Ein Jahr später...

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Schon der dritte Drink diesen Abend. Scheinbar haben mit dem Einbruch der Weltwirtschaft durch diese elendige Halbapokalypse auch die qualitativen Fähigkeiten der Barkeeper nachgelassen. Diese Bloody Mary schmeckt einfach nur scheiße. Wässrig. Kaum Würze. Der Tomatensaft dient scheinbar nur der Färbung. Spucke dem starrenden Barkeeper diesen Witz von Cocktail in die scheiß Visage.
„Willst du mich eigentlich verarschen? Meine Pisse schmeckt besser, als dieser Dreck", knurre ich und spüre, dass meine sowieso bereits zum Bersten drohende Geduld heute Abend besonders schnell aufgebraucht ist.
„A-Aber-"
„A-A-A. Wenn du weiter so stotterst, bekomme ich unschöne Erinnerungen mit jemandem, der mir mal begegnet ist. Wäre nicht so gut für dich, wenn meine Assoziationen zunehmen würden. Wobei", lege eine lange Atempause ein. Richte meine verschiedenfarbigen Augen auf den verängstigt wirkenden Barkeeper. „Genau das scheint gerade zu passieren", vollende ich den Satz und lasse inmitten dieser nach Kotze und anderem Scheiß riechenden Dreckskneipe das überraschte Gesicht des Bedieners mit dem siffigen Bloody Mary Glas Bekanntschaft schließen. Überraschtes Keuchen. Gefolgt von schmerzhaften Geräuschreaktionen.

Eine fließende Bewegung. Vom Hocker abgestoßen. Über den Tresen gehievt. Ellbogen knallt dem Unbewaffneten gegen irgendetwas, was meiner Meinung nach auf Kopfhöhe befindlich ist. Gegenfaust streift meine Wangengegend. Schlaff. Zu ängstlich, um wirklich etwas ausrichten zu können. Kraftvoll seine Schulter packend, prügelt meine freie Hand immer wieder wild auf verschiedene Kopfbereiche des Bar-Menschens ein. Stelle dem Todesopfer in Spe ein Bein. Dieser kippt hinterrücks zu Boden. Sein Kopf knallt dabei gegen die Kante des massiven, dunklen Tresens. Lasse mich, mit den Knien voran, auf den beinahe kahlgeschorenen Mann mittleren Alters fallen. Knackende Resonanz. Habe wohl seine Rippen erwischt, oder was da sonst so an Menschenmaterial herumgammelt. Er keucht und zappelt. Seine Kollegen scheinen nicht eingreifen zu wollen. Schade eigentlich. Je mehr, desto lustiger. Er schlägt verzweifelt nach mir. Paar Treffer landet meine Beute, jedoch keine, die sonderlich erwähnenswert wären. Der von mir äußerst sehnlich erwartete Geruch seines Blutes erreicht bereits in schwächlicher Stärke meine Nase.
„Endlich", hauche ich und schließe die Augen, wohl wissend, dass der Barkeeper somit eine reelle Chance bekommt, mich abzuschütteln. Sauge den betörenden Geruch förmlich in mich auf. Seele reagiert mit beflügelnder Euphorie und einem angenehmen Schauer. Prickelnde Gänsehaut breitet sich über meinen gesamten Körper aus. Verdränge erfolgreich die armseligen Befreiungsversuche meines Opfers. Öffne langsam die Augen. Krame mit einer Hand in der linken Tasche meines braunen Staubmantels. Berühre kaltes Stahl. Hätte mich fast geschnitten.

Nur ein einzelner Gedanke beseelt meinen Geist, als ich ein noch unbenutztes Skalpelle aus der Tasche hervorziehe.
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Will mehr Blut. Riechen. Sehen. Schmecken. Zeit, dass meine zappelnde Beute ihren Zweck erfüllt. Grinse breit. Beginne grell loszulachen. Grenzenlose Vorfreude steigt mit unbändiger Stärke in mir hoch. Lasse die linke Hand, in welcher ich die dünne, ungemein scharfe Klinge halte, auf mein Opfer hinabgleiten. Eben noch um sein jämmerliches Leben gebettelt, schließt mein Skalpell endlich innige Freundschaft mit dem butterweichen Halsfleisch des Barkeepers. Das erste Eindringen des Metalls löst in mir innerhalb eines extrem kurzen Augenblickes einen unhaltbaren Rauschkick aus. Es ist bei weitem nicht mein erster Mord und sicherlich ist das erste Mal immer am intensivsten. Doch irgendwie, kann ich mich noch immer wie ein kleines Kind freuen, das Weihnachten vor verschlossener Wohnzimmertür darauf wartet, endlich seine lang ersehnten Geschenke auspacken zu dürfen. Und das zweite. Dritte. Dieses überwältigende Gefühl der Euphorie ist purer Rausch. Ekstase. Stoße meine Lachreaktion mit geballter Stärke aus. Unfähig die Ekstase ruhig hinzunehmen, öffne ich das Reaktionsventil. Schneide lachend im immer stärker blutenden Halsbereich herum. Der Geruch des austretenden Blutes intensiver werdend, verfalle ich blindlings in triebhafte Hysterie. Ab hier übernimmt das innere Tier.
Blut. Noch mehr davon. Will diese Sucht befriedigen. Dass der Mann mit dem ehemaligen Gesicht sich nicht länger bewegt, kümmert mich dabei nicht im geringsten. Der Hals hat an Wert verloren. Schneide seither wild in der blutig-weichen Masse herum, das einst das Gesicht dargestellt hat.

Sleepless Genesis (Staffel IV)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt