Kapitel 16

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Nun stehe ich im Flur, das Kätzchen ist mir gefolgt. Suchend blicke ich nach rechts zum Badezimmer, aber als ich das Blut wieder sehe, führe ich einen Richtungswechsel durch und entscheide mich dazu, doch lieber nach links zu gehen. Als ich die Tür zum Zimmer meines Bruders öffnen will, höre ich das eklige Knarzen der Treppe. Mein Blick fällt auf den Anfang der Treppe und ich nehme seinen braunen Wuschelkopf wahr. Diese Person, die ich hier sehe, ist vom Charakter her nicht mein Bruder. So ist er nicht.

Summend geht er lautlos über die rötlichen Fliesen und als er meinen Weg kreuzen will, versuche ich ein Ausweichmanöver auszuführen, allerdings bin ich ein Geist, somit kann er durch mich hindurch laufen. Ein kleiner Schwall von Verwirrung schwebt durch meinen Körper, als ich das Kätzchen feindselig knurren höre. Er hat sie umgebracht. Aber eigentlich ist das nicht er, dieser Typ vor mir ist nicht einmal ein Mensch. Wahrscheinlich bilde ich mir das alles nur ein. Die drei Ebenen, diesen ominösen Master, das tote Kätzchen, mein Mord. Es wäre alles so logisch, wenn das hier nur ein schrecklicher Traum wäre.

Ein Schock durchfährt mich. Meine Augen sind weit aufgerissen, trotzdem sehe ich alles verschwommen und kann kaum etwas wahrnehmen. In meinem Körper bildet sich ein brennender und stechender Schmerz, der mich beinahe zum Schreien bringt. Als würde jemand giftige Säure über meinen Körper kippen. In meinem Herzen vervielfacht sich dieser Schmerz und lässt all meine Körperteile einfrieren, weshalb ich zusammenbreche und am Boden liege. Das Kätzchen rennt sofort weg und ich höre nur ein erschrockenes Quieken seinerseits.

Von Schmerz geprägt schaue ich nach vorne in Richtung Badezimmer und sehe, wie mein Bruder lustvoll und kräftig gegen das wahrscheinlich von ihm ermordete Kätzchen tritt, sodass es im hohen Bogen durch die Luft fliegt, kurz vor mir aufprallt und bis vor mein Gesicht rutscht. Durch die aufkommenden Tränen in meinen Augen erkenne ich nur die Umrisse der Gestalten, aber das reicht mir, um traurig und enttäuscht zu sein. Traurig und enttäuscht von der ganzen Situation in der ich mich hier befinde.

Mit ein durch Schmerz verzogenes Gesicht versuche ich mich aufzurappeln, was mir allerdings missglückt. Das lebendige Kätzchen wagt sich wieder aus meinem Zimmer hinaus und beginnt sein totes Ich verwundert zu mustern. Niedergeschlagen greift es mit ihrer Pfote an den Kopf des toten Kätzchens und erinnert mich ein bisschen an mich selber. Zwar war ich keine Katze, aber ich musste genauso wie sie, erst realisieren, was passiert war, bevor ich klar denken konnte.

Mein Körper brennt immer noch durch einen unerklärbaren Grund und lässt durch den an meinen Gliedmaßen erzeugten Frost keine Regung zu. Mich verwundert die Tatsache, dass ich nicht weiß, was gerade passiert ist oder warum ich plötzlich so einen Schmerz verspüre. Definitiv hat die intellektuelle Ebene etwas damit zu tun. Nach meinen Entschlüssen will sie mich oder meine Seele zerstören. Gedankenverloren und mit einem schmerzverzerrten Gesicht ermutige ich mich aufzustehen und schaffe es auch.

Wütend konzentriere ich mich auf das tote Kätzchen, ein weiteres Mal verfällt mein Körper in einen Meditationszustand und lässt mich all meine Sorgen für eine geraume Zeit ausblenden. Das Kätzchen hebt und senkt sich, aber die Bewegungen spiegeln eher meine Gefühle wider, anstatt bedrohlich rüber zu kommen. Zwar bin ich sehr wütend, aber das fliegende Kätzchen sieht nicht so aus, wie ich mich zurzeit fühle. Aus den Augenwinkeln beobachte ich meinen Bruder, der in Richtung seines Zimmers geht.

Vor seinem Zimmer stehe ich sehr mitgenommen herum und bringe tote Katzen zum Fliegen, die allerdings wie schwebende Engel aussehen, statt bedrohlich zu wirken. Jetzt steht er direkt vor mir. An den nächsten Moment kann ich mich nicht erinnern, ich komme erst wieder zu mir, als ich noch einmal von Schmerz durchfahren werde.

Ich, die AuserwählteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt