Der Laden stand schon seit Jahren leer, obwohl er eine gute Lage hatte.
Jeden Tag auf dem Weg zum Markt kam ich an dem Sandsteingebäude mit den großen Rundbogenfenstern vorbei und blickte in eine Leere, die mich magisch anzog. Jeden Tag nahm ich mir ein paar Minuten und drückte mir die Nase am Glas platt und sog das Bild des leeren Gebäudes in mich auf.
Fünf gelbe Stufen führten zu einer braunen Holztür, die den Eingang zum Laden bildete. Sie befand sich genau mittig in der Front des Hauses. In das Holz der Tür waren kleine Fenster aus Buntglas eingelassen. Jedes Bild zeigte eine andere Jahreszeit und mittig, genau zwischen den Bildern war eine geschnitzte Rose. Feine Risse zogen sich wie Adern durch die hölzernen Blütenblätter.
Der rostige Handlauf war einmal mit einem schwarzen Lack überzogen, doch das Wetter hatte ihn abgewaschen. Übrig geblieben war nur das dunkle Metall, das in romantischen Schnörkeln die gesamte Treppe hinauf reichte. Zwischen den Stufen wuchs bereits das Moos heraus und sogar ein Gänseblümchen hatte dem Stein getrotzt. Ich wollte es berühren, doch die Ehrfurcht vor diesem Laden hielt mich zurück.
Links und Rechts neben der Tür waren diese wunderschönen, großen Rundbogenfenster, die den Blick ins Innere des Ladens frei gaben. Sie waren von einem gelben Rahmen umgeben, der ähnlich filigran gearbeitet war, wie der Handlauf. Das Glas war trotz seines Alters klar, aber schmutzig. Viel zu lange hatte niemand die Scheiben geputzt.
Der Boden im Inneren des Geschäfts, der aus dicken Holzdielen bestand, war von einer dicken Staubschicht bedeckt. Mein Blick folgte dem Verlauf der Dielen bis hin zu einer gelben Seidentapete. Sie hatte ein kleines Blumenmuster, das jedoch schon fast vollständig verblasst war.
Wie in die Wand eingelassen wirkten die dunklen, leeren Massivholzregale. Ich versuchte mir vorzustellen, welche Waren sie einmal beherbergt hatten und was dazu geführt hatte, dass dieser Laden nun schon so lange leer stand. Meine Gedanken bekamen Flügel und entführten mich in Wolkenschlösser, in denen ich diesen Laden mietete und ihn mit den herrlichsten Waren füllte. Ich stellte mir vor, was ich dort verkaufen könnte: Selbstgemachte Marmelade, Blumen oder Kleidung?
Zwischen den Regalen befand sich eine Tür die in den hinteren Bereich des Ladens führte. Der weiße Lack blätterte auf den staubigen Boden, wie Schnee auf ein abgeerntetes Feld. Der Knauf in der Tür war ein weißer Glaskristall, in den jemand kleine Ornamente geschnitzt hatte. Die Tür war angelehnt und verbarg so den Blick ins Lager des Ladens. So sehr ich auch den Hals reckte und streckte, die Tür verhinderte unerbittlich jeden Blick nach hinten und ich konnte es nur meiner Vorstellungskraft überlassen, sich auszumalen, wie es im hinteren Teil des Ladens wohl aussehen mochte. Ich hätte mein gesamtes, äußert spärliches Hab und Gut gegeben, um einen Blick hinter diese Tür werfen zu dürfen.
Schon als Kind hatte ich zu viel Phantasie besessen und diese Eigenschaft war mir auch mit dem Erwachsenwerden nicht abhanden gekommen. Der Gedanke, einen eigenen Laden zu besitzen, beflügelte mich, auch wenn ich wusste, dass dies ein Traum war, der aufgrund meiner Herkunft niemals wahr werden konnte. Es war nur Leuten aus der Adelsschicht gestattet, Geschäfte zu Eröffnen und zu führen. Ich war das Kind von Arbeitern. Nicht einmal durch eine Heirat mit einem Aristokraten, hätte ich mir die Privilegien der Aristokratenkaste zu Eigen machen können.
Also packte ich meinen Korb und machte mich auf den Weg zum Markt, wo ich den ganzen Tag für die Aristokraten und ein Stück Brot arbeitete. Spät am Abend, als ich vom Markt zurückkehrte, war es schon zu dunkel um einen Blick in meinen Laden zu werfen.
Ich war zu Müde um meine Lampe anzuzünden also lief ich an den großen Schaufenstern vorbei und hatte das Gefühl, der leerer Laden verfolgte mich mit vorwurfsvollen Blicken.
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Der Laden
FantasyDer Laden stand seit Jahren leer, obwohl er eine gute Lage hatte. Die Arbeiterin Rosa kann es sich nicht erklären, aber etwas an diesem Laden zieht sie magisch an.