Ich vergebe dir

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"Herr vergib mir,
denn ich habe gesündigt."

Die Autoreifen knirschen auf dem Asphalt, als du den Wagen in meiner Garage parkst und mich in deine Arme ziehst. Wären wir Bonnie und Clyde, hätte uns wohl niemand in Frage gestellt, doch nun klopfen die Schaulustigen bereits an unsere Türen. 

Es war kurz nach drei, als du dich dafür entschlossen hattest, lässig natürlich keine Zigarette oder Feuerzeug aus deiner Jackentasche zu holen. Du warst aktiver Nichtraucher und auch wenn ich dir versprach, es in Zukunft zu unterlassen, wurde ich immer wieder um Mitternacht von dir auf dem Balkon dabei erwischt. Du hast dann immer mit den Kopf geschüttelt und ich habe dabei immer nur auf deine schönen schwarzen Locken gestarrt, bevor ich wieder ins Haus ging. Deinen Namen wusste ich damals noch nicht und doch warst du mir vertrauter, als ich es je für möglich gehalten hätte.

Unser Verhältnis war schlicht und simpel, während du meinen Garten immer wieder umgegraben hast, kochte ich dir immer eine Tasse Kaffee und mir den Früchtetee, welchen du so gehasst hast. Du hast nie verstanden, warum Menschen die Angewohnheit hatten, verwelktes Laub zu trinken, doch dir immer diese Vitaminkapseln im Supermarkt für 99 Cent gekauft, welche man an der Kasse findet. Jeden Morgen musste ich dir deine Krawatte binden, da du selbst zu ungeschickt dafür warst und du legtest mir immer ein Buch in meine Tasche, damit mir nicht langweilig wurde. Zugegeben, ich war kein wirklicher Fan von Sci-Fi, doch schätzte die Mühe, dass du jede Woche in die Stadtbibliothek fuhrst und mich mit Lektüre versorgen wolltest.

Es war November, als ich deine erste Leiche in meinem Blumenbeet fand. Ob der unbewegliche Körper der Totenstarre galt oder nur das Ergebnis der ungewöhnlich kalten Temperaturen wiederspiegelte, konntest du mir bis heute nicht beantworten. Das alles war für mich bedeutungslos, wichtig war damals nur, dass ich sie so schnell wie möglich von hier wegbringen musste. Ich hatte dich zu diesem Zeitpunkt nie als Mörder in Betracht gezogen und diesen Akt des Todes schlussendlich mit einem Missverständnis gerechtfertigt. Du warst mir in der Einfahrt mit deinem weißem Mercedes begegnet, während ich bereits den Körper in den Kofferraum meines alten rostigen Ladas gepackt hatte und mir den Kopf darüber zerbrach, wo ich ihn am besten loswerden würde.
Wenn du es genau wissen willst, hab ich die Leiche im Wald verbrennen lassen. Ich habe bis zur Dunkelheit gewartet und dann das entscheidende Streichholz geworfen. Es stank entsetzlich, du hättest dir sicher die Nase zugehalten.
Als ich nach Hause kam, lagst du dort in der Hängematte und warst in der Bettdecke eingewickelt. Manchmal, da weiß ich bis heute nicht, warum du mich noch nie geküsst hast, jedoch hatte ich nie Zweifel, dass du mich liebtest. Vielleicht verstand ich deine Auffassung von Liebe einfach zu wenig, als dass ich es mit dir hätte aufnehmen könnte.

Das Skelett der Frau lag vielleicht immer noch an genau derselben Stelle, als du mich damals in deine Arme zogst und mir von den Sternenkonstellationen erzähltest. Es schien so perfekt, dass ich es hätte ahnen müssen. Ich hätte es wissen müssen, als ich die zweite Leiche in unserem Ehebett auffand. Sie war unschön verbogen, wie eine Marionette hattest du sie nach deinen Wunschdenken verformt und sie dabei zugrunde gehen lassen. Ihr Mund war so weit aufgerissen, dass ich glaubte, ihr Herz erkennen zu können.
Als ich an diesem Tag in den Baumarkt fuhr, ignorierte ich das flaue Gefühl in meiner Magengrube. Wir gehörten doch zusammen, oder? Ich wollte weiterhin deine Hand halten, auch, wenn es die eines Mörders war und auch wenn du mir Angst bereitetest, wollte ich nicht ohne dich in Eintönigkeit leben.
Als ich den Körper in den Fluss warf, habe ich mich hinter dem Baum ergeben müssen. Dabei habe ich so stark gezittert, dass ich glaubte, alle meine Organe würden den Geist versagen und ich wäre hier unter dem fahlen Mondlicht verstorben.

Ich kam erst spät an diesem Tag nach Hause. Du hattest auf mich gewartet und dir dabei eine Zigarette angezündet.
Du hattest mir doch versprochen, es zu unterlassen.
Wenn ich dich dann doch erwische, schüttle ich immer mit meinem Kopf und du starrst dabei auf meine schwarzen Locken.
Ich hab dir meinen Namen nie verraten.

Du wurdest am nächsten Tag tot aufgefunden.

Herr, vergib mirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt