Die Tür des Fahrstuhl schloss sich. Kurz darauf setzte sich die kleine Kabine in Bewegung und ich spürte wie sich ein dämpfende Gefühl in mir breitmachte. Mein Gleichgewichtsorgan spielte etwas verrückt, aber mein Körper blieb ruhig gegen die Wand gelehnt. Ein Wunder, wenn man bedachte, dass ich wahrscheinlich mehr Alkohol als Blut in meinem Körper hatte.
Während der Fahrt starrte ich gegen die Wand vor mir. In dem Spiegel konnte ich einen jungen Mann erkennen. Seine braunen, welligen Haare langen wild über seinen Kopf. Einige Strähnen hingen ihm ins Gesicht und versteckten seine hohe Stirn. Seine Augenbrauen waren voll und seine indigo blauen Augen starrten mich an.
Bevor ich mein Gesicht weiter durch den Spiegel beobachten konnte stoppte der Aufzug. Ich wartete darauf, dass sich die Tür öffnete. Jedoch passierte nichts.
Ich schaute auf das kleine Display. Fünf. Wir waren also im richtigen Stockwerk.
Ich machte einen Schritt nach vorne, um auf die Taste, für die manuelle Öffnung der Tür zu drücken. Es gab ein knackendes Geräusch. Die Flügel zogen etwa zwanzig Zentimeter auseinander und verharrten darauf in dieser Position.
Was sollte das den? Ich war doch nicht dünn genug, dass ich eine Chance hatte mich durch die Tür zu quetschen.
Meine Hand wanderte wieder auf die Taste. Dieses Mal fuhren die beiden Türseiten aufeinander zu.
Wenn ich jetzt noch mal auf den Knopf drücken sollte, dann würde sich die Tür sicherlich öffnen.
Der Fahrstuhl sah noch relativ neu aus. Er konnte nicht kaputt sein.
Doch als ich das dritte mal auf den Knopf drückte öffnete sich die Tür nur eine Hand breit. Ich schaute durch den Schlitz durch und erkannte den Teppich der fünften Etage. Er befand sich auf Bauchhöhe. Mein Blick glitt nach unten und ich erkannte Beton.
Das kann doch nicht wahr sein!
Ich drückte nochmal auf die Taste, aber es passierte nichts. Kein Knacken, kein Piepen, keine Bewegung.
Vielleicht musste ich einfach öfters auf den Knopf drücken. Irgendwann würde sich die Tür bestimmt öffnen.
„Glauben Sie wirklich, das die Tür durch Ihre kleine Herzdruckmassage wieder funktioniert?" ertönte eine kratzige Stimme hinter mir.
Ich drehte mich um und musterte meinen Mitfahrer. Ich hatte ihn anscheinend vorher nicht wahrgenommen.
Der Mann vor mir sah etwas älter als ich aus und war ungefähr so groß wie ich. Die Schuhe an seinen Füßen waren weiße Sneaker aus Leder, die mit einem kleinen schwarzen Nike Logo und kleiner oranger ‚Nike'-Aufschrift verziert waren. Er trug eine schwarze Jeans, einen dünnen grauen Rollkragen-Pullover und einen Braunen Mantel.
Seine Haare waren schwarz wie Holzkohle und er hatte sie elegant nach hinten gegelt. Zudem war er mit schokoladenbraunen Augen gesegnet. Das Gesicht von dem Mann gegenüber war fast symmetrisch.
Neben ihm fühlte ich mich etwas armselig. Ich stand hier mit meinen zerlaufenen Vans und der alten Lederjacke meines Vaters. Ich sah fast so aus, wie ein Emo. Oh Gott. Dabei hatte ich meine Emo-Phase schon einige Jahre hinter mir liegen.
Im Gegensatz zu mir sah dieser Mann sah so vollkommen aus. Im wurde bestimmt alles auf einem Silbertablett serviert und das Wort Probleme kannte er wahrscheinlich auch nicht.
„Na ja, es könnte ein Wackelkontakt sein",, antwortete ich ihm auf seine Frage.
Der Unbekannte stoß sich von der Wand ab und kam auf mich zu. Ich machte ihm Platz und er drückte auf die Taste mit einer Glocke. Doch es passierte nichts.
Er drückte wieder auf den Notfall-Knopf, doch dieses Mal länger.
Nach einigen Sekunden meldete sich eine weibliche Stimme: „Guten Abend."
„Guten Abend, der Aufzug ist zwischen dem vierten und fünften Stock stecken geblieben und die Mechanik der Tür funktioniert nicht mehr", erklärte mein Mitfahrer der Dame unser Problem. Wenn er es so formuliert kling es viel unheimlicher. Die Mechanik funktioniert nicht mehr. Wir sind also machtlos.
„Geht es Ihnen gut? Wie lange stecken Sie schon im Aufzug fest?"
Er schaute seine Armbanduhr an, bevor er sprach. „Wir stecken hier seit ungefähr sieben Minuten fest, aber es geht uns gut."
„In Ordnung. Wir werden uns um Hilfe kümmern. Bitte verfallen Sie nicht in Panik und verhalten Sie sich ruhig."
Es wurde Still und ich lehnte mich wieder gegen die Wand. Wer weiß, wann wir hier wieder raus kämen. Es war Freitag-Abend, da waren die meisten Aufzug-Services schon zu.
Ein Blick auf mein Smartphone verriet mir, das es bereits 22.34 Uhr war. Dabei hatte ich mir fest vorgenommen, heute früh schlafen zu gehen. Morgen war ein wichtiger Tag. Die Cornwell Cooperation hatte vor ein wichtigen Deal ab zu schließen. Natürlich durfte da der PR-Manager nicht fehlen. Ich war zwar nur Stellvertretender PR-Manager, aber dieser Deal könnte durchaus über meine Zukunft entscheiden. Jasper Pearson war mittlerweile schon im fortgeschrittenen Alter und meiner Meinung nach hatte er sich den Ruhestand wohl verdient. Warum auch sonst, sollten sie mich 850 Meilen weit weg nach Chicago mitschleppen.
Da sich meine Müdigkeit immer mehr bemerkbar machte, rutschte ich mit meinem Rücken die Wand runter und setzte mich auf den Boden. Ich legte mein Kopf in den Nacken und schloss meine Augen.
An dem dumpfen Geräusch konnte ich erkennen, dass mein Mitfahrer es mir gleich tat.
Ich weiß nicht wie viel Zeit verging, bis ich meine Augen wieder öffnete. Aber ich machte es, um nicht einzuschlafen.
Das Plakat neben der Tür konnte ich auch im nu auswendig. ‚Ein premium Frühstück für zwölf Dollar.' Teuer. Aber zum Glück war für mich alles inklusive, da die Firma alles bezahlte.
Ich spielte an meinem Armband. Es war ein Band aus Jersey, dass mit einem Knoten zusammen gebunden war. Die sechs Striche darauf waren rot, orange, gelb, grün, blau und lila und ergaben einen Regenbogen. Meine Oma hatte es mir vor langer Zeit geschenkt, um mich daran zu erinnern, dass sie trotz unserer verschiedenen Lebensformen immer hinter mir stehen würden.
Ich erinnere mich noch gut daran, als ich ihr offen gelegt hatte, dass ich schwul war. Ich werde ihren Gesichtsausdruck nie vergessen. Sie war so geschockt, dass sie nur ein ‚Sei froh, dass dein Großvater nicht mehr lebt' heraus bekam. Es war zwar kein Balsam für meine Seele, aber mittlerweile konnte sie es gar nicht mehr abwarten, bis ich ihr Mr. Right vorstellte. Das war zwar nervig, aber erwärmte mein Herz jedes Mal auf neue.
„Wann hast du es öffentlich gemacht?", mein Blick glitt zu dem Unbekannten.
Ich hielt mein Armband hoch. „Das ich schwul bin?"
„Ja", dabei glitzerten mich seine braunen Augen an. Aufpassen, nicht das die Schokolade verläuft!
„Da war ich vierzehn Jahre alt." Ich konnte es nicht wirklich glauben. Ich saß hier in dem Aufzug eines Hotels fest und erzählte einem FREMDEN über mein Coming-Out. Träumte ich oder war das der Alkohol? Ich wusste, dass ich immer für Überraschungen gut war.
„Bist du glücklicher als vorher?" Ihn schien das Thema wirklich zu interessieren.
„Nein, glücklich war ich vorher schon", ich machte eine kurze Pause, „Jetzt bin ich freier. Wie eine Blume die nicht mehr mit giftigen Chemikalien gedüngt wird." Ich war ein wahrer Poet. Ich brauchte gar keine Beförderung. Ich werde der neue Schiller, nur besser. Schließlich schillerte ich in den Regenbogenfarben. Ba dum tzz.
Er sah mich melancholisch an. „Das klingt... schön. Ich hoffe du wirst den Richtigen finden." Anscheinend hatte er doch Probleme. Wer sollte schon meiner Freiheit nachtrauern? Interessant. Ich wollte weiter mit ihm reden. Ich mochte unser Gespräch.
Ich hielt ihm meine Hand hin. „Ich bin Wesley. Schön dich kennen zu lernen."
„Mein Name ist Finneas", er nahm meine Hand an.
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General FictionZwei Stunden, zwei Geschichten und ein Aufzug. Wesley Russell. Finneas Barnett. - Kurzgeschichte - © woerteerliebe: Alle Rechte liegen bei mir. Die Geschichte darf nicht kopieren werden.