Jetzt sitzt sie da, die Augen geschlossen, und sieht alles an ihr vorbeiziehen.
Vor sechs Jahren, den Tod ihrer Eltern, den Schmerz an ihrem Bein, der Ruck, als das Auto gegen den Baum knallte. Die Schwärze danach. Das Piepen des Geräts im Krankenhaus. Der erneute Schmerz. Die Nachricht über ihre Eltern. Die Stille. Die Leere.
Vor fünf Jahren, die ersten fiesen Kommentare ihrer Mitschüler. Die Kälte in ihr. Das Messer, doch sie kann es nicht über ihre Haut schleifen lassen, egal, wie sehr sie es sich wünscht. Der Reflex ist zu groß.
Vor vier Jahren, die äußerliche Veränderung. Die Rolle des Opfers, des Mobbingopfers. Es ist jedem egal. Sie geht zu einer Psychologin, doch die diagnostiziert eine Teenagerphase. Eine Phase. Das Wort, das jeder verwendet. Der erste Schnitt in den Unterarm. Es tut ihr gut. Sie genießt den Schmerz.
Vor drei Jahren, die Abweisung von öffentlichen „Hilfen". Überall an ihrem Körper Schnitte. Es interessiert niemanden. Sie ist allein. Die Stille. Die Leere. Die Kälte. Der Verlust ihrer Gefühle. Sie fühlt nichts mehr.
Vor zwei Jahren, der erste Selbstmordversuch. Die Einweisung in eine Klinik. Die Enge, die anderen Kinder, die Härte dort. Es wird schlimmer, doch sie baut eine Hülle auf, eine glückliche Hülle.
Vor einem Jahr, man bezeichnet sie als geheilt. Doch nur ihre Hülle ist geheilt. Sie ist innerlich zerbrochen. Die Stille. Die Leere. Die Kälte. Der Verlust ihrer Gefühle. Die Wut.
Jetzt. Sie sitzt in ihrer Badewanne, das Messer in ihrer rechten Hand. Sie ist allein. Niemand wird es bemerken. Vielleicht wird sie in einer Woche jemand finden. Doch dann ist längst alles zu spät. Die Narben auf ihrem linken Unterarm. Die sichere Bewegung. Die kalte Klinge, die ihren Arm berührt. Der leichte Druck. Und das Ziehen des Messers über ihren Arm. Der vertraute Schmerz. Schmerz, das einzige, was immer geblieben ist. Erneut. Sie schneidet immer schneller. Ein Wort, dass sich bildet. Pain. Die Stille. Die Leere. Die Kälte. Der Verlust. Keine Gefühle. Die Wut. Schmerz. Schwärze. Tod.