Kapitel 5

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Kapitel 5

Als ich in den hell beleuchteten Raum trat, wartete Josh bereits mit einem zufriedenen Grinsen auf mich. „Glückwunsch. Ich habe auf dich gewettet."

„Gewettet? Mit wem?", ungläubig schaute ich ihn an. Er lachte und nickte mich weiter zu sich.
„In Phase 2, dem praktischen Teil des Verfahrens, kommen alle Betreuer zusammen und schauen sich das Spektakel vor einem riesigen Bildschirm an. Wir kriegen jedes Wort mit und irgendwann hat es sich zur Tradition entwickelt, zu wetten, wer das Rätsel löst. In dem Raum neben uns sitzen Psychologen, Soziologen, Entwickler und Auswerter zusammen und analysieren jedes einzelne Verhalten von euch, sodass ein grobes Persönlichkeitsprofil geschaffen werden kann, was jetzt, in Phase 3, verfeinert wird", erzählte er mir begeistert. Ich habe mir so etwas ähnliches schon gedacht, dennoch war es wirklich komisch, zu wissen, dass man gerade von zig Personen beobachtet und abgehört wurde. Ohne eine Antwort abzuwarten quatschte er weiter. „Das Mädchen mit den kurzen, blonden Haaren stand auch Hoch im Kurs, aber auch dieser Rothaarige, Theo hieß er, glaube ich", er machte eine abschweifende Bewegung mit seiner Hand, „wie auch immer, wir müssen weiter machen."

Nun befand ich mich also schon zum zweiten Mal verkabelt auf der Liege, mit dieser komischen Paste am Hals, und schaute an die Decke. Wenige Sekunden später verdunkelte sich meine Umgebung und ganz verschiedene Fragen tauchten vor meinem Augen auf. In dem ersten Fragenteil ging es um mich. Um meine Persönlichkeit. Was für Charaktereigenschaften weise ich auf, bin ich eher extrovertiert oder introvertiert, was sind meine persönlichen Werte, was meine Ängste, Hoffnungen und Wünsche? Die Fragen reichten von „Was ist dein Lieblingskuchen?" bis hin zu „Was ist der Sinn des Lebens ?" aus. Manchmal musste ich mich spontan auch für eine Farbe oder Wort entscheiden, oder eine Zahlenfolge beenden. Ich war froh, als sich Abschnitt 1 endlich dem Ende neigte und ich nun von meinem Persönlichkeitsprofil erfahren würde.

„Juliette Lefevre. 18 Jahre. Hobbys: Backen, Gitarre spielen und -", mit einer Handbewegung wischte ich weiter. Was meine Hobbys waren wusste ich, trotz meines schlechtem Gedächtnis, auch noch selber.
„Farbe: Blau. Humor, Mitgefühl und Ruhe." Neugierig wischte ich zur nächsten Folie und las mir alles haargenau durch. Plötzlich ploppte eine rote, blinkende Warnung auf, mit der Bitte, mit dem zweiten Frageteil zu starten. Da hatte jemand wohl nicht so viel Ruhe.

„Wie viel Geschlechtsverkehr wünschen Sie sich pro Tag/Woche/Monat?" perplex starrte ich auf die Projektion. Der abrupte Wandel von Lieblingskuchen zu Sex war doch etwas plötzlich, aber warum nicht. Ich beantwortete die Frage und wischte zur nächsten. „Welche Werte sind für sie in einer Beziehung wichtig?" Darauf folgte: „Wie sieht der perfekte Alltag mit ihrem Partner aus? Was unternehmen sie gerne mit ihm?" Peu à peu beantwortete ich alle Fragen, und auch im zweiten Frageteil ging man auf Nummer sicher, dass bloß nicht zu wenig Fragen gestellt wurden, um eine möglichst präzise Auswertung zu erhalten.

Endlich erreichte ich den dritten, und somit letzten Frageteil. Doch schon die erste Frage machte mich stutzig. „Welche Hautfarbe präferieren sie, welche nicht?" Selbstverständlich klickte ich auf „Egal". Die Hautfarbe kann mir doch egal sein. Wenn ich einen Menschen liebe, dann liegt das bestimmt nicht an seiner Hautfarbe. Vor allem impliziert die Fragestellung ja schon, dass es eine Hautfarbe geben muss, die man bevorzugt. Bescheuert.

Ähnlich fragwürdig ging es weiter. „Welche Religionen und Völkergruppen bevorzugen sie, welche nicht? Erneut tippte ich auf „Egal". Ich durchlief weitere solcher Fragen und hoffte jedes Mal, dass die anderen Teilnehmer die gleichen Ansichten wie ich teilten. Mit solchen Fragen förderte man doch nur die Teilung von Religionen etc..
Ich dachte an Kyles verzweifelte Jobsuche zurück. Trotz vieler Qualifikationen, Fremdsprachenkenntnisse, Berufserfahrung und selbstbewussten Auftritt drosselte eine Absage nach der anderen bei ihm ein. Woran das gelegen hat, war irgendwann offensichtlich. Auch gab es teilweise immer noch viele Leute, die ihn auf der Straße anstarrten oder die Straßenseite wechselten.

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