▪︎Kapitel 6▪︎ Reality?

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PoV Mia

Was genau wollte ich eigentlich von ihr? Auf jeden Fall wollte ich sie besser kennenlernen und vielleicht sogar ein Teil meines Lebens werden lassen. Mit diesem Gedanken und einem Lächeln auf den Lippen schlief ich ein.

Mein Handywecker riss mich laut tönend aus dem Schlaf.
Ich sah um mich und stellte nach einigen Minuten fest, dass es eigentlich Samstag war und ich nur einmal wieder vergessen hatte meinen Wecker auszustellen.
Ehrlich gesagt hatte meine Verpeiltheit irgendwie ein neues Level erreicht.
Da ich sowieso nicht mehr einschlafen konnte, machte ich mich auf den Weg ins Badezimmer.
Auf dem Weg dorhin hörte ich ein klirren und scheppern.

Ich fuhr zusammen. Er war wieder zurück. Mein Vater war wieder von einem seiner Trips zurück.
Ängstlich schlich ich wieder zurück in mein Zimmer und verriegelte mit schwitzigen Fingern die Tür.
Auch er hatte sich seit Vincent starb verändert. Er versuchte seinen Trost im Alkohol zu finden. Oder eher, seine Probleme in diesem zu ertränken.
Immer wenn er trank, bekam ich Angst. Er war dann unberechenbar. Ich konnte ihn nicht mehr einschätzen und das verängstigte mich.

Er wusste überhaupt nicht mehr was er tat und rastete sehr oft aus. Nie würde ich sagen, ich würde ihn hassen, aber er machte mir mit seinem Verhalten eindeutig Angst. Große Angst.
Jemand klopfte an meiner Tür. Ich legte mich mit pochendem Herzen zurück in mein Bett und hoffte er würde mich heute in Ruhe lassen.
Um nicht aufzufallen, stellte ich mich schlafend und da er sowieso nicht durch eine verriegelte Tür kam, verließ er den Flur bald.

Dann hörte ich wie sich eine weitere Tür öffnete. Vermutlich verließ meine Mutter gerade das Schlafzimmer, um ihn anzuschreien warum er die letzten drei Tage nicht nach Hause kam.
Obwohl ich das Geschrei schon erwartete, erschrak ich, als meine Mutter losbrüllte.

Ich klammerte mich an mein Kissen und hielt inne: Am liebsten würde ich mich in diesem Moment einfach in Luft auflösen können. Ich wollte nicht schon wieder einen ihrer endlosen Auseinandersetzungen mit anhören müssen.
Eigentlich sollte ich mich bereits daran gewöhnt haben, da sie sich in der Regel überhaupt nicht mehr normal unterhielten, sondern nur stritten. Seit zwei Jahren musste ich es mir ständig mit anhören. Dieser ständige Hass, dieses gegenseitige Anschreien, machte mich ziemlich fertig.

Trotzdem versuchte ich irgendwie weiter zu schlafen. Tatsächlich gelang es mir, trotz des unendlich lauten Geschrei.

Durch ein leises Schnurren wurde ich sachte geweckt. Moarle saß neben mir auf dem Bett und sah mich erwartungsavoll an. Ich ahnte sofort, was er von mir wollte und fragte ihn: "Hast du etwa Hunger?"
Er miaute zur Bestätigung, lief in Richtung Tür und kratze daran. Ich stand auf und folgte ihm.
Aus meinem Zimmer heraus, über die Treppen, bis nach unten in die Küche, in der sein Napf stand.
Am anderen Ende des Tisches sah ich meine Mutter sitzen. Sie bewegte sich nicht, sagte nichts zu mir und kam mir im Großen und Ganzen sehr abwesend vor.

Also versuchte ich sie anzusprechen, aber sie nahm es nur zur Kenntnis und antwortete mir trotzdem nicht. Vielleicht eskalierte der Streit einmal wieder und einer der beiden wurde gewalttätig dem anderen gegenüber.
Aber irgendwo wollte ich mich aus ihren Streitigkeiten heraushalten und auf gar keinen Fall mit einbezogen werden.
Deshalb ließ ich sie auch schweigend dort sitzen, nahm mein Frühstück und aß es lieber in meinem Zimmer, um den beiden aus dem Weg gehen zu können. Sofort schrieb ich meine Freunde, Ben und Felix an, ob ich heute zu ihnen kommen könnte.
Als beide dann aber keine Zeit hatten, verließ ich trotzdem das Haus.
Irgendwie wollte ich einfach nur weg von meinen Eltern, weg von diesem Ort.

Ich spazierte die Straßen entlang, ohne richtiges Ziel, als plötzlich eine Person hinter mir meinen Namen rief. Erst fuhr ich zusammen, da ich nicht damit rechnete, dann drehte ich mich um.
"Hey.", sagte eine liebliche Stimme zu mir. "Hallo.", antwortete ich, obwohl ich gerade wirklich keine Lust hatte, jemanden zu treffen. Denn auf der einen Seite wollte ich eigentlich gerade niemanden mehr sehen, aber auf der anderen war ich froh sie doch vor dem nächsten Tanztraining wiederzusehen.

Wir begannen, während wir durch die Stadt liefen, ein Gespräch, um uns besser kennenlernen zu können.
Irgendwie verstanden wir uns auf Anhieb wirklich sehr gut und hatten zumindest ungefähr die gleichen Meinungen, was bestimmte Themen betraf.
Vielleicht würde daraus ja noch eine Freundschaft entstehen.

Ständig lächelte sie im Gespräch und auf irgendeine Weise machte sie mich damit etwas wütend. Warum konnte ich nicht wie sie einfach perfekt sein?
Einen perfekten Körper haben, viele Freunde auf meiner Seite besitzen, seinen Tod nicht miterleben müssen, normale Eltern haben, ja einfach normal sein. Warum war es denn so schwer?
"Alles gut bei dir? Du siehst sehr traurig aus.", fragte sie mich. "Ich kenn das, ich bin auch oft traurig, weil mein Leben für mich wirklich mies ist."

Was? Wahrscheinlich stand mir jetzt die Verblüfftheit ins Gesicht geschrieben. Ich verstand ihre Worte gerade einfach nicht. Sie... sie hat doch alles, was ich gerne haben wollte und ist trotzdem noch traurig?
"Warum? Ist etwas passiert?", fragte ich hab besorgt, halb verdutzt, da ich ihre Worte immernoch nicht begreifen konnte.
"Naja, mein Leben ist einfach mies, ich will nicht darüber sprechen.", antwortete sie mir verschlossen und ich nickte nur mit dem Kopf.
"Und was ist mit dir?", fragte sie mich, wahrscheinlich um das Thema zu wechseln.

Da ich noch nie ein Mensch der großen Geheimnisse war, erzählte ich ihr etwas aus meinem Leben. Natürlich nicht alles, aber zumindest eine Art kurze Zusammenfassung, da diesen Roman definitiv niemand hören wollte.
"Naja, du musst wissen, dass ich jemanden verloren habe. Eine Person, die mir sehr nahe stand. Seitdem ging irgendwie alles für mich bergab.", beendete ich meine kurze Erklärung.
"Deine Probleme würde ich gerne haben. Irgendwie kann man mit denen zumindest leben.", antwortete sie mir und ich fiel aus allen Wolken.
Was?! Was sagte sie gerade? Der Verlust einer geliebten Person sei "einfach"?

Dennoch versuchte ich meine Wut und Verwunderung zu kaschieren, indem ich einfach lächelte und ihr zustimmend nickte.
Naja, vielleicht hatte sie ja Recht, vielleicht hat sie wirklich größere Probleme als ich und ich sollte mich nicht so anstellen.
Trotzdem sprach es noch nie eine Person vor ihr aus und ich wusste nicht, ob ich ihr für diese Reaktion dankbar sein sollte oder sie dafür lieber hassen sollte.

When I fall apart || ABGESCHLOSSENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt