Dachtherassen-Text (I)

16 1 0
                                    

Freitag, sechse Stunde,Kunst. Es riecht nach Keller
er hat gerade seinen Sermon geendet
wir sitzen in der letzten Reihe, trinken Kaffee, tun so als wären wir produktiv
Und du bist noch gar nicht lang in unserer Klasse.

Deswegen hab ich mich zu dir gesetzt.
„Ich war letztens mit einer Freundin im Kino", erzähl ich.
Hab vor kurzem was gehört und muss jetzt etwas ausprobieren.

„Das war so eine Oberschnulze.... Ein Mädchen lernt einen Jungen auf einer Party kennen. Die beiden finden sich so toll, dass sie runter zum Meer gehen. Soweit so gut, aber dann erzählt sie so voll casually: , Meine Mami ist gestorben als ich noch ganz klein war' "

Ich kichere:
"Niemand! Jemals!
Sowas erzählt man nicht mal, wenn man sich ein ganzes Jahr kennt einfach so."

Die andern haben alle ganz komisch geschaut.
Wie kann man über so was lachen?
Sie haben nicht verstanden.

Du hast mit gelacht.
Du hast verstanden.

Wir haben mit der Zeit immer mehr miteinander geredet.
Wir haben uns immer öfter getroffen.
Da waren aber immer andere Leute dabei.

Am Tag vorm ersten Mai, als es das erste mal wieder richtig warm war, sind wir zu fünft zum Fluss runter gelaufen.
Du hast erzählt, dass du sehr schüchtern bist und das du eigentlich jemanden brauchst der dich unter den Arm klemmt und raus in die Welt mit dir geht, um dir zu zeigen wie Menschen funktionieren.

Jemand...das war ich oder?

Ich würde das nämlich wirklich gerne machen,
also dich unter den Arm klemmen, wenn ich dir damit unter die Arme greifen könnte.

Mittlerweile hab ich dich nämlich richtig gern.

Dann sind wir alle noch zu dir gegangen.
Auf deiner Dachterrasse hab ich das erste Mal geraucht.

„Mensch sei doch nicht immer so brav"

Also haben wir alle fünf geraucht und wir haben getrunken.

Erst Wein, dann den Schnaps den du so magst und dann haben wir noch eine geraucht.
Es war so heiß an dem Tag.
Irgendwann lag ich auf dem Boden rum und alles hat gepocht.
Weil Zigaretten, also Nikotin...verengt ja die Venen und Alkohol macht auch irgendwas und vielleicht...

auch wegen dir.

Jedenfalls hast du dir Sorgen um mich gemacht und bist dann noch mit mir heim gelaufen.

Nur du und ich.

Hätt ich mal nicht so viel getrunken, dann hätte ich dir vielleicht doch mal gesagt, dass...

Du warst auch ziemlich drauf, nur merkt man das bei dir nicht so.

Nicht mehr.

Viele Wochen später saßen wir wieder am Fluss, unser Clique, wir fünf.
Es war noch wärmer, es war später, wieder Freitag, wir kannten uns noch viel besser.

Du trinkst sehr viel, fast täglich.
Du drückst ganz gerne mal Zigaretten an deinen Armen aus.
Du nimmst – glaube ich – auch irgendwelche Tabletten, die dir niemand jemals verschrieben hat.

Wir saßen da und haben übers kaputt sein geredet.
Die andern haben uns gar nicht gehört.
Du hattest diese schreckliche Sonnenbrille auf.
Ich hab nicht gewusst wo ich Worte finden soll, also hab ich dann gesagt:

„Ich würd dir gerne helfen, dass du nicht mehr so kaputt bist. Dich einfach in den Arm nehmen bis es dir besser geht"

Du fandst das gar nicht gut, aber ich kann es auch nicht sicher sagen, wegen dieser schrecklichen Sonnenbrille.

Mir liegt wirklich was daran wie es dir geht.
Bitte rede doch mit mir.
Ich würd auch gar nichts sagen, nur zuhören, damit zu einfach mal erzählen kannst.
Ich mach auch nen Tee für uns und back Kekse...

Das mit deiner Mum weiß ich ja, aber ich würde gerne auch noch wissen:
Wie lang ist es schon her? Zählst du noch die Jahre oder rechnest du zurück?
Wie alt warst du? Weinst du, weil du sie so vermisst? Weinst du, weil du dich nicht an sie erinnern kannst?
Weinst du allein? Bist du Profi im leise weinen geworden?
Weißt du was eine Mutter ist? Findest du es eigenartig, wenn du zu Freunden gehst und da dann zwei Eltern sind?
Hat sie lange leiden müssen? Wurde sie von heute auf morgen aus dem Leben gerissen?
Hast du nicht gewusst, was du machen sollst als sie dir erzählt haben: „Deine Mama war ganz schwach und ist letzte Nacht gegangen, von dort kommt sie nicht zurück" und dann einfach angefangen zu weinen, weil du dachtest, dass das von dir erwartet wird?
Hast du mal gesehen wie sie daliegt und gewusst, sie lacht nie mehr, sie spricht nie mehr?
Sie ist nicht mehr da, aber ich seh' sie doch.
Warst du auf der Beerdigung oder noch zu klein dafür?
Triffst du manchmal Freunde von ihr? Zerreißt es dich, wenn sie sagen:
Du bist viel zu weit voraus gegangen mein alter Freund.
Zerreißt es dich, wenn sie dir die Geschichten erzählen, die sie dir hätte erzählen sollen und sie dabei fast anfangen zu weinen?
Denkst du dir dann: „Oh Gott, dass Eltern früher sterben ist ja normal, aber Freunde. Warum gibt es keine Gesetzt dagegen, dass unsere Freunde so früh gehen müssen?"

Liegt dir was an Bezugspersoninnen in einer so eigenartige Weise und in einem so einem gigantischem Maß, dass alle denken du bist verknallt und das obwohl du schon vor Jahren aufgehört hast sie hoffnungsvoll in diese Lücke zu stellen, die sie niemals ausfüllen könnten?

Sag mir doch bitte einfach was dir wehtut.
Das frisst dich doch auf.
Ich hab auch keine dummen Tipps für dich, wirklich, mir fällt auch gar nichts ein dazu.
Ich würde mit dir weinen und dann überlegen wir uns was, dass dich ein bisschen ablenkt.

Kannst du tanzen?
Weißt du, ich würde gerne mal mir dir tanzen gehen.
Wir müssen noch nicht mal tanzen gehen, wir machen einfach das Radio an und tanzen bei dir daheim auf der Dachterrasse.
Wir müssen noch nicht mal das Radio anmachen, wir legen einfach die Arme umeinander und...
Wir müssen noch nicht mal tanzen.

Weißt, du ich mag es, wenn du mir neue Dinge zeigt.
Ich mag es, wenn du mich umarmst.
Ich fänd es schön, wenn du mir über's Haar streichen würdest.
Ich würde gerne mal deine Hand halten.

Ich würd dich gern mal küssen.

Ich will so gern einfach Zeit mit dir verbringen.
Einfach mit dir zusammen sein.
Du hast mal gesagt du bist ein schlechter Einfluss.
Das ist mir eigentlich egal.

Vielleicht fang ich dann das Rauchen an.
Vielleicht, damit ich mir nichts abschaue, veränderst aber auch du dich.
Vielleicht trinkst du nicht mehr so viel.

Bitte trink nicht mehr so viel.
Bitte sag mir wie ich dir helfen kann.
Bitte...

Ich...ich hab Angst um dich.
Ich will doch bloß, dass es dir besser geht
Ich lieb dich doch so sehr.

Wir haben dann alle unser Abi geschafft.
Du bist geblieben, ich bin weggezogen und auch die andern haben sich in alle Winde zerstreut
Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen.
Tee hab ich nie für dich gekocht und auch keine Kekse gebacken.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 22, 2020 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Ich kann nicht schlafen - Slamtexte von 3am Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt