Calebs P.O.V.
Nichts würde wieder gut werden. Nie wieder.
Diese Gedanken hatten sich nach zwei Stunden fest in meinen Kopf eingraviert. Die Schmerzen, die sich meiner bemächtigt hatten, wollten einfach nicht mehr aufhören. Es war, als würde mein Herz zerreißen.
Blut sprudelte aus einer offenen Wunde an meiner Brust und ich presste verzweifelt meine Hände darauf, um das Blut aufzuhalten, doch es drang mir erbarmungslos durch die Finger.
Meine Lunge verweigerte den Dienst und ich röchelte keuchend nach Sauerstoff, von dem ich wusste, dass ich ihn nicht bekommen würde. Ich wollte nicht so enden. Verdammt, ich wollte überhaupt nicht enden, so viel war sicher. Aber leider war genauso sicher, dass ich nichts gegen den Tod tun konnte, der seine gierigen Finger nach mir ausstreckte.
Ich wehrte mich, in den verlockenden Nebel abzutauchen, der sich vor mir ausgebreitet hatte und mich zu lähmen drohte. Ich wusste genau, dass er mein Ende bedeutete.
Und dann sah ich sie. Wie ein Engel, und das war sie ja eigentlich auch, beugte sie sich über mich, rief meinen Namen, schüttelte mich. Aber wir wussten beide, dass das nichts brachte.
Das Licht brach sich in ihren braunen Locken und zauberte einen wunderschönen Glanz in ihr Haar. Leider glänzten ihre Augen nicht so sehr, denn ein Ausdruck von Panik trübte das sonst so unschlagbare Funkeln von Fröhlichkeit. Hätte kein massives Eisenschwert in meiner Brust gesteckt, hätte ich gesagt, mein Herz brach in diesem Moment, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es bereits durchtrennt war.
Gott, dieser unglaubliche Schmerz! Er drohte, mich zu übermannen und ich wusste, ich würde nicht mehr lange durchhalten. Mein Körper verkrampfte und ich schrie.
Schweißgebadet fuhr ich in meiner Pritsche hoch. Der Nachhall eines Schreis lag noch in der Luft und ich wusste, dass ich ihn ausgestoßen hatte. Mein Herz raste. Ebenjenes Herz, das vor einigen Monaten von einem Eisenschwert durchbohrt worden war. Seitdem plagten mich grausame Albträume, die mir die eben genannte Situation nochmals deutlich schilderten. Sämtliche Gefühle inbegriffen.
Eigenartigerweise konnte ich mich an jedes grausame Detail erinnern, welches ich in dieser Nacht durchlebt hatte.
Seufzend erhob ich mich und fuhr mir durch mein dunkles Haar, das deutlich an Länge gewonnen hatte. Noch nicht schulterlang aber auch keine 1980er-Vokuhila-Gedächtnisfrisur.
Mit drei langen Schritten durchquerte ich meine Zelle und legte meine Hände um die Gitterstäbe, während ich meine Stirn dagegen lehnte. Ich wusste weder, wie viel Uhr es war, noch, wie lange genau ich schon hier war. Die Tage zogen sich hin wie zäher Kleber und die wenigen Strahlen Sonnenlicht, die durch die vergitterten Fenster drangen, spendeten nur wenig Licht, auch, wenn ich an ihnen in etwa die Tageszeit ablesen konnte. Da im Moment weder besonders viel Licht, aber auch kein silbriger Mondschein in meine kahle Zelle fiel, schlussfolgerte ich, dass es früher Morgen sein musste.
Langsam ließ ich mich am Gitter hinunterfallen und setzte mich auf den staubigen, rauen Steinboden. Die Kälte drang durch meine Klamotten und ließ mich frösteln. Aber ich merkte es kaum. Meine Gedanken drifteten bereits seit einer Weile in eine ganz andere Richtung ab, als sie sollten. Ich wusste, ich sollte nicht über sie nachdenken, aber ich konnte nicht anders.
Wie es ihr wohl ergangen war? Was war aus ihr geworden? Wusste sie noch wer ich war? Wusste sie, dass ich noch lebte? Und noch viel wichtiger: Wie ging es ihr?
Das letzte Mal, als ich sie gesehen hatte, war ihr Gesicht tränenüberströmt und schmutzig gewesen. Ihre Stimme hatte panisch und Angsterfüllt geklungen und mein sonst so positiver Wolfgang hatte hoffnungslos ausgesehen.
Die ganze Zeit war ich arrogant und überheblich zu ihr gewesen. Hatte sie beleidigt und mit gemeinen Sätzen um mich geworfen. Und trotzdem hatte sie weiter versucht, mich zurückzuholen. Trotzdem hatte sie alles getan, um mich zu retten.
Ich musste zugeben, dass Hazel O'Connor mich mehr beeindruckt hatte als ich vor ihr zugegeben hatte. Und auch vor mir.
Aber wozu sollte ich es noch länger leugnen? Ich würde sie sowieso nie wieder sehen. Geschweige denn hier rauskommen...
Ein Klimpern riss mich aus meinen Gedanken. »Nummer 5! Mitkommen.«, schnauzte mich eine zischelnde Stimme an und ich zuckte unwillkürlich zusammen.
Das Klimpern näherte sich meiner Zelle und kurz darauf wurde ein Schlüssel in das rostige Schloss geschoben. Ein Klicken ertönte und die Tür sprang quietschend auf. Mir blieb allerdings keine Zeit, um über eine Flucht nachzudenken, denn sofort wurde ich grob am Arm gepackt und über den staubigen Boden geschleift.
Anfangs war ich mir noch sicher gewesen, den knochigen, alten Dämon überwältigen zu können, da er sehr viel kleiner und schmächtiger war als ich, aber leider hatte er mich vom Gegenteil überzeugt.
Während ich so von ihm weitergezerrt wurde, konnte ich nicht umhin, eine gewisse Ähnlichkeit mit Gollum festzustellen.
Ich kicherte leise; ein böser Fehler, denn Gollum wandte sich mir mit einem bösartigen Gesichtsausdruck zu und riss grob an meinem Handgelenk, wodurch ich wohl oder übel näher zu ihm herangezogen wurde. Eine Wolke fauligen Atems traf mich frontal ins Gesicht und ich hielt unauffällig den Atem an.
»Ich wüsste nicht, was es da zu lachen gibt.«, keifte der Dämon und das Lachen, dass eben noch an meinen Mundwinkeln gezupft hatte, gefror zu einer unsicheren Maske. Ich hasste es, mich so zu fühlen.
Mein ganzes Leben lang hatte ich mich hinter einer Mauer aus Arroganz und unschlagbarem Selbstbewusstsein versteckt, aber die Zeit hier hatte diese Mauer zu einem rostigen Gartenzaun zusammenschrumpfen lassen.
»Ich habe nicht gelacht.«, erwiderte ich ruhig, auch wenn mein Inneres ganz anders aussah.
Zu meinem Glück war der Dämon vor mir nicht wirklich der hellste, weshalb er mich nur kurz kritisch ansah, bevor er mich mit einem Ruck wieder zurückstieß und weiterlief.
Erleichtert atmete ich auf. Das war wirklich knapp gewesen.
Wo würde er mich hinbringen?
Gegen meinen Willen beschleunigte sich mein Herzschlag und ich begann zunehmend, mich zu wehren. Leider vergeblich.
Meine Augen huschten rastlos den Gang entlang, der so steril und sauber war, dass man kaum glauben konnte, dass er sich im gleichen Haus aufhielt wie der dunkle Kerker, in dem ich mich gerade eben noch befunden hatte. Die graue Farbe machte mich stutzig, denn ich war mir sicher, sie bereits gesehen zu haben.
Blitzartig schossen mir Bilder in den Kopf, die allesamt mit den Geschehnissen der Nacht von vor ein paar Monaten zusammenhingen.
Ein Zerren nach links verscheuchte sie wieder und ich landete zurück im Hier und Jetzt.
Wir bogen um eine Ecke und als ich registrierte, wie der Dämon seinen Schlüsselbund zückte, witterte ich schon eine Chance zur Flucht. Aber mein Arm wurde noch immer wie von einem Schraubstock umklammert, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als weiter mitzulaufen. Noch nicht mal etwas, woran ich mich festhalten konnte gab es.
Gollum stieß eine Tür auf und mich hindurch. Stolpernd kam ich zum Stehen und fuhr herum, nur, um zu sehen, wie die Tür knallend ins Schloss fiel.
Mist!
Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend und einer bösen Vorahnung im Kopf drehte ich mich um.
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FantasyDie Fortsetzung von Protected. Ich empfehle, Protected zuerst zu lesen, damit ihr die Handlung verstehen könnt. ~~~ Seit Calebs Tod befindet sich Hazel in einem Strudel negativer Emotionen. Sie hat das Gefühl, versagt und einen unverzeihlichen Fehle...