Oɴᴇ

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Ich öffnete die Augen. Alles was ich sah, wirkte verschwommen. Mein Kopf dröhnte, als hätte ich einen harten Schlag bekommen und ich wollte mich hinlegen und weiterschlafen.

Als ich mich zurücklehnte merkte ich aber, dass ich mit dem Rücken auf hartem Waldboden lag. Ich wusste nicht, was passiert war, an nichts konnte ich mich erinnern.

Ich richtete mich auf und sofort drehte sich alles. Ich schwankte ein wenig, aber mit der Zeit ebbte der Schwindel ab und ich fühlte mich zwar benommen, aber konnte mich immerhin auf den Beinen halten.

Was machte ich hier? Ich versuchte mich zu erinnern, aber da war nichts. In meinem Kopf herrschte absolute Leere, einfach nichts. Ich wusste nicht einmal, wer ich selber war.

Ich sah mich um und blickte in einen dunklen Wald, der mich von allen Seiten umgab und mich aufzufressen schien. Alles wirkte so seltsam ruhig und kalt, was war das nur?

Ich fühlte mich hilflos und alleine, und genau davor fürchtete ich mich. Wieso war niemand hier, um mir zu helfen? Wer hatte mich hier hingebracht, ich war hier doch sicherlich nicht alleine hergekommen.

Ich beschloss aufzustehen und mich umzusehen. Mir ging es langsam besser, aber ich war vollkommen ausgehungert und brauchte dringend etwas zu essen, sonst würde ich das hier nicht lange überleben.

Vielleicht gab es ja irgendwo Beeren oder ähnliches zu essen. Ich ging durch den Wald und lauschte, aber nirgendwo war ein Tier zu hören. Kein Vogelgesang, nicht mal ein Rascheln im dichten Laub.

Da sah ich vor mir einen Busch, mit schwarzen Beeren. Ich eilte hin, um etwas davon zu pflücken, doch mein Instinkt sagte mir, ich sollte die Finger davon lassen. Was auch immer das hier war, es war nicht gut für mich.

Ich ging also weiter und fühlte mich unsicherer als zuvor. Auf einmal nahm ich einen seltsamen Geruch war. Ich überlegte einen Moment und tatsächlich kam mir dieser Geruch bekannt vor – es war der Geruch von Rauch. Ganz in der Nähe musste ein Feuer brennen.

Ich machte mich auf den Weg und folgte dem Geruch. Ganz leicht hing er in der Luft, aber trotzdem konnte ich ihn riechen.

Ich sah zwischen den dichten Bäumen hindurch, aber noch konnte ich nichts helles erkennen. Ich ging weiter und kurz darauf sah ich plötzlich etwas hinter einem Felsen aufleuchten.

Ich ging näher heran und war mir nun sicher, dass es ein Feuer sein musste. Je näher ich kam, desto lauter hörte ich eine Stimme, die eine Melodie sang. Die Melodie war wunderschön und ich hätte beinahe laut aufgeseufzt, aber ich konnte das gerade noch unterdrücken.

Ich ging also auf den Felsen zu und kurz davor stoppte ich. Ich spähte darüber hinweg und wie ich vermutet hatte, schien dort ein Feuer in der dunklen Nacht.

An dem Feuer saß ein Junge, der mir den Rücken zugedreht hatte. Er stocherte mit einem Stock in dem Feuer herum und sang dabei diese schöne Melodie.

Ich beobachtete ihn eine Weile, wie er da saß, so friedlich und unberührt. Auch, versuchte ich zu erkennen, ob er vielleicht etwas zu essen hatte, konnte aber nichts erkennen, er saß genau davor.

Nach einiger Zeit beschloss ich, hinzugehen und mich zu ihm zu setzen. Er war ja nur ein kleiner Junge und würde mir sicherlich nichts tun. Ich ging also um den Felsen herum und setzte mich gegenüber von dem Jungen auf den Boden.

Ich war mir sicher, dass er mich bemerkt hatte, aber er schaute nicht zu mir auf, sein Blick ruhte noch immer auf dem Feuer.

Jetzt konnte ich ihn richtig erkennen. Er war wahrscheinlich ungefähr so alt wie ich. Auch wenn ich nicht wusste, wie alt ich war. Ich nahm an, dass ich ungefähr 14 Jahre alt war. Er hatte braune Haare und ein nachdenkliches Gesicht. Er hatte dunkle Augen, in denen ich einige bronzefarbene Splitter entdecken konnte. So schöne Augen hatte ich noch nie zuvor gesehen. Das glaubte ich zumindest, sicher war ich mir da auch nicht.

Er trug eine zerrissene schwarze Hose und zerlumte Schuhe. Sein T-Shirt bestand eher aus einem Fetzen Stoff, dass wohl mal ein T-Shirt gewesen war.

An seinem Hals trug er eine Kette mit einem seltsamen Anhänger, der aussah, wie wertvoller Edelstein.

Nun sah ich auch, was er genau machte. Auf den Stock hatte er ein Kaninchen gespießt, mit Fell und allem drum und dran.

Er hatte es wohl geschossen, denn über seinem Rücken hing ein Köcher mit Pfeilen und neben ihm ein schöner geschwungener Bogen. Außerdem hatte das Kaninchen eine große Wunde in der Seite, welche wahrscheinlich von einem Pfeil stammte.

Nun briet er es über dem Feuer. Ich verzog das Gesicht. Ich vermutete, dass man dies tat, indem man die Haut vorher entfernte, aber ich wusste es auch nicht besser und sagte erstmal nichts.

Ich schaute nur zu, wie er den Stock drehte, ins Feuer starrte und die Melodie sang. Ich schloss die Augen und sog die rauchige Luft durch meine Nase ein. Mir ging es schon um einiges besser als vorher, als ich aufgewacht war, und trotzdem fühlte ich mich ausgemengelt.

Ich wusste nicht, ob ich diesen Jungen nach einem Stück von dem Kaninchen fragen sollte. Vielleicht hatte er genauso großen Hunger wie ich und konnte auf ein Stück nicht verzichten.

Nach weiteren verstrichenen Minuten hielt ich es allerdings nicht mehr aus und fragte: ,,Hey, hast du vielleicht auch für mich etwas zu essen?"

Der Junge schwieg. Ich wartete einige Momente, aber als immer noch nichts kam, vermutete ich, dass er mich wohl einfach überhört haben musste.

Als ich gerade den Mund aufmachte, um meine Frage zu wiederholen, hörte er auf einmal auf zu singen. Dann sagte er: ,,Du kannst ein Stück haben, wenn du möchtest." Stille.

Jetzt wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Sollte ich mich bedanken, oder einfach warten, bis das Kaninchen verzehrbar war und dann weitergehen.

Aber wohin sollte ich gehen? Warum sollte ich nicht einfach hierbleiben und mich mit dem Jungen anfreunden. Vielleicht fanden wir zusammen hier raus. Vielleicht konnte er mein Freund werden, und vielleicht war ihm ja sogar das Gleiche passiert, wie mir.

Also sagte ich einfach nur: ,,Danke." Wir saßen beide nachdenklich da und starrten ins Feuer. Ich hätte gerne gewusst, woran er in diesem Moment dachte, aber ich traute mich nicht zu fragen, also blieb ich lieber still sitzen.

Einige Zeit später war das Kaninchen fertig und er zog die Haut ab. Ich drehte mich lieber weg, bevor er sah, was sonst noch so in meinem Magen war.

Unter der Haut sah das Tier aber ordentlich und sehr knusprig aus und sofort knurrte mein Magen. Auf seinem Gesicht konnte ich im Schein des Feuers ein kleines Lächeln über sein Gesicht huschen sehen, aber vielleicht hatte ich mich da auch nur geirrt.

Er riss ein faires Stück des Körpers ab und reichte es mir. Sofort fing ich an es zu zerkauen. Ich versuchte einfach, nicht daran zu denken, wie es vorher dort an dem Stock gehangen hatte, und mit etwas Fantasie schmeckte es dann doch ganz in Ordnung.

Aber mir ging es hauptsächlich darum, etwas in meinen Magen zu bekommen, um nicht zu verhungern. Während wir beide aßen schaute ich oft zu dem Jungen herüber.

Er war sehr vertieft in sein Kaninchen und hatte das größere Stück schneller aufgegessen, als ich das Kleinere. Danach saß er wieder still am Feuer.

Ich wusste nicht genau, was ich jetzt tun sollte. Ich hätte mich bedanken und einfach wieder weitergehen können, aber ich tat es nicht. Ich blieb genau dort, wo ich war.

Mir war ein bisschen unbehaglich zumute, weil niemand etwas sagte. Es war eine unheimliche Stille. Das merkte der fremde Junge wohl auch und fragte mich mit einer nachdenklichen Stimme: ,,Wer bist du?"

Ja, wer bin ich, das war wirklich eine gute Frage. Ich hätte dem Jungen seine Frage gerne beantwortet, aber ich konnte es nun mal nicht.

Also fragte ich stattdessen: ,,Wer bist du?" Er sah mich an und in seinen Augen konnte ich Verwirrung erkennen, als ob er mit sich ringen würde, mir etwas zu erzählen.

Nach einigen Sekunden, die eine Ewigkeit zu dauern schienen meinte er: ,,Ich bin Nathan."

CynthiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt