Kapitel 1

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Einführung

Die Augen der Frau begannen zu flattern. Der junge Mann in einem grünen Kasack wendete sich, als er die Regung wahrnahm von der Maschine ab, an der er bis eben noch die Werte seiner Patientin kontrolliert hatte.
„Frau Alvarez Sie befinden sich im Krankenhaus", begann er vorsichtig, um nicht bedrohlich zu wirken, „Sie hatten einen schweren Unfall. Ich bin der zuständige Pfleger Andrew." Bei der Nennung seines Namens versteifte sich der Körper der Patientin schlagartig, ihre Augen waren weit aufgerissen und das gerade noch gleichmäßige Piepen der Maschine verschnellerte sich. „Bitte beruhigen Sie sich! Sie sind im Krankenhaus Ihnen kann nichts passieren!", probierte Andrew sie zu beruhigen. Doch der Herzschlag der Frau raste nur noch schneller.

In einer Schockstarre gefangen verfolgte Elaine mit weit aufgerissen Augen jede Bewegung des Mannes vor ihr. Als dieser ihr immer näherkam, schrie alles in ihr nach Flucht. Weg von hier! Weg von diesem Mann, der ihr schon so viele schreckliche Dinge angetan hatte. Vor ihren Augen verschwamm alles und sie blinzelte wild. Bloß nicht unaufmerksam werden. Ihr einziger Gedanke war Flucht, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Die Entfernung zu dem Mann in Uniform wurde immer kleiner. Seine großen schwieligen Hände legten sich auf ihre entblößten Schultern. Schmerz! Ihr Mund öffnete sich zu einem stillen Schrei! Ein Piksen. Er - immer noch über ihr! Elaine wurde von seinem Gewicht nach unten gedrückt. Zu wenig Luft! Ihre Atmung versagte. Der Mund weit geöffnet im Versuch Sauerstoff in die Lunge zu führen.  Sie spürte, wie sich eine Art Schleier über ihr Bewusstsein zu legen begann. In ihr versuchte alles gegen die Schwärze zu kämpfen, die sie zu übermannen drohte. Bloß nicht wehrlos sein! Ihm ihren Körper bloß nicht schutzlos überlassen! Hilflosigkeit schoss durch ihre Adern. Breitete sich wie ein Gift blitzschnell in ihren Gliedmaßen aus. Es war hoffnungslos. Sie hatte nicht genug Kraft. Schon wieder nicht. Ihren Wiederstand aufgebend, zog sie die Bewusstlosigkeit in die Dunkelheit – in die Ungewissheit.

Der Körper der schmächtigen Frau begann sich zu entspannen und der Pfleger wischte sich mit dem nackten Unterarm den Schweiß von der Stirn. „Wie konnte das passieren?", donnerte der ihm zur Hilfe geeilte Arzt. Andrew senkte seinen Kopf: „Ich weiß es nicht..." „Wie du weißt es nicht?", wurde er barsch unterbrochen, „Hast du bei der Ausbildung nichts gelernt? Man soll die Patienten nach einer Operation beruhigen und sie nicht in eine Paniksituation bringen. Das hätte lebensbedrohlich werden können. Auf dich muss man sich verlassen können" Ein Piepen störte die Schimpftirade des Arztes und der Mann eilte ohne einen weiteren Kommentar aus dem Zimmer zu seinem nächsten Patienten.

Elaine

Elaine begann langsam zu erwachen. Ihre Augen ließ sie vorerst geschlossen, um weiter vorzugeben noch tief in der Bewusstlosigkeit gefangen zu sein. Durch die Augenlieder drang schwaches Licht auf ihre Netzhaut, ein regelmäßiges Piepen war zu hören. Aus Gewohnheit begann sie ihren Körper wachsam nach Schmerzquellen zu untersuchen. Da war nichts. Auch als sie sich ein weiteres Mal darauf konzentrierte war nichts zu spüren. War sie in Sicherheit? Der Drang ihre Augen zu öffnen wuchs zunehmend, aber die Angst nur zu träumen oder in den Fängen von irgendwelchen Rauschmitteln zu sein, die ihre Schmerzen verdrängten, war zu groß. Nach einer für sie unbestimmbaren Zeit, in der sie sich weiter in dem möglichen Delirium befunden hatte, wurde der Nebel, der ihre Gedanken getrübt hatte, weniger. War sie in Gefahr? Unsicherheit machte sich in ihr breit. Elaine drängte sie zurück. Bis jetzt schien alles sicher zu sein. Es war noch nichts passiert und sie sollte, die ihr gegönnte Erholung so lange wie möglich nutzen. Sie begann wieder tiefer in die Bewusstlosigkeit zu sinken, als sie plötzlich von dem Klingeln eines Handys gestört wurde. Ihr Urinstinkt zwang sie sofort die Augen zu öffnen und sich aufzusetzen. Gegen die Helligkeit anblinzelnd sah sie sich um. Sie befand sich in einem unbekannten Zimmer. Die Wände waren in einem Senfgelb gestrichen und wurden von indirekten Lampen bestrahlt, die ein weißliches, in ihren Augen unangenehm stechendes, Licht verbreiteten. Sie lag in einem einfachen Bett. Ihre Körper war durch eine Bettdecke verhüllt, die bei ihrem ruckartigen Aufsetzen auf ihre Oberschenkel herabgerutscht war. Neben ihr stand eine Maschine die ihren Herzschlag und andere Werte aufzeichnete. War das ein Krankenhausbett? Die Größe des Zimmers konnte sie nicht einschätzen, da es von einem Vorhang in zwei Bereiche unterteilt wurde. War sie im Krankenhaus? Wie war sie hergekommen? Ihre unruhigen Gedanken wurden durch den abrupten Stopp des Klingelns unterbrochen. Kurz war es still. „Was wollen sie?" Bei dem harten Klang der maskulinen Stimme zuckte Elaine zusammen und kauerte sich, die Arme schützend um den Kopf gelegt, zusammen. Woher wusste die Person, dass sie hier war? Eiskalt rann es ihr den Rücken runter, ihr Puls beschleunigte sich. Nun nahm sie auch das schneller werdende Piepen, welches sie nur noch unterbewusst wahrgenommen hatte, wieder deutlich wahr. Ihre Atmung war ein unregelmäßiges Keuchen. Ihre Umwelt rückte mehr und mehr in den Hintergrund. Angst pulsierte beißend durch ihren Körper und lähmte sie. Er hatte sie gefunden! Der Mann sagte noch einmal etwas, die genauen Worte konnte sie nicht verstehen, zu tief war sie in ihrer Panik gefangen, die die Klauen tief in sie gegraben hatte. Auf einmal wurden ihre Schultern von großen Händen umfasst. Fest und unnachgiebig gruben sich die Finger in ihr Fleisch und eine erneute Panikwelle rollte durch ihren Körper. Sie verkrampfte sich noch mehr. Zugleich wurde der Druck größer, bis er den Grad zum Schmerz überschritt. Die Schmerzen wurden immer größer und zwangen sie nachzugeben. Sie musste! Sie würde sich ausliefern müssen. Immer noch verkrampft ließ sie sich zurück auf das Bett in eine liegende Position drücken. Die Augen fest zusammengekniffen, um dem Mann nicht in die Augen schauen zu müssen, der ihr so viel Schmerz beschert hatte. Es wurde wieder etwas gesagt, doch die Panik ließ es nicht zu, die Worte zu verstehen. Zu spät realisierte Elaine, dass sich eine Hand um ihren Hals schloss und zudrückte. Sie riss die Augen auf. Vor ihr schwebe das Gesicht eines Mannes. Sein Mund bewegte sich, aber ihr Gehirn war zu gelähmt um Geräusche zu Worten oder gar Sätzen zusammenzubauen. Unruhig glitt ihr Blick über das Gesicht. Blaue Augen. Nicht braun. Kein Bart. Er hatte einen Bart. Fast schwarze Haare. Nicht blond. Es war nicht Er! Langsam begann sie sich etwas zu beruhigen. Nicht Er! Er ist nicht hier! Ich bin in Sicherheit vor ihm! Langsam konnte ihr Gehirn sich besser auf den Fremden konzentrieren.
„Mädchen beruhig dich!", schnauzte sie der Fremde an, „Hör auf dich so aufzuspielen!". Bei diesen Worten schloss sich die Hand wieder fester um ihren Hals. Elaine begann zu röcheln. Vielleicht war er nicht hier, doch der Fremde schien nicht besser zu sein als er.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 16, 2020 ⏰

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