03. August 2008 - Azkaban

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Irgendetwas Seltsames ging gerade vor sich, so viel war sicher. Durch die geschlossene Luke seiner Zellentür konnte er zwar nichts sehen, doch er hörte, dass immer wieder Leute geschäftig vorbeieilten und aufgeregt miteinander redeten. Was sie sagten, verstand er allerdings nicht. Mit ihm hatte es immerhin nichts zu tun, sonst hätte er das schon lange zu spüren bekommen. Die Wachen waren nicht gerade zimperlich mit den Insassen und bei ihm hatten sie ein monatlich wiederkehrendes Druckmittel. Einmal hatte er sich mit einem Wachmann angelegt und als der nächste Vollmond kam, hatte man, natürlich versehentlich, vergessen, ihm den Wolfsbanntrank zu verabreichen. In dieser Nacht hätte er sich in der beengten Zelle beinahe selbst getötet und weil man keinen großen Wert auf eine fachgerechte Behandlung legte, würden ihm die hässlichen Narben wohl sein Leben lang bleiben. Seit der Großmeister ihn in das Rudel aufgenommen hatte, war er eigentlich nicht mehr willenlos bei Vollmond und konnte kontrollieren, was er während der Verwandlung tat, doch Azkaban schien ihm diese Macht genommen zu haben. Immerhin - er sah auf seinem rechten Auge wieder etwas und konnte die Tage, die er noch in diesem Loch verbringen musste, schon an zwei Fingern abzählen. Es ging also aufwärts. Ab übermorgen war er frei. Frei, zu tun, was er wollte, und zu gehen, wohin er wollte. Als man ihm gesagt hatte, dass sein Vater ihn besuchen würde, hatte er darauf gehofft, er würde ihm anbieten, nach Hause zu kommen. Stattdessen hatte sich diese Tür vor nicht einmal einer halben Stunde wohl für immer geschlossen. Er schlug mit der Faust gegen die kalte Wand, wieder und wieder, bis sie blutete. Der Schmerz lenkte ihn von der seelischen Wunde ab, die er erlitten hatte. Die Granger. Das war einfach widerlich. Dass sein Vater sich überhaupt mit ihr eingelassen hatte, war schon schwer genug zu ertragen gewesen, auch wenn es natürlich alles zu dem verfluchten Plan seiner Mutter und des Großmeisters gehört hatte, aber dass er sie jetzt auch noch geheiratet hatte, war einfach zu viel. So hatte das alles absolut nicht laufen sollen.

Der Plan war gewesen, seinen Vater für alles bezahlen zu lassen, was er ihnen angetan hatte. Er sollte dabei zusehen, wie das kleine Stück Dreck langsam und qualvoll zugrunde ging, und dann selbst dran glauben. Draco hatte es selbst tun wollen, hatte ihn auch kurz davor gehabt, doch es war ihm nicht gelungen. Das Vorhaben war fehlgeschlagen und die Folge war nun, dass sein verweichlichter Vater draußen glücklich und zufrieden mit einer muggelstämmigen Kröte lebte und er selbst hier drin saß und vor sich hin vegetierte. Nun ja, nicht mehr lange. In den ersten Jahren seiner Gefangenschaft hatte er beinahe unablässig darüber fantasiert, wie er es den beiden heimzahlen könnte, sobald er wieder auf freiem Fuß war, doch inzwischen hatte sich seine Wut deutlich abgekühlt. Er war bereit gewesen, einen Neuanfang zu starten, wollte vergeben und vergessen, einen Schlussstrich ziehen und bei der Gelegenheit versuchen, seinen Vater wieder auf den rechten Weg zu bringen, fort von Granger und ihren Freunden. Daraus wurde nun wohl nichts. Er hatte nicht einfach nur eine Malfoy aus ihr gemacht, nein, sie war nun Dracos Stiefmutter, obwohl sie kein Jahr älter war, als er. Das war so bizarr und krank, er schlug vor Wut noch einmal gegen die Wand.

Er war natürlich selbst schuld daran. Oder besser gesagt, Witherfork war es. Dieser verfluchte Werwolf hatte alles erst ins Rollen gebracht. Es fiel ihm auf einmal wie Schuppen von den Augen. Witherfork hatte ihn gebissen und Narzissa in den Wahnsinn getrieben, er hatte Hermine und Lucius verzaubert und für diese Scharade gesorgt. Er war auch der Grund, warum Draco in Azkaban saß und warum seine Mutter tot war. Witherfork. Wieso bei Merlins Rockzipfel wurde er sich dessen erst jetzt bewusst? Was hatte ihn so lange... Draco sank auf die Knie und betrachtete entsetzt seine vernarbten und blutigen Hände. Was hatte dieser Mann aus ihm gemacht? Er war ein Mörder. Er hatte nicht nur das eigene Blut, sondern auch das von anderen Menschen an seinen Händen kleben. Er hätte beinahe seinen Vater getötet. Er war mitverantwortlich für den Tod von Madam Hooch, die er zwar nie besonders hatte leiden können, aber die es nicht verdient hatte, so zu sterben, für den Tod einer Aurorin, deren Kinder nun ohne Mutter aufwachsen mussten, für den Tod mehrerer Muggel, deren Namen er nicht einmal kannte und an deren zerfleischten Körpern er sich gelabt hatte. Bei dem Gedanken wurde ihm speiübel und er schaffte es gerade noch, sich in den Eimer zu übergeben, der für die Notdurft bereitstand. Das alles war doch ein absoluter Albtraum! Wie hatte er nur zu einem solchen Monster werden können? Er begann, am ganzen Körper unkontrolliert zu zittern, und spürte, wie sich ein unbändiger Schrei anschickte, aus ihm herauszubrechen. Als es so weit war, hatten sich sein ganzer Schmerz, das blanke Entsetzen, der Horror und der Ekel vor sich selbst, Trauer, Wut und Verzweiflung zu einem fast unmenschlichen Laut gebündelt, der im gesamten Gefängnis deutlich zu hören war.

In diesem Moment schwor sich Draco, dass er von nun an in jeder Minute, die er lebte, versuchen würde, für das Geschehene Abbitte zu leisten. Ganz wieder gutmachen konnte er es nicht, das wusste er, aber er wollte seinen Teil dafür tun, dass es für alle leichter wurde. Grimmig schlug er seine Faust wie zur Bestätigung gegen seine Brust.

„Gesprochen wie ein ganz Großer", ertönte eine verächtliche Stimme in seinem Kopf, „und wie willst du das genau anstellen?"

Ihm würde schon etwas einfallen. Erst einmal musste er noch die letzten Stunden in Azkaban hinter sich bringen, dann würde er Ferien machen, irgendwo auf dem Land an der frischen Luft, ein bisschen im Meer schwimmen, so etwas, und dann... Tja. Was dann? Nach Malfoy Manor konnte er wohl kaum zurückkehren. Nicht nur, weil er Lucius ins Gesicht gespuckt und ihn aufs Übelste beschimpft hatte, sondern weil es sich nicht länger wie sein Zuhause anfühlte. Zu viel war dort geschehen, zu viel verband ihn mit der Vergangenheit, die er hinter sich lassen wollte. Nun, er war immerhin nicht ganz mittellos. Seine Mutter hatte ihm etwas hinterlassen und in seinem Verlies in Gringotts sollten auch noch einige Galleonen liegen. Fürs Erste würde er damit über die Runden kommen. Früher oder später musste er sich allerdings eine Arbeit suchen, was nicht leicht werden dürfte. Er war ein Werwolf, ein verurteilter Straftäter, ein Relikt aus einer Zeit, an die die meisten Zauberer nicht erinnert werden wollten. Es sah nicht rosig aus, aber Selbstmitleid half ihm nicht weiter.

„Und im Gegensatz zu einigen anderen bist du noch am Leben", flüsterte eine zweite Stimme, deren erhobener Finger Draco daran erinnerte, was er gerade noch geschworen hatte. Es stimmte, er hatte kein Recht, über sein Leben zu jammern, wo er selbst so viele zerstört hatte.

Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt