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„Willst du dich den ganzen Abend nur an der Bar festhalten?" fragt mich mein Kumpel Colin. Ich hebe grinsend mein Glas Tequila und schüttele den Kopf. Ich lecke das Salz von meinem Handrücken, leere das Shotglas in einem Zug und beiße in die Zitronenscheibe, ohne mein Gesicht zu verziehen.

Nachdem ich das Glas zurück auf den Tresen knalle, drehe ich mich zu meinem Freund und sage nur: „Jetzt bin ich bereit loszulassen."
Ich gehe an ihm vorbei auf die Tanzfläche und ignoriere die Blicke der anderen, die entweder von meiner Präsenz genervt oder angetan sind.

Heute will ich es wirklich wissen. Meine dunklen Haare sind perfekt nach oben gestylt, meine schwarze Jeans so eng, dass ich mir noch nicht sicher bin, wie ich sie nachher von meinen Beinen bekomme. Die ersten vier Knöpfe meines schwarzen Hemds sind offen und ich habe all meine Lieblingsketten um meinen Hals. Meine Augen sind dunkel umrandet und meine Fingernägel pechschwarz lackiert.

In meinen Kursen auf dem College gelte ich ohnehin als der schrille, überzogene Künstler und ich liebe diesen Ruf. Ich studiere Musikwissenschaft und die Universitäten haben sich um mich und mein Cello-Talent gerissen.

Schon als Kind habe ich Musik geliebt. Meine Mutter zog mich allein auf und sang und tanzte bei jeder Gelegenheit mit mir. Mit vier besuchte ich zum ersten Mal mit ihr die Oper und da ich seitdem von nichts anderem mehr sprach, bekam ich zum fünften Geburtstag mein erstes Cello.
Ich war viel zu klein für das große Instrument, was mich jedoch nicht davon abhielt, jede freie Minute daran zu sitzen und den Saiten die schönsten Töne zu entlocken.

Ich weiß, dass ich früher oder später eine Anstellung in einem der großen Weltorchester bekommen werde, jedoch habe ich nicht vor, dumm zu sterben und habe mich darum für das College hier in Washington entschieden, da ich hier sowohl Musik- als auch Wirtschaftswissenschaften studieren kann.

Nicht jeder meiner Mitstudenten mag mich, vermutlich bin ich auf Grund meiner extravaganten Art eher unbeliebt, aber ich bin nicht hier, um Freunde zu finden. Colin ist mein Zimmergenosse im Studentenwohnheim auf dem Campus und wir kommen gut miteinander aus. Er ist eher der nerdige Typ, wobei er nicht die hellste Kerze auf der Torte ist, aber er hockt die meiste Zeit vor dem Computer.

Die Tanzfläche ist schwach beleuchtet und die Musik dröhnt in meinen Ohren. Ich habe nicht nur ein gutes Gefühl für Musik, sondern für Ästhetik allgemein und kann mich darum auch sehr gut bewegen. Es dauert nicht lange und die erste blonde Studentin klebt mir am Hintern.
„Hi," quakt sie über die Musik. „Kommst du öfter her?"

Ich sehe sie abwertend an und erwidere: „Wenn du öfter hier bist, dann wohl eher nicht."
Sie braucht einen Moment bis sie begreift, dass meine Antwort kein Kompliment war und dampft beleidigt ab.
Ich bin einem kleinen Abenteuer gegenüber prinzipiell nicht abgeneigt, aber auch hier kommt wieder mein Hang zur Ästhetik ins Spiel.

Bei der Wahl meines Partners bin ich sehr wählerisch, egal ob Frau oder Mann. Hat mein Gegenüber das gewisse Etwas an sich, das meine Aufmerksamkeit fesselt, ist mir das Geschlecht vollkommen gleich. Allerdings lässt sich meine Aufmerksamkeit nicht so leicht fesseln, ich langweile mich schnell.

Ich bewege mich weiter im Takt zur Musik und werfe einen Blick zu Colin, der etwas verloren an der Bar herumlungert. Er genießt es, sich mit mir sehen zu lassen, da er selbst eher der unscheinbare Typ ist und es kam schon des Öfteren vor, dass er bei einer der Frauen landen konnte, die ich verschmäht hatte.

Vielleicht sollte ich ihm Blondie von eben anbieten, aber ich fürchte, nach meiner Reaktion auf sie könnte sich dies als schwierig erweisen und ich habe heute keine Lust, den Kuppler für Colin zu spielen. Er prostet mir mit seinem Bier zu und ich grinse nur, als plötzlich jemand an ihm vorbeigeht, der mir den Atem raubt.

Dreisamkeit | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt