Traurig sitzt der kleine Schmetterling auf dem rosaroten Blütenblatt einer wunderschönen Rose. Seine Flügel ruhen kraftlos auf deren Blätter und sein Kopf liegt entmutigt in ihrem Schoß. Da vernimmt er plötzlich eine sanfte, ruhige Stimme, die fragt: „Was ist denn los, kleiner Schmetterling? Wieso bist du so traurig?" Verdutzt blickt er sich nach dem Ursprung der Stimme suchend um. „Ich bin hier unten", gibt sich die Rose zu erkennen. „Seit wann können Rosen denn sprechen?", entgegnet der Schmetterling sichtlich überrascht. „Wir können immer dann mit anderen Wesen sprechen, wenn diese sich für unsere Weisheit öffnen", erklärt ihm die Rose freundlich, „wenn du magst, kannst du mir also gerne erzählen was passiert ist, dass du so traurig und erschöpft bist, lieber Schmetterling."
„Ich weiß es auch nicht genau," setzt der Schmetterling leise an, „an manchen Tagen habe ich das Gefühl ich bin in einem Spinnennetz gefangen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Es gibt keinen Weg hinaus, oder ich kann ihn zumindest nicht erkennen." „Aber wieso fühlt es sich denn so an? Du bist doch wunderschön und klug und kannst rasend schnell und flink fliegen, das habe ich mit eigenen Augen oft genug beobachtet", hakt die Rose vorsichtig nach. „Ach weißt du, immer wenn es regnet, dann bekomme ich die allermeisten Regentropfen ab. Manchmal bleiben einige meiner Freunde sogar ganz trocken, andere kriegen zwei oder drei Tropfen ab, aber ich... Ich sehe aus, als ob ich in einen Teich gefallen wäre. Das ist einfach unfair. Die anderen können nach einem kleinen Schauer weiterfliegen und werden vom nächsten verschont, aber ich, ich bekomme jeden voll ab. Jedes einzelne Mal werde ich so klitschnass, dass ich nicht mehr fliegen kann, weil meine nassen Flügel viel zu schwer werden, um sie auch nur einen Millimeter zu bewegen", schluchzt der kleine Schmetterling aufgelöst.
„Ich weiß, dass das für dich bestimmt nicht einfach ist," beginnt die Rose ihn an ihrer Weisheit teilhaben zu lassen, „aber genau das hat dich so wunderschön und stark gemacht. Natürlich fühlt es sich beschissen an, wenn du immer nasser wirst als die anderen und dich dann fühlst, als würde das Gewicht der ganzen Welt allein auf deinen Flügeln lasten, aber dahinter steckt ein ganz simples Prinzip." „Welches denn?", unterbricht der Schmetterling sie neugierig. „Jeder bekommt auf dieser Welt immer so viel, wie er oder sie tragen kann. Manche Schmetterlinge sind von den drei Tropfen, die sie abbekommen, genau so erschöpft, wie du von einem ganzen Eimer voll. Damit diese nicht sterben, bekommst du mehr Regen ab. Im ersten Moment mag dir das unfair erscheinen und du musst dich damit auch nicht gut fühlen, aber es wird dich immer stärker machen", erklärt ihm die Rose mit ruhiger Stimme. Wütend entgegnet der Schmetterling: „Aber dann hört es ja niemals auf!" „Nein es wird nicht aufhören," antwortet die Rose, „aber du wirst lernen damit zu leben und deine Stärke zu lieben, auch wenn sie dafür sorgt, dass du mehr Tropfen abbekommst als die anderen. Außerdem schau doch mal, du bist wieder trocken, also genieß die Zeit bis zum nächsten Regen und denk an meine Worte. Alles hat einen Sinn, dein Leid geschieht nicht grundlos."
Etwas weniger traurig schwingt sich der kleine Schmetterling in die Lüfte, während er nach und nach die Bedeutung der Worte der schönen Rose begreift.