04. August 2008 - Azkaban

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So schnell konnte sich das Blatt wenden. Er hätte nicht gedacht, noch einmal in Azkaban zu landen, doch hier war er. Auch wenn die Vorzeichen dieses Mal andere waren. Seine Rippen schmerzten, Flinch und Rolce hatten die Gunst der Stunde genutzt und ihm eine deftige Abreibung verpasst. Diese dreckigen Hunde. Wenn man Leuten wie denen auch nur ein bisschen Macht in die Hände gab, glaubten sie, sich alles erlauben zu können. Sie hatten natürlich gewusst, dass er einen Teufel tun würde, sich über sie zu beschweren. Ächzend setzte er sich auf. Die Nacht auf der harten Pritsche hatte den Prellungen nicht gerade gut getan. Was man ihm vorwarf, war natürlich lächerlich. Er hatte sich an diesem Werwolf sicher nicht die Hände schmutzig gemacht. Auch wenn er es besser getan hätte, bevor er vor einigen Jahren das Unglück in seine Familie gebracht hatte. Draco wäre nicht gebissen worden, Narzissa wäre vielleicht nicht dem Wahnsinn anheim gefallen und er hätte sich nicht der Schmach ausgesetzt, mit einem Schlammblut verkehrt zu haben.

„Und welchen Unterschied macht das? Bin ich deiner nicht mehr würdig, oder was?"

Joan hatte die Hände in die Hüften gestemmt und ihre haselnussbraunen Augen funkelten ihn wütend an. Ihr ganzer Körper schien vor kaum unterdrücktem Zorn unter großer Spannung zu stehen, sogar ihre roten Haare wirkten wie elektrisiert. Es war ihr viertes Schuljahr, sie waren gerade auf dem Rückweg aus den Weihnachtsferien und er hatte ihr eröffnet, dass er als Reinblut nicht mehr mit einem Halbblut wie ihr befreundet sein konnte.

„Ich kann doch nichts dafür, dass das so ist", versuchte er, sich zu rechtfertigen.

„Das was so ist, Lus? Ich verstehe nicht, warum wir keine Freunde sein sollten, nur weil deine Eltern Zauberer sind und mein Vater nicht. Das hat doch nichts mit uns zu tun!"

„Mein Vater sagt..."

„Dein Vater kann mich mal. Er ist nicht hier, oder? Warum lässt du ihn deine Entscheidungen für dich treffen?"

„Ich muss mich nunmal an die Regeln halten, Jo, das ist nicht so einfach, wie du denkst."

„Oh, doch, das ist es. Du bist einfach zu feige. Bislang hat es doch auch niemanden gestört, dass wir Freunde sind."

„Mein Vater hat gesagt, dass ich jetzt kein Kind mehr bin und anfangen muss, auf solche Dinge zu achten."

„Das ist doch Schwachsinn. Ich fasse nicht, dass du uns einfach so wegwirfst. Beste Freunde fürs Leben, erinnerst du dich noch? Hat das denn gar nichts zu bedeuten?"

„Jo, ich kann doch nichts dafür", wiederholte er seinen kläglichen Versuch, sie zu beruhigen, doch Joan schnaubte nur und eilte davon, vorbei an einem Grüppchen kichernder Zweitklässler, die den Streit beobachtet hatten.

„Schert euch zum Höhlentroll!", blaffte er sie an und kehrte in sein Abteil zurück, in dem die anderen Slytherins auf ihn warteten. Die Schwestern Andromeda und Narzissa Black unterhielten sich gerade angeregt, doch Lucius entging nicht, dass die Jüngere der beiden ihm einen glühenden Blick zuwarf. Er wusste sehr wohl, dass sie für ihn vorgesehen war, aber das konnte ihn gerade kaum weniger interessieren, und er ignorierte sie ohnehin so gut es ging. Evan Rosier verpasste ihm einen Stoß mit dem Ellbogen und grinste ihn schief an.

„Bist du das Schlammblut jetzt endlich losgeworden? Hat ja lange genug gedauert."

„Sag das nicht!", fuhr Lucius ihn an und als eine peinliche Stille entstand, fügte er leise hinzu: „Sie ist ein Halbblut."

Die meisten interessierten sich nicht weiter dafür und ließen ihn in Ruhe. Nur Andromeda warf ihm einen seltsam verständnisvollen Blick zu.

Als er wieder in Hogwarts war, wartete am Fuß seines Bettes ein kleines Päckchen auf ihn. Er öffnete es mit flauem Magen, denn er ahnte, dass es von Joan war. In einer kleinen Schachtel lag eine etwa faustgroße Glaskugel, in der ein Schneemann auf zwei dünnen Brettern stand, mit einem roten Schal um den Hals und zwei langen Stöcken in den Händen. Als er die Kugel heraushob, bewegten sich viele silbrige und weiße Flitter und tanzten wie Schneeflocken um den winzigen Bewohner herum.

Auf einer Karte, die bei der Kugel lag, stand:

„Lieber Lus,
ich hoffe, du hattest ein fröhliches Weihnachtsfest. Das ist eine Schneekugel, die ich im Urlaub in den Alpen gefunden habe. Der Schneemann darin fährt gerade Ski, so wie ich mit meinen Eltern, und wenn du ihn schüttelst, dann schneit es. Ich würde mich freuen, wenn du uns nächstes Jahr begleitest, du hättest sicher auch viel Spaß dabei. Jetzt pack aber erstmal aus. Wir sehen uns beim Abendessen.
Deine Jo."

Das schlechte Gewissen breitete sich in ihm aus. Jo würde ihn beim Abendessen sicher nicht erwarten. Das hatte er verbockt. Er stellte die Schneekugel auf sein Nachtkästchen und betrachtete sie wehmütig lächelnd.


„Frühstück!", rief jemand und riss ihn aus seinem Tagtraum.

Eine schmale Klappe in der Tür öffnete sich, um ein Tablett durchzulassen. Lucius hatte auf einmal einen Bärenhunger und stürzte sich auf die Scheibe Brot und den gerade noch lauwarmen Eintopf. Er schmeckte scheußlich, das hielt ihn jedoch nicht davon ab, den Teller bis auf den letzten Rest zu leeren. Er war erst ein paar Stunden hier und merkte schon, wie ihm die Atmosphäre zusetzte. Als die Dementoren noch da waren, war es natürlich bei Weitem schlimmer gewesen, aber es reichte auch so. Wütend schlug er mit der Faust gegen die Wand, bereute es aber sofort, denn seine Rippen meldeten sich durch die schnelle Bewegung schmerzhaft wieder zurück, von den Fingerknöcheln ganz zu schweigen.

Wie sie sich alle gefreut hatten, als man ihn mit bewaffneter Eskorte durch das Ministerium geführt hatte. Einer seiner ehemaligen Kollegen war auch dort gewesen. Wie hieß er noch gleich? Egal. Er legte sich wieder auf die Pritsche und versuchte, seine Gedanken wieder in den Griff zu bekommen. So sehr er sich jedoch anstrengte, er landete immer wieder in dem Zugabteil und fühlte die Last des schlechten Gewissens auf seinem Herzen. Das konnte er gerade auch nicht gebrauchen und daher versuchte er einfach an gar nichts zu denken und starrte an die karge Steinwand. Doch das schlechte Gewissen blieb. Irgendwo nicht weit von ihm entfernt war sein Sohn eingesperrt. Sein Sohn, von dem er sich abgewandt hatte.

„Es tut mir leid", flüsterte er aufrichtig.

Lumine III - FeuerprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt