Kapitel zwanzig | Chillen ist chillig.

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Als ich am nächsten Tag vor dem großen Tor der Badgley-Villa stand, fiel mir auf, dass ich kein einziges Mal die verdammte Klingel benutzt hatte. Bedeutet also, dass ich wie der größte Horst vor diesem riesigen Tor stand und vergeblich nach einem kleinen Knopf suchte, der Wyatt sagen würde, dass ich da war.

Ich hatte ihn schon angeschrieben (ich bin schließlich nicht ganz so dumm und noch dazu ein Handy-abhängiger Teenager), aber anscheinend war sein Handy nicht in seiner Hand, noch irgendwo anders in der Nähe. Dumm gelaufen für mich, denn anscheinend hab' ich nicht mal genügend Gehirnzellen um eine Scheiß Klingel zu finden.

Oder vielleicht bin ich auch einfach nur blind.

Als ich zum gefühlt hundertsten Mal das Tor entlang lief und mir wie der größte Vollidiot vorkam, hatte ich tatsächlich eine gute Idee aus dieser Kacke raus zukommen. Und dass ich nicht schon früher drauf gekommen war, zeigte natürlich nur noch mehr wie langsam mein Gehirn tatsächlich arbeitete.

Ich rief ihn einfach an.

Wow, ich glaube, das ist eine Premiere, denn ich kann mich nicht daran erinnern jemanden tatsächlich mal angerufen zu haben. Machte das heutzutage überhaupt noch jemand? Ich definitiv nicht. Nachrichten erfüllten denselben Zweck und weil ich schlaue Person meins sowieso auf lautlos gestellt habe, konnte mich sowieso niemand erreichen. Zumindest redete ich mir das ein, denn wir wissen alle, dass meine Generation 24/7 an diesem kleinen Teil hängen könnte, wenn es keine Schule gebe und immer ein Ladekabel in Reichweite.

Jetzt musste mein Arsch nur noch drauf hoffen, dass Wyatt kein Mainstream weißer Teenager-Junge war und sein Handy nicht auf lautlos gestellt hatte. Könnte ich Mathe, dann wüsste ich auch wie man die Wahrscheinlichkeit ausrechnen könnte, dass das der Fall war, aber Mathe war ein Haufen Zahlen und Buchstaben, die mich manchmal zum weinen bringen könnten (ich müsste dafür nur wirklich versuchen diese Aufgaben zu lösen).

Es klingelte fünfmal. „Maverick?"

„Hi", sagte ich und kam mir wie der dümmste Mensch auf der Erde vor. „Ich steh vor deiner Tür."

„Oh", war alles was zurückkam. „Warte kurz, ich lasse dich rein." Dann legte er auf.

Wow, das war ja mal das längste Telefongespräch auf Erden. Aber chillig. Ich schob mein Handy wieder in meine Hosentasche. Als ich wieder aufsah bewegte sich das Tor langsam auseinander. Kein Plan, warum mich das so faszinierte, aber ich starrte wie ein kleines Kind im Zoo auf die auseinandergehenden Platten vor mir.

Ich war nun mal arm. Ich hatte nicht mal 'nen Fahrstuhl in meinem Wohnhaus.

Natalie hatte einmal zu mir gesagt, dass die heutige Technik nicht nur begeistern kann, wenn man zu den Ü40 Losern gehört. Tja, ich denke mal, sie hatte recht.

Klar hatte sie das, meldete sich die Stimme in meinem Kopf mal wieder sarkastisch. Sie konnte mich auch nicht in Ruhe lassen. Klar hat sie Recht, jetzt wo du wie der größte Affee vor einem Scheiß Tor stehst und dich wie ein Neandertaler verhältst. Natürlich kann man sich alles als Ausrede zurechtlegen.

Ich brachte sie zum Schweigen und konzentrierte mich darauf möglichst gelangweilt auszusehen. ‚Hard-to-get' rief ich mir ins Gedächtnis und gab mir eine imaginäre Ohrfeige. Du musst wenigstens so tun als wärst du Hard-to-get.

Dann lief ich los. Der Weg bis zu Wyatts Haustür (oder war das Tor schon die Haustür?) war tatsächlich ziemlich kurz. Ich hatte diese Strecke bis jetzt immer nur in 'nem Auto miterlebt - da dauerte sie nur 1 Minute oder sogar noch weniger, ich habe ja schließlich nie die Zeit gestoppt oder so. Deswegen war ich leicht erstaunt, dass ich zu Fuß nicht viel länger brauchte.

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