"Hey Hübscher, was ist denn los?", frage ich meinen besten Freund, der sich mit mir treffen wollte, da es anscheinend etwas Wichtiges zum Besprechen gäbe. Sein Gesichtsausdruck zeigt mir eine Art von Trauer, obwohl er gleichzeitig emotionslos und kalt ausschaut. Statt eine Antwort auf meine Frage zu geben, senkt sich sein Blick auf den Boden. Es scheint, als hätte er mich noch gar nicht bemerkt.
Langsam sammeln sich in meinem Gehirn die unmöglichsten Verschwörungstheorien und durch seinen derzeitigen Blick verschlimmert sich die Situation. Unser Treffpunkt ist meistens vor einem kleinen Laden, welcher edlen Wein zu hohen Preisen verkauft. Auch jetzt stehen wir davor. Ich, besorgt von seiner Trauer, er, traurig von seinen Sorgen.
Zögernd hebe ich meine Hand, damit ich sie schützend um ihn legen kann, allerdings erstarre ich abrupt, als er sich an der Hauswand entlang runterrutschen lässt. Seine sonst so hoffnungsvollen, dunkelbraunen Augen strahlen jetzt pure Angst und Unsicherheit aus. Sie sind weit aufgerissen und starren besessen auf einen bestimmten Punkt, welchen ich ausfindig zu machen versuche.
Hektisch folgen meine Augen seinen Blick, aber ich sehe, außer Gebüsche und einen Weg, nur eine ältere Frau mit einer Gehhilfe. Um mich in seine Situation versetzen zu können, hocke ich mich hin und probiere Augenkontakt aufzustellen. Absichtlich schaut er immer von mir weg. Er meidet Blickkontakt. Da ich nicht aufdringlich sein will, schweige ich und setze mich auf den Pflasterstein, weil meine Füße vom komischen Hocken schon weh tun.
Unwissend mustere ich ihn und sehe dabei, wie er seine Beine zu sich zieht und seine Arme ängstlich darüber legt. Außerdem sehe ich in seine glasigen Augen, in welchen sich Tränen bilden. Noch nie habe ich ihn so erlebt. So...traurig. Eigentlich ist er der Typ, der alle zum Lachen bringt und alles versucht, um verschiedene Personen glücklich zu machen. Er schafft es auch immer.
Sich selbst zum Lachen zu bringen ist aber auch schwieriger als andere glücklich zu machen. Da wir in einer ruhigen Umgebung sind, höre ich seinen stockenden Atem und das leise und nervöse Klopfen mit seinem Finger auf seinem Knie. Nach einigen Sekunden glaube ich sein Herzklopfen zu vernehmen, weshalb ich meine Hand auf seine lege, um Beruhigung in ihm zu verbreiten.
Sein Blick zeigt mir nichts anderes als Hektik und Trauer. Bis jetzt weiß ich noch nicht, was passiert ist, aber ich hoffe es bald zu erfahren. Um sein Herzklopfen zu mildern atmet er tief ein und aus. Er schließt die Augen und es scheint, als würde er versuchen sich zu beruhigen. Allerdings klappt dies nicht und er öffnet erschrocken die Augen.
Wenn ich nur wüsste, was passiert ist. Dann könnte ich ihm jetzt zur Seite stehen und ihm helfen. Seine Augen suchen wieder den Halt am Boden. Das Gesamtbild seinerseits sieht einfach nur verzweifelt, ängstlich und verloren aus. Meine Hoffnung auf eine relativ gute Nachricht ist schon längst verloren und sein Herzklopfen macht die Situation nur noch schlimmer.
Aus Angst etwas Falsches zu machen, halte ich meinen Mund und konzentriere mich auf Merkmale von ihm, die etwas verraten können. Seine Augen sind glasig und er ist den Tränen nahe. Eine Jeans ziert seine Beine und er trägt einen grauen Anorak. Die hellbraunen Haare hängen leblos in seinem Gesicht und obwohl sie ihn sonst stören würden, lässt er sie unberührt.
Mein Sorge vervielfacht sich, als eine Träne seine Wange runterkullert und einen dunklen Fleck auf seiner Jeans hinterlässt. Ohne abzuwarten umarme ich ihn. Wie hypnosiert spüre ich seine angenehme Wärme und seinen kalten Atem. Statt mich zu ignorieren, erwidert er sogar meine Umarmung und gräbt seinen Kopf in meine Schulter. Ich genieße den Moment, bis er sich löst und aufsteht.
Er setzt sich in Bewegung, geht an dem Weinladen vorbei und folgt dem kleinen Schotterweg. Um ihn nicht alleine zu lassen, gehe ich neben ihm her und starre, wie er, auf den Boden. Meine Schritte sind gleichmäßig und ich vertiefe mich in das Geräusch, das entsteht, wenn man mit Schuhen auf Kies wandert. Innerlich beruhigt es mich und das Gleiche wünsche ich ihm. Entspannung.
In sich hineingesunken setzt er seinen Weg fort, bis wir einen Wald erreichen. Ich kenne den Wald nur vom Hören, dass er schön sei und viele hübsche Orte in ihm birgt. Ohne eine Pause einzulegen wandert er bis zu einer schönen Lichtung mit einem Teich, dessen Wasser kristallblau glitzert. Der Ort kommt mir sehr bekannt vor, aber bis jetzt war ich noch nie hier.
Er lehnt sich an einen neben dem kleinen See liegenden Ahornbaum und lässt sich runterrutschen. Das dabei entstehende Geräusch führt mich dazu mein Gesicht zu verziehen und beinahe hätte ich mir meine Ohren zugehalten. "Erzähl.", beginne ich, damit er sich endlich dazu bewegt, das Vorgefallene in eine aufklärende Erzählung zu packen.
Jetzt sitzt er am Baum gelehnt auf der Erde und senkt seinen Blick wieder einmal zum Boden. Einerseits tut er mir total leid, aber andererseits will ich endlich wissen, was passiert ist, da ich nicht gerade zu der Sorte der geduldigsten Menschen auf der Welt gehöre. Ich gehe zu ihm, damit ich mich nun neben ihn hinsetzen kann. Aber auch, weil mir meine Beine langsam schmerzen.
Diesmal blickt er mir in die Augen und ich kann wieder erkennen, wie sie voller Hoffnungslosigkeit und Trauer glasig glänzen. Leider bricht er den Blickkontakt zu mir ab, dafür holt er aber einen Zettel, glaube ich zumindest, hervor und betrachtet ihn. Ich spüre, wie er seine durch diesen Zettel ausgelöste Trauer zu unterdrücken versucht, aber das Aufkommen neuer Tränen hat ihn verraten.
Meine Wirbelsäule zieht sich in die Länge, bis ich aufrecht sitze und meinen Kopf strecke, um einen Blick auf diesen Zettel zu erhaschen. Der Zettel ist kein Zettel, sondern ein Photo. Eine etwa vierzigjährige Frau strahlt mich voller Freude an und ihre dunkelbraunen Augen glänzen vor Glücklichkeit. Dunkelbraune Augen. Genau die gleichen, wie er sie hat.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt weiß ich es.
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Ich schreibe und schreibe
Kort verhaalDiese Buch ist eine Zusammenstellung verschiedener Geschichten von mir. In den meisten geht es um Trauer, Depression, Hass oder die Liebe zum Zerstörerischen.