm körperlich wehtun. »Wir müssen eben hoffen, dass sie nicht so genau hinsehen.«
»Und die Urkunden?«
»Ich weiß es nicht. Wir können ihnen unmöglich die echten überreichen.« In der Kutsche war es zu dunkel um Details auszumachen, aber ich erkannte, dass sein Bein unruhig auf und ab wippte. »Was würde passieren, wenn wir es täten und die Nachtwächter davon hören würden?« fragte ich.
»Euch würde gar nichts passieren. Ihr seid noch nicht eingeschworen.«
»Und Euch?«
»Ich würde wegen Verrats angeklagt werden.«
»Und dann?«
Er seufzte. »Im besten Fall würden sie mich nur aus dem Orden verbannen. Und im schlimmsten Fall würden sie mich hinrichten.« Ich keuchte ungläubig. »Das ist eine ganz schön hohe Strafe für ein paar Papiere.«
»Wenn diese Papiere wirklich so wichtig sind wie Huntington glaubt, könnten sie uns die Geheimwaffe kosten. Die Arbeit von Jahren wäre zerstört.«
»Ich könnte ihm mein Collier anbieten.« Er schnaubte belustig und trotz der Dunkelheit sah ich, dass er mich betrachtete. »Es geht hier um mehr, als Schmuck jemals aufwiegen könnte.«
»Dann bleibt uns nichts anderes übrig als ihnen die falschen Seiten zu geben. Wenn wir Glück haben, bemerken sie es gar nicht und wenn doch, findet der Handel nicht statt und wir stehen auch nicht schlechter da als vorher.«
»Glaubt mir, wenn sie herausfinden, dass wir sie übers Ohr hauen wollten, werden sie uns nicht einfach so gehen lassen.« Seine Stimme klang rau. »Habt ihr eine bessere Idee?«
»Nein.«
»Heißt das, wir versuchen es?«
»Haben wir eine andere Wahl? Es geht immerhin um meinen zukünftigen Schwiegervater.« Ich konnte nicht anders als zu lächeln und als er es erwiderte wurde mir flau im Magen. »Danke. Ihr wisst gar nicht, wie viel mir das bedeutet.«
»Ich habe auch einen Vater, schon vergessen? Und jetzt sollten wir uns beeilen, wir haben viel Arbeit vor uns.«
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Die sterbliche Baronin
FantasyEngland, 1774 Die Londoner Adelsgesellschaft lebt ausgelassen und ohne Sorgen. Mit rauschenden Bällen, prunkvollen Soirees und der neusten Mode aus Frankreich kann man sich leicht die Zeit vertreiben. Lucinda Phillipa Hastings ist Teil dieser Welt...