Teil 9 - Das ging nach hinten los

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"Ich mag dich wirklich sehr, YN." sagte Kaito vor sich hin stotternd. "Wir kennen uns nicht lange, aber du bist echt süß. Du hast mir bei der Arbeit geholfen und alles gezeigt und heute siehst du wirklich wunderschön aus. "

Er zog seine Hand, die bis gerade noch ihre Hand festhielt, ruckartig weg und fuhr sich damit durch seine zerzausten Haare.

Ich finde ihn auch wirklich nett, aber wir er schon gesagt hat. Wir kennen uns nicht, das geht mir zu schnell. Warum hat er das jetzt gesagt? Ich muss auch etwas sagen, nicht dass ich wieder zu lange vor mich hinträume.
Sag jetzt was!

"Kaito, hör zu, du bist ein netter Typ und ich finde dich echt sympathisch. Aber meinst du nicht, wir sollten uns erst besser kennenlernen?" Sie schaute ihn besorgt an.

Hoffentlich habe ich es jetzt nicht verbockt. Verdammt!
Warum bin ich nur so? Wann war das nochmal, wo ich mich so sehr bedauert hatte, allein zu sein?

"Ja, du hast natürlich Recht. Wir sollten es langsam angehen", er war bemüht, das Thema zu wechseln. Er schaute sich im Café um, auf der Suche nach einem anderen Aufhänger. "Was machen deine Eltern beruflich? Nur so aus Neugier. Hast du Geschwister?"

Es wurde nicht besser. YN sprach nicht gerne über sich oder ihre Vergangenheit, sie lauschte lieber den Geschichten der anderen. Wenn sie etwas erzählte, und sei es nur eine Person, die ihr gegenüber saß, verhaspelte sie sich ständig. In solchen Situationen fühlte sie sich wie auf einer Bühne, die hellen Scheinwerfer auf sie gerichtet, das Publikum gespannt wartend, dass sie eine eindrucksvolle Rede halten würde.

"Mein Vater war Handwerker und meine Mutter arbeitet in einem Servicecenter einer Immobilienfirma." Sie wusste, dass Kaito fragen würde, ob ihr Vater im Ruhestand war oder wie das "war" gemeint war, also schob sie hastig die Antwort hinterher. "Er ist damals bei einem Unfall gestorben, er wollte meine kleine Schwester vom Kindergarten abholen, da wurden beide angefahren. Seitdem gibt es nur noch Mama und mich."

Bedrückendes Schweigen stand zwischen ihnen. Die Sachlichkeit, mit der YN vom Tod ihres Vaters und ihrer kleinen Schwester erzählte, hätten einige s kaltherzig bezeichnet. Doch YN hatte mit der Zeit gelernt, so nüchtern wie nur möglich davon zu berichten. Andernfalls wäre sie den Tränen nahe und das wollte sie gerade jetzt um jeden Preis vermeiden.

So hatte Kaito ihr Treffen nicht geplant, entsetzt griff er wieder nach YNs Hand. "Das tut mir Leid, ich wusste ja nicht, dass...."
"Schon gut", unterbrach sie ihn und lächelte ihm gezwungenermaßen zu. Sie wollte jetzt nicht über eine Tragödie sprechen, die bereits mehr als zehn Jahre zurück lag.

Die Stille an ihrem Tisch war mittlerweile unerträglich geworden. YN fühlte sich schuldig, obwohl sie nichts für Kaitos Fragen konnte. Ihn traf streng genommen auch keine Schuld, er wollte nur mit Smalltalk die Stimmung lockern.

Im nächsten Moment ergriff YN das Wort, sie wollte ihre Verabredung nicht noch schlimmer enden lassen. "Kaito, ich schlage vor, wir treffen uns an einem anderen Tag und machen etwas anderes zusammen. Ich muss sowieso noch etwas Wichtiges erledigen. Vielleicht könnten wir zusammen in einen Freizeitpark gehen?"

Sie hatte nichts zu erledigen, sie wollte nur zügig das Café verlassen und das damit verbundene Desaster beenden. Kaito auf ein nächstes Mal zu vertrösten erschien ihr gerade sinnvoll und er machte auch nicht den Eindruck, dass er irgendwelche Einwände hatte.

In einem Freizeitpark kann man sich wenigstens nicht zu viel über unangenehme Dinge unterhalten.
Das war wohl ein Fehlstart. Und trotzdem ist er so unbekümmert, wahrscheinlich macht er sich nur halb so viele Sorgen wie ich.

Dankbar, dass es am Ende doch noch eine positive Wendung gab, beschlossen sie, sich demnächst wieder zu verabreden. Zusammen verließen sie das Café. Kaito verabschiedete sich von ihr und so trennten sich ihre Wege.

Es war später Nachmittag, als YN alleine vor dem Café stand. Der Sommer hatte bislang nicht nachgelassen und die Sonne schien unermüdlich seit Wochen durch. Die sonst stolzen Bäume in Innenstadtnähe brauchten dringend Wasser, andernfalls würden sie vertrocknen und langsam sterben. Doch es hatte seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr geregnet.
Die Bewohner von Yorknew City waren wie eh und je beschäftigt unterwegs, aber hier im Zentrum anders als in den Randbezirken. Anhand des Kleidungsstils konnte man unschwer erkennen, dass hier die Wohlhabenden und beruflich Erfolgreichen durch die großen Alleen marschierten. Außerdem waren die modernen Gebäude imposant gebaut und deutlich gepflegter, die Parkanlagen waren sauberer und die Geschäfte verkauften teuren Schnickschnack.

YN seufzte und entschied sich, zu den Fischteichen zu gehen. Wenn sie schon einmal hier war, wollte sie die Gelegenheit nutzen, durch eine Parkanlage zu spazieren, zu der sie wahrscheinlich nicht so schnell wieder kommen würde. Zudem hatte sie ihr Buch dabei und sie würde sicher noch ein oder zwei Kapitel schaffen zu lesen, bevor sie nach Hause fahren würde.

Sie überquerte die vielbefahrene Kreuzung und betrat den Park mit den vielen Teichen. Mütter waren mit ihren Kindern unterwegs, einige Freunde machten ein Picknick und drei ältere Herren saßen unter einem schattenspendenden Baum und versuchten ihr Glück beim Angeln.

Schade, es sollte heute wohl einfach nicht klappen. Irgendwie habe ich mir das anders mit Kaito vorgestellt. Dabei hätte ich mir schon gewünscht, dass...

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