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„Está en la cocina (Sie ist in der Küche).", meinte Rio.
Es hörte sich ziemlich überzeugend an, er könnte sicherlich ein guter Schauspieler werden.

„¿En la cocina?", hakte Ignacio etwas skeptisch nach.
Mein Herz raste. Würde er Rio nicht glauben, hätten wir ein gewaltiges Problem.
Doch dann sah ich, wie sich die beiden von mir entfernten und in Richtung Küche liefen.
Ignacio voraus, Rio folgte ihm.
Natürlich folgte Rio ihm. So würde Ignacio nicht die Waffe sehen, deren tödlicher Lauf gerade wahrscheinlich auf ihn zeigte.

Es war unerträglich. Diese Ungewissheit über das, was sich hier gerade abspielte. Wieso Ignacio so verbissen nach mir suchte. Was er tun würde, wenn er merkte, dass er von Rio angelogen wurde. Hatte er selbst eine Waffe bei sich?
Möglich war es auf jeden Fall.
Würde er auf Rio schießen? Würde er ihn verletzen? Oder würde Rio zuerst auf ihn schießen?
Diese Fragen quälten mich, während ich tatenlos und feige in der Ecke unter dem Bett zusammengekauert lag und darauf wartete, dass irgendetwas passieren würde.

Es schien eine Ewigkeit zu sein, in der sich nichts tat. Einerseits wollte ich unbedingt wissen, was gleich geschehen würde, denn ich konnte diese Stille nicht mehr ertragen. Die Ruhe vor dem Sturm. Doch andererseits wollte ich nicht, dass hier gleich etwas passierte, das die Situation aus dem Ruder laufen lassen würde.
Meine Nerven waren bis aufs Äußerste strapaziert.

„¿Donde en la cocina?¡No puedo ver ninguna chica! (Wo in der Küche? Ich kann kein Mädchen sehen!)", hörte ich Ignacio rufen.
Ich biss mir vor Anspannung auf die Lippe und ballte meine Hände zu Fäusten. Ich hörte einen Knall, so als ob jemand mit der Hand auf den Tisch schlug.
Ignacio musste wirklich wütend sein weil er mich nicht vorgefunden hatte.
Das machte mir noch mehr Angst vor dem, was er mit mir vorhatte.

Dann hörte ich noch einen Knall, doch es war ein ganz anderer. Dieser ließ mich schreckhaft zusammenzucken, so laut war er. Dann ertönte er nochmal. Und noch einmal. Ich hörte ein dumpfes Geräusch, so als ob etwas schweres zu Boden fiel.
Dann war es still. Totenstill. Ich wagte es nicht einmal zu atmen. Man hätte das sonst wahrscheinlich in der ganzen Wohnung gehört.

Das gerade war das Geräusch einer abgefeuerten Waffe gewesen. Da war ich mir sicher. Ich konnte nur hoffen, dass es Rios Waffe war, mit der er auf Ignacio geschossen hatte. Es wäre eine Katastrophe, wann aber Ignacio die Waffe von Rio in die Hand bekommen hatte und nun auf ihn geschossen hatte.
Ich blieb immer noch zusammengekauert in der Ecke unter dem Bett. Ich wollte nicht aus meinem Versteck raus, da ich vor dem Angst hatte, was ich in der Küche vorfinden würde.
Ein verletzter Ignacio?
Oder ein toter Rio?
Das einzige Mal, dass ich in meinem Leben mehr Angst gehabt habe als jetzt war vorhin gewesen, als Ignacio auf mir drauf gesessen war und meinen Hals zugedrückt hatte.

Ich hörte Schritte, die in der Küche umherliefen. Aber nicht schnelle und hektische Schritte, sondern langsame ruhige.
War das Ignacio, der Rios Leiche begutachtete und dann weiter nach mir suchen würde, sobald er bemerkt hatte, dass Rio tot war?
Oder war das Rio, der gerade überprüfte, was er mit Ignacio angestellt hatte und nun überlegte, was er mit ihm tun sollte?
Ich hoffte so sehr, dass es die zweite Variante war.
Aber wenn es tatsächlich so war, warum kam Rio dann nicht zu mir und sagte mir, dass ich wieder aus meinem Versteck raus kommen könnte?

Ich hörte wieder die Schritte, doch diesmal kamen sie direkt auf mich zu. Ängstlich kniff ich die Augen zu. Ich wusste nicht, was ich machen würde wenn das Ignacio war. Deswegen schaute ich einfach gar nicht hin.
Die Person blieb stehen, wahrscheinlich direkt vor dem Bett.
Mein Herz pochte so laut, dass es das einzige war, was ich hörte. Zögerlich öffnete ich meine Augen, während ich versuchte mich noch enger an die Wand zu pressen. Ich blickte direkt in dunkle braune Augen. Die Augen von Rio, der sich gebückt hatte um unters Bett schauen zu können.

Before DawnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt