Koinzidenz

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Hier war ich also. Besoffen und bekifft. Das lustige schummrige Gefühl, welches mein Bewusstsein eingenommen hatte, täuschte mich aber nicht über meine Situation hinweg. Ich war in einer Ausnüchterungszelle gelandet, weil meine Freunde mich wieder mal zurückgelassen haben. Ich sollte nicht immer einschlafen... Aber das hier war eine ziemlich lustige Alternative, ich saß einfach auf dem Boden, lehnte an den kühlen Gitterstäben und schnippte dagegen. Niemand hielt mich ab Party zu machen, die hatten hier keine Musik, also machte ich mir welche! Wuhuuu! Mein Blick hing träge auf dem Boden. Ich war irgendetwas zwischen sehr gut drauf und verdammt fertig.

An diesen Aufenthalt würde ich mich definitiv nicht mehr erinnern. Genau wie vermutlich all die anderen Male auch. Ich war mir sicher ich hatte schon andere Male... Ich landete oft hier, ich feierte auch sehr viel und wenn ich betrunken war dann stellte ich ziemlich viel Müll an. Nicht dass es irgendwen interessierte. Niemand kümmert sich um Kim Taehyung. Schließlich machte ich nichts aus meinem Leben. Ging nur feiern, trank eine Menge Alkohol und...was auch immer. Ich verlor den Faden meiner Gedanken, alles was ich wusste war, dass ich mich furchtbar leer fühlte und das gerade mit guter Musik ausgleichen wollte. Ich durchsuchte meine Taschen nach meinem Handy, doch es war nicht da. Hatte ich es verloren? Ich sah auf und direkt durch die Gitterstäbe. Ah ja, ich war ja in einer Zelle. Die haben mein Handy eingezogen.

Ich starrte ohne jegliches Zeitgefühl mit leerem Blick auf meine Füße, nicht das mein Gehirn noch wirklich was zustande bekäme. Die Zellentür schloss sich wieder und ich blickte auf. Wann war die überhaupt aufgegangen? Ich begegnete einer schwarzen Jeans, welche leicht schwankend an der Gittertür stand, gefolgt von einem weißen T-Shirt und einer Lederjacke, die unordentlich von einer Schulter hing. Die Arme stützten sich am Gitter ab genau wie der Kopf. Schwarze Haare bedeckten das Gesicht, doch das erledigte sich schnell wieder, denn mein Zellengenosse trat einmal mit Schwung gegen die dicken Eisenstäbe, schüttelte mit einer kurzen Kopfbewegung die Haare aus der Stirn und zog die Jacke wieder auf die Schulter.

Er machte einen kleinen Ausfallschritt um das Gleichgewicht zu behalten, ehe er in die Ecke schräg gegenüber von meiner taumelte und sich dort auf die Bank setzte. Er lehnte sich in die Ecke zog die Beine hoch und legte seine Arme auf den Knien ab. Seine Augen sahen genau so betrunken aus wie meine, als er mich endlich ansah.

Ich kannte ihn.

Doch natürlich...sein Gesicht schien etwas mitgenommen, doch es war seines. Da konnte auch die auslaufende Pubertät nichts dran ändern. Ich habe Jahre lang jeden Tag mit ihm verbracht, wie könnte ich ihn nicht erkennen? Er ist groß geworden, stärker. Doch was erwartet man nach so langer Zeit auch?

Mein Blick glitt zurück auf den Flur. Ich war zu betrunken um darüber nachzudenken, doch ich fühlte mich nur noch richtig scheiße. Die Partylaune war weg. Es herrschte diese befremdliche Distanz zwischen uns und das war alles, was mich die nächsten Stunden beschäftigte. Denn einfach schlafen konnte ich nicht, bei dieser drückenden Atmosphäre.

Doch mit der Zeit sank mein Pegel und so langsam kam mein Verstand wieder in Gang. Etwas, auf das ich liebend gern verzichtet hätte. Ich sah ihn nicht weiter an, sondern starrte weiter in den Flur. Auseinanderleben war gar kein Ausdruck für diesen Zustand und in meinem jetzigen Leben wollte ich ihn auch gar nicht haben. Ich schämte mich, es war scheiße.

Wir hatten uns wirklich schon vier Jahre nicht mehr gesehen. Damals waren wir unzertrennlich, da war ich auch noch gut in der Schule, da mochten mich meine Eltern noch, da nahm ich keine Drogen oder ging jeden Abend feiern. Wir waren Kinder, haben immer alles zusammen gemacht, wir wussten alles übereinander, wir waren wie Brüder. Die Welt war so schön gewesen damals.

Und jetzt? Was war bloß schief gegangen, dass ich hier gelandet bin? Das wir hier gelandet sind. Wir haben uns beide verändert, nicht zum Guten offensichtlich. Hat er immer noch Probleme zu Hause? Hat er einen Job? Ging es ihm gut? Ich konnte ihn nicht fragen. Vier Jahre ohne Kontakt, es war seltsam ihn zu sehen. Er war ein völlig anderer Mensch und ich war es auch. Wir waren nicht mehr die unzertrennlich besten Freunde. Es fühlte sich eher an als hätte ich ihn betrogen, dabei ist der Kontakt einfach ausgelaufen.

Wir haben andere Freunde gefunden. Beschissene, wenn man bedachte, dass wir nun beide hier waren und zumindest ich nicht mal mehr wusste wieso.
Wahrscheinlich hatte er eine Schlägerei gehabt, sähe ihm ähnlich. Er war immer schon eher der Typ für physische Konfrontation. Bestimmt hatte er schon den schwarzen Gürtel in irgendwas. Aber ich würde es nie erfahren, wir waren Fremde und ich wollte auch nicht reden.

Auf seltsame Art und Weise tat diese Begegnung einfach nur weh. Weil er sich nicht mehr gemeldet hatte und weil ich es auch nicht getan hatte. Beides versetzte mir einen tiefen Stich, den ich nicht durch irgendwelche Gespräche vertiefen wollte. Ich wollte einfach nur hier raus und wieder Spaß haben.

Es dauerte geschlagene vier Stunden, die wir in eiserner Stille verbrachten, ehe ein Beamter zu uns kam und aufschloss. Ich konnte die Verbitterung förmlich auf meiner Zunge schmecken, vielleicht war es auch der Alkohol. Diese Begegnung hatte mir unter die Nase gerieben, was ich alles verloren habe und nie wieder bekommen würde. Wir hatten uns einfach best möglich ignoriert und so hielten wir es auch jetzt, als wir nebeneinander her liefen, unsere Sachen wiederbekamen und aus dem Gebäude auf die Straße traten.

„Jungkook!", rief eine kleine Gruppe von Leuten freudig und nahmen besagten direkt in ihre Mitte. Ich ging zu meinen Leuten, hinter mir das bekannte Klicken eines Feuerzeugs. Er raucht also auch. Während ich zur Begrüßung erstmal eine Runde ausgelacht wurde, da ich wieder einfach weggepennt war, hörte ich die andere Gruppe bereits über irgendwelche Dummheiten reden. Wir waren definitiv in den falschen Kreisen.

Er hätte das sicher nicht gemacht.

Dieser Gedanke schlich sich in meinen Kopf und er ließ mich plötzlich noch einsamer fühlen, als so schon. Jungkook hätte mich nicht einfach schlafend irgendwo liegen lassen. Aber was sollte ich tun? Die alten Zeiten waren vorbei und sie würden nie wieder kommen. Die Enttäuschung über meinen derzeitigen Zustand nahm unweigerlich mein ganzes Sein ein.

Ich hatte die Kontrolle verloren und keine Ahnung, wie ich sie wieder erlangen konnte. Wollte ich das überhaupt? So war ich wenigstens nicht selbst Schuld. So hatte ich einfach nur Pech. Das war erträglich, wenn ich mich nur wieder der nächsten Party hingab. Exakt das war auch mein Plan. Ich würde mich wieder betrinken, dieses Erlebnis vergessen und ihn. War ich betrunken genug störte mich das gar nicht mehr.

Ich würde Jungkook eh nie wieder sehen.

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