Ich fühle mich schon anders, während wir zur Schule fahren. Allein schon der Anblick des sehr modern ausgestatteten Audis lässt mich nahezu ehrfürchtig dasitzen und wie blöd starren. Ich kann es nicht oft genug sagen; mir gefällt dieses Zusammenspiel der Farben im Interieur. Soll ich ehrlich sein? Ich sehe Mikołaj viel zu oft an. Mal offensichtlich, dann wieder aus einem flüchtigen Seitenblick. Ein paar Mal hat er mich dabei ertappt. Verdammt, wie rot ich geworden bin. Wenigstens erspart er sich die Kommentare. Es ist mir unangenehm. Daraus mache ich kein Geheimnis. Ebenso wenig aus der Tatsache, dass ich in meinen achtzehn Jahren nie eine Beziehung geführt habe. Mir fehlt das Fingerspitzengefühl. Eigentlich alles. Ich verfluche es, dass ich mich ausgerechnet in Mikołaj verguckt habe. Schön, er sieht keineswegs schlecht aus. Vor allem jetzt, da die dunkelblonden Haare stilvoll hergerichtet sind. Die Temperatur ist ein wenig empor geklettert, dementsprechend beginnen die Linien in seinen Armen, sich deutlicher abzuzeichnen. Ich kaue ab und zu auf der unteren Lippe herum. Stelle mir vor, wie es wäre, in seinen Armen zu liegen. Den Kopf auf seine trainierte Brust zu legen ... Jetzt wird es mir zu deutlich. Ich blinzele schnell und hole mich in die Realität zurück. Werfe einen Blick auf die vermeintliche High-Tech-Mittelkonsole. Acht Minuten, dann wären wir da. Sollte der Verkehr mitspielen. Dann wäre es fünf vor halb. Ich kann den aktuellen Titel des Liedes nicht entziffern – wenigstens ist es kein Schrottrap. Irgendetwas, das zu einem schnellen Partnertanz ermutigt.
„Wir haben jetzt Mathe?" Von mir aus kann er mich für den restlichen Tag zutexten. Ich finde seine Stimme unheimlich anziehend. „Wie is'n eigentlich das Thema? Irgendwas mit Vektoren? Hab' ich zumindest letztes Jahr komplett durchgehabt." Er nähert sich einer unfallbekannten Kreuzung. Gerade von der linken Seite, sollte man von der Nebenstraße auf die breite Ader stoßen, kann man schlecht den Querverkehr einsehen.
„Auch, ja", antworte ich und sehe nach draußen. Zwinge mich, ihn nicht anzusehen. „Schwerpunkt liegt auf Integralrechnung." Ich höre ihn seufzen. Von Begeisterung keine Spur. „Selbst mit dem Rechner ist es ein totaler Scheiß. Ich wäre irgendwie froh, wenn ich da mit fünf Punkten durchkomme." Vier Komma fünf im letzten Jahr. Ich kann mich glücklich schätzen, dass man aufrundet. „Ich dachte, du seist so'n Genie, was die Naturwissenschaft angeht?" Eine gewisse Anspielung auf seinen Vater.
Wenigstens geht er gedankenlos darauf ein.
„Lustig wird es erst, wenn du wegen einer zu komplizierten Rechnung das ganze Gerät für vierzig Minuten aufhängst. Hab' ich schon hingekriegt. Mein Test ist der Einzige gewesen, den man nicht bewertet hat. Wär' aber eh im Endeffekt für'n Arsch gewesen." Mikołaj passiert die Kreuzung. „Ich doch nicht. Mir liegen Sprachen viel mehr. Es ist nicht so, dass ich 'n völliger Fall für die Tonne bin ... Den Einserbereich werde ich nicht schaffen. Maximal elf Punkte. Mehr sind nicht drinnen." Er wischt mit dem rechten Zeigefinger über den Boardcomputer. „Ah, sehr schön. Das passt." Er sieht mich kurzzeitig an. „Steht das Angebot noch?"
Dieses Mal etwas Polnisches.
„Ich will gar nicht wissen, wie du's geschafft hast. Versuch' es wieder. Ich würde gerne etwas zum Lachen haben." Vier Minuten. „Maximal elf Punkte. Ich wünschte, ich würde die Hälfte von dem schaffen." Ich schnaube amüsiert, als der Neunzehnjährige leise lacht. „Jammern auf höchstem Niveau." Es ist wegen gestern. Ich habe darüber nachgedacht. Was habe ich schon zu verlieren? So viel nun auch wieder nicht. „Klar, sehr gern. Ich werde bei deinem Wagen warten." Der wird nicht lockerlassen. Mann, wie blöd bist du eigentlich? Manchmal bereue ich es, dass ich diese innere Stimme im Hinterkopf nie abgewürgt habe. Nimm endlich diese dumme rosarote Brille ab und kehr' auf den Boden der Tatsachen zurück! Du wirst die Nächste sein, die hinten auf der Rückbank liegt und danach am Heulen ist, weil er dich wie ein nutzloses Spielzeug weggeworfen hat.
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Teach me love, good girl
General Fiction„Willst du mit mir Drogen nehmen?" „Bei uns werden aber keine roten Rosen vom Himmel fallen." Jess Evert hält nicht viel von Mikołaj Nowak, als sie ihn zum ersten Mal sieht. Er ist das völlige Gegenteil eines normalen Austauschschülers: Statt Rückha...