251-255

430 11 1
                                    

Ich schaute nachdenklich aus dem Autofenster und genoss die vorbeirauschende weiße Landschaft. Samu legte seine Hand auf meine. „Alles in Ordnung, mun enkelini? Du schaust so nachdenklich. Hast du irgendetwas?" fragte er besorgt. Ich lächelte ihn glücklich an. „Nein, alles ok, Samu, ich war nur ein wenig in Gedanken versunken." Er streichelte liebevoll mit dem Daumen über meine Hand. „Verrätst du mir auch, worüber?" fragte er sanft. „Ich bin einfach glücklich mit dir und dankbar, dass hier alles so gut klappt, dass wir zusammen sein können. Ich fühle mich hier so wohl und mehr zuhause, als ich es die letzten 2 Jahre in Deutschland war. Das hatte ich so nicht erwartet." Ich atmete einmal tief ein. „Und ich bin etwas aufgeregt." Samu sah mich überrascht an. „Warum das?" „Weil es mein erstes Weihnachtsfest hier ist und ich darf es mit dir und deiner Familie hier verbringen. Letztes Jahr an Weihachten um diese Zeit war ich allein...." Ich verstummte, Tränen traten mir in die Augen, wenn ich an diese Zeit vor genau einem Jahr zurück dachte. Ich hatte unser gemeinsames Kind verloren, weil Tim mich in den Bauch geboxt hatte. Hatte Samu von mir weg gestoßen und das alles hätte ihn beinah sein und mein Leben gekostet. Ich wollte nicht mehr daran denken, aber ich konnte es nicht verhindern. Samu setzte den Blinker, fuhr vorsichtig rechts heran und zog mich in seine Arme. „Hey, sydämeni" hauchte er liebevoll und küsste meine Tränen weg. „Denk nicht mehr daran. Wir haben es überstanden, weil wir zusammen gehalten haben. Ich denke auch noch oft an unser Kleines, es zerreißt mir das Herz, aber wir müssen nach vorn schauen und ich bin mir sicher, wir werden eines Tages eine kleine Familie sein. Wir können das schaffen. Ok?" Ich schaute ihn aus tränennassen Augen an und nickte. „Ich weiß Samu. Ich liebe dich so sehr." Ich lächelte. „Lass uns weiterfahren. Eve und eine Geschwister warten sicherlich schon auf uns." 

Kurze Zeit später kamen wir bei Eve zuhause an. Samu und Eve begrüßten sich mit einer dicken Umarmung. „Endlich sehe ich dich mal wieder, mein Junge. Hyvää joulua." Sie drückte Samu einen dicken Kuss auf die Wange und ich musste schmunzeln, weil sie sich dabei doch tatsächlich ein wenig auf die Zehenspitzen recken musste. „Mum", seufzte Samu. „Ich habe dich auch vermisst, aber ich bin keine 5 mehr", nöckelte er und wischte sich leicht den Schmatzer von der Wange. Eve kam auf mich zu und drückte mich ebenfalls fest an sich. „Frohe Weihnachten Anna und willkommen zuhause in Finnland", sagte sie herzlich und ich bemerkte, dass sie doch tatsächlich ein paar Tränchen wegblinzelte. „Danke Eve, ich freu mich auch so sehr, dass ich endlich bei Samu und auch bei euch bin. Wenn das so weitergeht, dann muss ich auch gleich heulen...oh Gott..." Ich blinzelte ebenfalls, da ich auch schon wieder die aufsteigenden Tränen in meinen Augen bemerkte. Aus dem Wohnzimmer drangen fröhliche Kinderrufe. „Onkel Samu....da bist du ja endlich..." Ich sah, wie Fanni und Kaisa ihn ansprangen. Er nahm sie beide auf einmal hoch und drückte sie fest an sich. „Hei...ihr beiden Mäuse, ich hab euch vermisst...und ihr seid doch tatsächlich schon wieder größer geworden." Er setzte die beiden wieder herunter. „Schaut mal, wen ich noch mitgebracht habe." „Anna!" riefen beide wie aus einem Munde und kamen ebenfalls auf mich zugestürmt. Ich nahm beide herzlich in den Arm. „Hyvää joulua, ihr beiden Schätze...geht es euch gut?" Fanni und Kaisa nickten und zogen mich ins Wohnzimmer. „Schau mal, wie schön der Baum ist", die beiden strahlten und waren ziemlich aufgeregt. „Kinder, jetzt setzt euch erstmal alle an den Tisch. Ich hole den Sekt zum Anstoßen und dann essen wir gemütlich." Sanna, ihr Mann Jonne und Santtu kamen aus der Küche. Sie begrüßten uns auch herzlich und wünschten uns frohe Weihnachten. Santtu stellte sich mir noch offiziell vor, da wir uns noch nicht persönlich kennen gelernt hatten. Er sah Samu und Sanna wahnsinnig ähnlich. Die blauen Augen, die blonden Haare. Alle waren einfach total hübsch. Samu bemerkte, wie ich kurz seinen Bruder ansah und zog mich demonstrativ in seinen Arm und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Ich musste schmunzeln. War er etwa eifersüchtig? „Ich liebe dich, Samu", flüsterte ich ihm ins Ohr. 

Eve kam mit einem vollen Tablett mit Sektgläsern und zwei Gläsern Orangensaft für die Mädchen aus der Küche. Wir standen quasi um den Baum herum und Samu griff nach einem Löffel vom Tisch. Er klopfte dreimal an sein Glas und hatte so die Aufmerksamkeit von uns allen. „Willst du etwa eine Rede halten?" fragte Santtu erstaunt. „Keine Sorge", er buffte seinen Bruder kurz an die Schulter. „Es dauert nicht lang." „Na hoffentlich", grummelte der und verstummte, als Samu ihm kurz einen bösen Blick zuwarf. Eve schüttelte missbilligend den Kopf, weil die zwei sich kleine Kinder anzickten. Geschwister eben. „Ihr Lieben, ich möchte Anna einfach nochmal herzlich bei dieser Gelegenheit hier in ihrer neuen Heimat und in unserer Familie willkommen heißen. Ich bin glücklich, dass sie den Schritt gewagt hat und zu mir gezogen ist." Er wandte sich dann direkt an mich und sah mir in die Augen. „Rakastan sinua niin paljon mun enkelini ja hyvää joulua." „Rakastan sinua myös Samu", hauchte ich und sah dann zu den anderen, „danke, dass ihr mich in eure Familie so herzlich aufgenommen habt, hyvää joulua kaikille." Ich hob mein Glas und wir stießen alle feierlich an. „So, nun setzt euch aber hin, ich hole das Essen aus der Küche." Eve verschwand eilig und Sanna eilte ihr hinterher, um das Essen aufzutragen. Samu griff meine Hand und führte mich zu meinem Platz. Fanni und Kaisa plapperten die ganze Zeit munter drauf los. Sie waren ziemlich aufgeregt, was der Joulupukki ihnen denn wohl so alles bringen würde. Samu schenkte uns ein Glas Rotwein ein und stieß mit mir an. „Kippis." Er sah mich mit seinen blauen Augen glücklich an. Er drückte fest meine Hand und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen. Mein ganzer Körper vibrierte. Am liebsten hätte ich ihn auf der Stelle ausgezogen und wäre über ihn hergefallen, aber das ging natürlich nicht. Er musste meine Gedanken wohl erraten haben. „Ich werde dich heute Nacht lieben, dass dir hören und sehen vergeht, mein Engel", flüsterte er mir ins Ohr. Ich verschluckte mich beinahe am Wein und musste einmal kräftig husten. Fürsorglich klopfte er mir ein paar Mal zwischen die Schulterblätter. „Alles in Ordnung, Liebes?" erkundigte sich Eve besorgt. Ich lächelte. „Alles gut, Eve, danke." Samu fing sich einen gespielt bösen Blick von mir ein. Er grinste über das ganze Gesicht. 

Als der Nachtisch verputzt war, kamen Fanni und Kaisa zu Samu. „Gehen wir jetzt den Joulupukki suchen, Onkel Samu?" Ich zog den Augenbrauen hoch. „Das machen wir jedes Jahr nach dem Essen, nicht wahr?" Fanni und Kaisa nickten kräftig. „Wir gehen nach dem Essen schauen, ob wir vielleicht irgendwo den Weihnachtsmann sehen, aber bisher haben wir ihn leider nie gesehen", sagte er gespielt enttäuscht. Eve zwinkerte uns von Fanni und Kaisa unbemerkt zu. „Na los, ab mit euch. Ich räume in der Zwischenzeit den Tisch ab. Santtu und Sanna können mir helfen." „Aber zieht eure Jacken, Schal und Mützen an. Es ist bitterkalt draußen", rief Sanna uns noch hinterher, während die beiden Mädchen schon fast mit ihren dicken Winterstiefeln draußen im Schnee herumhüpften. Samu half mir ganz Gentleman in meine Jacke und nahm mich an die Hand. Fanni und Kaisa liefen los und Samu und ich kamen kaum hinterher. Alles war mit einer pudrig weißen Schneeschicht bedeckt und der Schnee knirschte unter unseren Stiefeln. Da Eve etwas ausserhalb wohnte, waren auch nicht viele Autos oder Menschen unterwegs. Es war total ruhig und friedlich. Glücklich sog ich die kalte Abendluft ein und schloss für einen Moment die Augen. Ich wusste, Samu würde auf mich aufpassen. „Hei Prinsessa, Augen auf, nicht, dass du noch irgendwo gegen läufst." „Ich vertraue dir Samu und weiß, du passt auf mich auf." Ich öffnete die Augen und näherte mich seinem Gesicht. Seine Augen leuchteten im Dunkeln. Wie schön konnte ein Mann nur sein? „Stimmt", raunte er und verschloss meine Lippen mit seinem zu einem zärtlichen Kuss. „Ihhhhhhh, Onkel Samu...nicht knutschen", rief Fanni uns zu. „Das ist so eklig", pflichtete Kaisa ihr bei. Samu bückte sich, schnappte sich eine Handvoll Schnee und formte sie zu einer Kugel. „Na warte, ihr kleinen frechen Räuber." Er warf den Schneeball in Richtung Fanni und traf sie am Rücken. Die fackelte nicht lange und warf gekonnt einen Schneeball in Samu's Richtung zurück und traf ihn genau im Gesicht. Ich musste laut loslachen. „Na warte", rief er zu mir. „Du findest das lustig?" Und schon bekam ich dann den nächsten Schneeball ab. Wir lieferten uns eine richtige Schneeballschlacht, bis wir alle ziemlich nass waren und uns totlachten. Samu schaute auf die Uhr. „Na los, wir gehen jetzt zurück. Mal sehen, ob der Weihnachtsmann da war, ihr frechen kleinen Gören." 

Mit großen und schnellen Schritten stapften wir zurück durch den kalten winterlichen Abend. Ich begann inzwischen ziemlich zu frieren, da ich doch einige Schneebälle abbekommen hatte. Samu legte mir fürsorglich den Arm um die Schultern und drückte mich an sich. „Geht es dir gut, sydämeni? Nicht, dass du noch krank wirst." Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter. „Es geht schon, Samu, ein bisschen Schnee wird mir schon nichts anhaben können." Nach ca. 10 Minuten kamen wir auch wieder bei Eve zuhause an. Die stand schon in der Tür und wartete ungeduldig auf uns. „Wie seht ihr denn aus?" Fanni und Kaisa rannten vergnügt aufs Haus zu. „Wir haben eine Schneeballschlacht gemacht, Oma, schau mal. Wir haben Samu und Anna ganz oft getroffen." „Na los, rein mit euch, ihr vier. Ihr holte euch ja den Tod hier draußen. Der Weihnachtsmann war da, ihr habt ihn draußen wohl verpasst." Eve zwinkerte uns zu und verschwand drinnen. Wir zogen uns Jacken und Stiefel aus. Sanna, Santtu und Eve hatten in der Zwischenzeit alle Geschenke unter dem Baum drapiert und die beiden Mädchen standen mit großen Augen vor dem leuchtenden Weihnachtsbaum. „Schau mal, Onkel Samu, der Weihnachtsmann war da. Und wie viele Geschenke er für uns gebracht hat. „Da wart ich wohl besonders brav dieses Jahr." Jonne schaute skeptisch. „Na, ich weiß ja nicht", grinste er. Fanni und Kaisa machten sich über die Geschenke her und Eve kam mit einem heißen Topf Glögg aus der Küche, stellte ihn auf dem Tisch ab und schenkte uns allen ein. „Damit ihr wieder warm werdet." Ich nahm vorsichtig einen Schluck von dem heißen Getränk. Das tat gut, aber nach dem Begrüßungssekt, dem Rotwein beim Essen und nun diesem Glühwein bemerkte ich allmählich die Wirkung des Alkohols. Ich atmete tief durch. „Alles gut?" Samu lächelte mich an. „Ja danke, ich glaube bloß, ihr Finnen seid trinkfester als wir Deutschen." Samu grinste. „Ich hab dich noch nie so richtig strulle gesehen, trink ruhig weiter. Das wird bestimmt lustig." Ich buffte ihn von der Seite an. „Das könnte dir so passen, mein blonder Riese. Wirst schon sehen, wie ich das vertrage", grinste ich und nahm noch einen Schluck. Inzwischen war mir dann auch wieder warm. Die Mädchen hatten inzwischen ihre Geschenke ausgepackt. Der Renner war eine Tanzmatte, die wie ein Klavier Musik machte, wenn man darauf herumhüpfte. Vergnügt sprangen sie darauf herum und quiekten vor Freude beim jedem Ton, den das Spielzeug machte. Samu stellte seinen Becher ab und zog mich zum Sofa. „Und jetzt bist du dran, mun enkelini", hauchte er und holte eine kleines viereckiges Geschenk, das er offensichtlich hinter dem Sofa versteckt hatte, hervor. 

...save me once again... (Anna & Samu Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt