Teil 5 - Fragen und Antworten?

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"Möchtest du mit hereinkommen?" Genau in der Sekunde, in der YN die Frage gestellt hatte, hätte sich sich am liebsten selbst geohrfeigt.

Ich habe den Verstand verloren! Ich kann doch nicht einen fremden Kerl, und dann noch so einen wie Hisoka, zu mir nach Hause holen!
Wann habe ich das letzte Mal aufgeräumt? Meine Bücher und Notizen liegen überall in der Wohnung herum...

Entgegen ihrer Hoffnung nahm Hisoka die Einladung gerne an und so gingen sie gemeinsam die alten Treppenstufen herauf bis vor ihre Wohnugstür. Zögernd drehte YN den Schlüssel um und öffnete ihre Tür. Zwar lagen ein Buch und einige loose Zettel auf ihrem Couchtisch, aber ansonsten war der Zustand ihrer Wohnung akzeptabel. Gut, dass Bett war nicht gemacht und in der Spüle lag etwas Besteck, aber sie war auch nicht vorbereitet gewesen, dass sie heute noch Besuch bekommen würde.

Sie deutete Hisoka mit der Hand, dass er sich auf das kleine Sofa setzen sollte und er tat wie geheißen. Hastig räumte YN den Couchtisch frei. "Möchtest du etwas trinken?" Sie ging in ihrem Kopf die Optionen durch, die sie anzubieten hatte. Hisoka lehnte höflich ab, während er ihre Wohnung inspiziert.

Ich bin aber auch ein Idiot, jetzt weiß er nicht nur exakt, wo ich wohne, sondern auch, wie es hier aussieht. Nächste Woche steht es in der Zeitung: Junge Frau tot in Wohnung aufgefunden. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich muss aufhören, mir selbst so etwas einzureden. Wenn ich ehrlich bin, kenne ich Hisoka doch gar nicht. Die Gerüchte aus der Schulzeit sind nie bestätigt worden, aber von irgendwo müssen sie stammen. Gerüchte haben meistens einen wahren Hintergrund.

Schon wieder ertappte Hisoka sie dabei, wie sie ihn anstarrte. Beschämt drehte YN den Kopf zur Seite und tat so, als würde sie ihren vertrockneten Tulpenstrauß neu arrangieren. Durch die traurig herunterhängenden Blütenköpfe erhaschte sie einen weiteren Blick auf ihn.

Er merkt doch, dass ich immer wieder zu ihm herübersehe. Und sein dummes Grinsen kann er sich ruhig sparen! Entweder passiert jetzt etwas oder er soll gehen! Was will er hier?

"Ich weiß", fing er auf einmal an, "dass ich dir bisher keine deiner Fragen beantwortet habe. Das kann ich jetzt tun. Einen Moment noch."

Er hob seinen rechten Zeigefinger und ein rosafarbener Strang kam zum Vorschein. Der Strang teilte sich, die eine Hälfte schoss auf ihre Wohnungstür zu, die andere bespannte ihr Fenster.

Er hat mir meine beiden Fluchtmöglichkeiten genommen. Jap, das wars also. Mal sehen, wie lange die Polizei braucht, um meine Leiche hier zu finden. Wenn das rosane Zeug luftundurchlässig ist, wird es länger dauern. Die Nachbarn würden meinen Tod gar nicht bemerken.

Instinktiv griff YN nach einem schweren Gegenstand, den sie als Waffe einsetzen konnte. Leider stellte sie fest, dass der "schwere Gegenstand" nur eine Packung Taschentücher war.

Hisoka ergriff das Wort: "Bevor du fragst, das ist Bungee Gum, meine Nen-Fähigkeit." YN zog fragend eine Augenbrauen in die Höhe, doch er ließ sich durch ihren Ausdruck nicht beirren. "Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, damit wir nicht belauscht werden." Hisoka atmete tief durch.

Warum erzählt er mir das? Offenbart er mir etwas Kriminelles? Ist etwas passiert? Soll mich das Bungee Gum ruhig stimmen?

"Du bist sehr leicht zu durchschauen, YN." Hisoka lachte. Zum ersten Mal sah YN den jungen Mann lachen. Es war keines aus vollem Halse, eher ein höflich platziertes und zurückhaltendes, beinahe spöttisches Lachen. "Wenn du nachdenktst, ziehen sich deine Augenbrauen zusammen, das gefällt mir. Aber das müssen wir ändern."

Verlegen um sein ungewöhnliches Kompliment zwang sie sich, ihm trotzig zuzugrinsen. Bisher hatte sie niemand als "leicht zu durchschauen" bezeichnet, eher im Gegenteil. Ihr frecher Blick wurde jedoch unmittelbar von einer übermütigen Neugier übertrumpft. Sie brauchte Antworten und sie brauchte sie jetzt.

"Hisoka, was tust du hier? Was machst du in meiner Wohnung? Ich stelle dir Fragen, die du mir aber anscheinend nicht beantworten kannst. Warum sitzt du hier und redest mit mir ohne mir etwas zu sagen? Ich verstehe das nicht. Du hast mich vor den komischen Typen gerettet, dafür bin ich dir sehr dankbar, aber was willst du jetzt noch von mir?"

Die Fragen sprudelten nur so aus ihr raus und YN war selbst erstaunt, dass sie den Mut aufbrauchte, ihn so direkt zu konfrontieren und sie war noch längst nicht fertig. "Wer bist du eigentlich? Ich weiß... gar nichts über dich. Du warst damals mit mir auf der selben Schule, aber da hat man Dinge über dich erzählt, die ich mir nicht vorstellen kann. Deine... Präsenz wirkt respekt- ja angsteinflößend, aber ich glaube, dass du tief in dir drin, ein guter Mensch bist. Erzähl mir bitte, wer du bist. Du bist schließlich in meiner Wohnung. Muss ich Angst haben?"

Fast unbeeindruckt von ihrer Ansprache lehnte Hisoka sich zurück und schaute YN an. Ihre Worte entzückten ihn und er genoss sichtlich die Situation. Er ließ sich viel zu viel Zeit, bevor er antwortete.

"Wie mein Name lautet, weißt Du bereits. Ich bin ein Hunter und ein Floormaster."

Gelegenheit macht LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt