Ich war an diesem Morgen extra früh aufgestanden um genug Zeit zu haben mich fertig zu machen, doch nun war ich noch später dran als sonst. Mein Zug würde in einer halben Stunde abfahren, ob ich nun in ihm saß oder nicht. Du wirst es niemals pünktlich schaffen ging es mir durch den Kopf als ich meine Schuhe unter dem Sofa hervorkramte, die nun vollkommen verstaubt waren und mich zu einer Reihe von Niesern verleiteten. Die Attacke überwunden, die Schuhe an den Füßen und halbwegs bereit, schnappte ich mir meine Tasche. Tasche, Schlüssel, Kopie meines Buches, Zugticket ging ich in Gedanken durch, nur das ich das Zugticket weder in der Hand hielt noch in meiner Tasche fand. Was ein grandioser Start in den Tag. Ich schaute mich hastig um, du hast noch fünfzehn Minuten um zum Gleis zu kommen und in den Zug zu steigen erinnerte mich mein Bewusstsein. Ich erhaschte einen Blick auf das Ticket, welches unter der Tasse Kaffee lag, die ich in der Eile zwar aufgebrüht, dann aber achtlos stehen gelassen hatte. Ich griff nach dem Ticket ohne darüber nachzudenken die Tasse anzuheben, welche dann prompt ihren Inhalt auf dem Tresen und dem Boden verteilte „Super gemacht" fluchte ich leise „Richtig krasse Leistung mal wieder". Ich schüttelte ungläubig denn Kopf, wandte mich von dem Desaster ab und ließ den Kaffee ungeachtet weiter vom Tresen auf den Boden tropfen. Das konnte warten, ich würde die Sauerei später aufwischen.
Zum Glück wohnte ich nicht weit entfernt von dem kleinen Bahnhof, der aus einem Gleis stadtauswärts und einem stadteinwärts bestand, trotzdem hatte ich mit der Kaffeeaktion Zeit verloren und musste somit den kurzen Weg sprinten. Als ich die Tür hinter mir ins Schloss gezogen hatte, hatte ich noch genau sieben Minuten gehabt, fünf brauchte ich bis zu den Gleisen wenn ich mich beeilte. Gerade lief ich über die Straße, welche das Dorf in dem ich wohnte, mit der nächsten Stadt verband, als ich das Quietschen eines Zuges hörte. Mist, Mist, Mist. Würde niemand am Gleis stehen, würde der Zug einfach weiter fahren und meinem Glück nach zu urteilen war ich an diesem Morgen die einzige, die das Dorf verlassen wollte. Bitte, lass jemanden am Gleis stehen. Bitte, lass den Zug noch ein bisschen warten ging es mir durch den Kopf. Es hatte sich mittlerweile ein dünner Schweißfilm vor Nervosität und Anstrengung auf meiner Stirn gebildet und mein Atem war mit dem eines an Land gefangenen Fisches zu vergleichen. Als Ich das Gleis entlang zur nächstgelegenen Tür des Zuges lief und ich vor meinem inneren Auge sah, wie ich auf den Knopf drückte, die Türen sich öffneten und ich einstieg, setzte sich der Zug in Bewegung. Völlig außer Atem und den Tränen nahe, stand ich wie versteinert auf dem Gleis. Mein Blick verfolgte die sich entfernende Silhouette des Zuges, als mir jemand auf die Schulter tippte. „Zug verpasst?" fragte mich eine melodische Frauenstimme, die ganz und gar nicht zu meiner Stimmung passte. Langsam drehte ich mich zu der Stimme um, meine Hände zitterten immer noch und ich wusste, dass mir die Tränen in den Augen standen. Als ich die Person erblickte zu der die Stimme gehörte, schlich sich ein kleines Schmunzeln auf meine Lippen und ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Da ich aber so wie so rot wie eine Tomate sein musste, Sport war noch nie meine Stärke gewesen und der kleine Sprint hatte mir ganz schön zugesetzt, fiel die verschmitzte Röte wahrscheinlich gar nicht auf. Die Frau vor mir musste ungefähr in meinem Alter sein, denn sie war nur ein Stück kleiner als ich und hatte diese noch recht jugendliche Ausstrahlung. „Ja" krächzte ich, dem Sauerstoffmangel und dem plötzlichen Scham zu verdanken. „Was ein Glück, also das soll jetzt auch gar nicht böse gemeint sein oder so" begann sie zu plappern „Es klingt wahrscheinlich trotzdem irgendwie blöd das zu sagen, aber ich hatte schon Angst alleine hier rum zu stehen, das ist immer so unglaublich langweilig". Ich beobachtet sie weiterhin, wie ihre wilden locken um ihren Kopf tanzten, während sie ohne jegliche Atempausen sprach. Ihre Hände hatte sie in den Taschen ihres Anoraks vergraben. Eine sehr niedliche Ausgabe, schwarzer Stoff auf den hunderte Hummeln aufgestickt waren. Während sie weiter darüber sprach wie oft sie schon ihren Zug verpasst hatte und alleine auf den nächsten warten musste, schweifte mein Blick auf die große Uhr, die über ihr hing. Der nächste Zug würde erst in vierzig Minuten kommen und Ich würde somit viel zu spät zu meinem Termin kommen. Die Veröffentlichung meines Buches konnte ich also knicken. Da hatte ich einmal die Chance etwas wirklich gutes zu machen und ich versaute es. „Tschuldigung, ich rede immer so viel" holte mich die Stimme aus meinen Gedanken „Alles gut bei dir?". Ich schaute das Mädchen, denn wenn sie wirklich in meinem Alter war und somit irgendwas um achtzehn Jahre rum sein musste, fühlte ich mich unwohl dabei sie eine Frau zu nennen, an und musste erst einmal schlucken um überhaupt Worte aus meinem Mund zu bekommen „Ja, alles gut" Lüge, überhaupt nichts ist gut. Die einzige Chance zu beweisen, dass ich was kann ist gerade flöten gegangen sagte ich mit etwas festerer Stimme. Sehr überzeugend. Diesmal lag es an ihr mich zu mustern „Willst du einen Kaffee trinken gehen? Der nächste Zug kommt erst in fast vierzig Minuten und es ist ziemlich ungemütlich hier draußen". Ich hatte dieses Mädchen hier noch nie zuvor gesehen, was merkwürdig war wenn sie aus meinem Dorf kam, denn dort kannte jeder jeden, trotz alle dem wirkte sie sehr freundlich auf mich und das war was ich jetzt gebrauchen konnte, eine nette Seele und einen Kaffee. Also nickte ich und lächelte sie an „Ja, gerne. Ein Kaffee klingt jetzt wirklich richtig gut". Sie lächelte mich strahlend an "Supi, ich weiß wo es den besten Kaffee hier gibt". „Rosies!" riefen wir gleichzeitig und fingen an leise zu lachen. „Das einzige Café in diesem Dorf und auch das beste" sagte ich nachdem ich aufgehört hatte leise vor mich hin zu lachen. „Stimmt" nickte sie „Meine Oma ist die berühmt berüchtigte Rosie. Gott, dieser Kaffee. Einfach spitzenmäßig". Jeder kannte Rosie und ihr kleines Café mit den herrlichen Torten und vorzüglichem Kaffee, aber ich wusste nicht, dass sie eine Enkelin hatte. „Ich wusste gar nicht, dass sie Familie in der Nähe hat" „Hat sie auch nicht, ich bin nur zu Besuch um mal runter zu kommen" „Da bist du hier ja richtig, hier gibt es absolut nichts." „Da hast du recht, aber deshalb habe ich mich vorhin auch so gefreut jemanden in meinem Alter zu erwischen". Wir unterhielten uns den gesamten Weg zu Rosies und sie erzählte mir von ihrem Versuch ihre Gedichte zu veröffentlichen. Sie hatte mit Poetry Slam begonnen, schrieb daraufhin alle ihre gesammelten Werke nieder und versuchte diese groß rauszubringen. Wie ich scheiterte sie, nur das sie von Ehrgeiz gepackt begann eine Anorak Kollektion zu entwerfen, der den sie trug stammte daraus. Ich hingegen war so am Boden zerstört, dass ich den Gedanken mein Buch jemals in einem Laden zu sehen, mit dem Wegfahren des Zuges verworfen hatte.
Bei Rosies angekommen, bestellten wir beide einen großen Latte Macchiato mit Zimt, wie sich herausstellte hatten wir beide mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Als gescheiterte Künstler, auch wenn sie mittlerweile irgendwie recht erfolgreich mit ihren Anoraks gewesen war, tranken wir genüßlich unseren Kaffee, bestellten jeder ein Stück Apfelkuchen und vergaßen dabei völlig die Zeit. Wir unterhielten uns sowohl über mein als auch ihr Buch und auch darüber, dass sie überlegte mit dem geld was sie verdient hatte zu ihrer Oma zu ziehen. Da ich noch ein Zimmer frei hatte, meine letzte Mitbewohnerin war schon etwas länger ausgezogen, bat ich ihr an bei mir einzuziehen. Die Miete aufzuteilen wäre eine gute Möglichkeit Geld zu sparen und ihre Energie inspirierte mich ja vielleicht. Wir könnten gemeinsam versuchen auf die Beine zu kommen und unsere Träume zu verwirklichen. Außerdem hätte ich dann nicht nur eine Mitbewohnerin sondern auch eine Freundin dazu gewonnen.
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Kurzgeschichten
Short StoryEine Ansammlung verschiedener Kurzgeschichten, zusammengefasst in diesem „Werk" Begonnen am 19. April 2020