Kapitel 9

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich sofort ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch. Die Schulstunden zogen sich ewig, obwohl wir noch keinen richtigen Unterricht hatten, sondern meistens nur besprachen, was wir in diesem Jahr lernen würden und welches Vorwissen aus den letzten Jahren nötig war. Zum Glück stellte ich recht bald fest, dass ich in den meisten Fächern auf demselben Stand war wie meine Klassenkameraden, nur in Französisch würde ich Vokabeln nachlernen müssen, da ich bisher ein anderes Schulbuch benutzt hatte.

Ich hatte eigentlich vorgehabt, mich in der Mittagspause zu Manu zu setzen, um ihn zu fragen, wann er heute Schulschluss hatte, doch ich konnte ihn nirgendwo entdecken, also aß ich wieder mit den anderen zusammen, die mich wie immer etwas ablenken und aufmuntern konnten.

Der Nachmittagsunterricht zog sich noch länger hin, als die Stunden am Vormittag und als wir endlich aus Wirtschaft entlassen wurden, beeilte ich mich, so schnell wie möglich zu unserem Zimmer zu kommen, damit Manu nicht auf mich warten musste, aber er war noch nicht da, also setzte ich mich an meinen Schreibtisch, räumte meinen Rucksack aus und begann schon einmal damit, die Mathe Übungsaufgaben zu rechnen, die wir bis zur nächsten Woche fertig haben sollten. Zu meinem Glück kannte ich die Art von Rechnung bereits, weshalb ich schon fast fertig war, als Manu schließlich ins Zimmer platzte.

„Und", fragte er, ohne mich groß zu begrüßen, „können wir los?" Schnell sprang ich auf, griff nach meinem Rucksack und nickte. Manu nahm ebenfalls eine Tasche mit und so machten wir uns auf den Weg. Wir liefen nebeneinander den Bürgersteig entlang und schwiegen uns an. Ich suchte verzweifelt nach Gesprächsthemen, doch mir fiel nichts ein, das ich den Größeren fragen konnte, ohne dass es seltsam oder aufdringlich wirkte.

Ich wollte ihn kennen lernen, aber er machte es mir nicht leicht. Bei Freddie, Rewi und den anderen war es ganz leicht gewesen, Fragen zu stellen und von mir zu erzählen, doch Manu war irgendwie angsteinflößend. Ich wollte, dass er mich mochte, wollte ihn kennen lernen und sein Freund werden und gleichzeitig hatte ich riesigen Respekt vor ihm.

Ich schwieg also weiterhin und auch Manu machte keine Anstalten mit mir zu reden, bis wir bei dem kleinen Geschäft ankamen. Er hatte Recht gehabt; den Weg durch die verwinkelten Gässchen der Altstadt bis hierher hätte ich alleine nicht gefunden. Gemeinsam betraten wir den Laden und ich begann, nach Schulblöcken und Heften zu kramen. Manu kaufte sich eine Packung Bleistifte und zwei Notenhefte. Dann kam er zu mir und erklärte: „Ich geh mir auf dem Rückweg noch Essen holen, okay?"

Ich nickte nur und hoffte inständig, dass er nichts dagegen haben würde, wenn ich mitkam, doch als wir den kleinen Laden verließen und ich dieselbe Richtung einschlug wie Manu wiedersprach er nicht, also lief ich ihm nach, bis wir an einem Lebensmittelgeschäft ankamen, wo Manu den restlichen Platz in seiner Tasche mit Süßigkeiten füllte. Auch ich nahm mir eine Packung Chips und Gummibärchen mit und gemeinsam verließen wir den Laden wieder.

Auf dem Heimweg lag mir eine Frage auf der Zunge und als ich das Schweigen nicht mehr aushielt, murmelte ich vorsichtig: „Ähm Manu... darf ich dich was fragen?" Er schwieg kurz und entgegnete dann: „Meinetwegen, ich muss ja nicht antworten." Ich holte also tief Luft und fragte schließlich: „Warum hast du dir Notenhefte gekauft? Herr Vaer hat doch heute gesagt, dass wir in Musik keine brauchen."

Lange kam von Manu keine Antwort und ich hatte schon Angst, dass er wieder wütend werden würde, da sagte er leise: „Ich bin es nicht gewohnt, mich anderen anzuvertrauen. Eigentlich habe ich noch nie jemandem davon erzählt aber irgendwas sagt mir, dass ich mit dir darüber reden kann."

Ich wusste nicht ganz, was ich auf dieser Antwort erwidern sollte, also schwieg ich, bis Manu erneut ansetzte und erklärte: „Ich mag Musik. Und manchmal habe ich ganz neue Melodien im Kopf, die ich aufschreiben will. Das muss dir als Antwort reichen."

Den restlichen Weg bis zum Internat schwiegen wir uns wieder an, doch jetzt kreisten meine Gedanken nur noch um diese Aussage von Manu. Ich wusste nicht, wie weit ich gehen und wie viel ich fragen konnte, bevor er wieder wütend wurde, weswegen ich mich vorerst zurückhielt, aber es freute mich unglaublich, dass er mir überhaupt etwas erzählt hatte und ich war jetzt noch fester entschlossen, Manu näher kennen lernen zu wollen.

Kürbistumor Fanfiction - NachteuleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt