Gelegenheit macht Liebe

Teil 16 - Fight!

Helles Scheinwerferlicht war auf die Akteure des Abends gerichtet. Hisoka sah im Vergleich zu seiner sonstigen Erscheinung völlig anders aus. Zwar waren seine neonpinken Haare hochgestylt, doch auf seinem Gesicht waren farbige Symbole aufgemalt. YN musste sich vorbeugen und genau auf den Monitor schauen, um ihn genauer mustern zu können. Mit zusammengekniffenen Augen erkannte sie auf seiner rechten Wange einen gelben Stern und unter seinem linken Auge war eine pinke Träne. Er trug ein seltsames Outfit.
Es bestand aus einem kurzen, ärmellosen, schwarzen Oberteil, welches sowohl auf der Vorderseite als auch auf der Rückseite mit den vier Kartensymbolen versehen war. Zwischen diesem schwarzen Oberteil und seiner weißen Hose war eine Bahn rosanen Stoffes, die seinen Bauch bedeckte; an den Oberarmen und Handgelenken hatte er enge rosafarbene Ringe angelegt und auch seine Hosenbein waren mit rosanen Bandagen fest eingeschnürt.

Ganz schön viel Rosa für einen Kerl, na ja, wenn er es mag.
Aber was ist das? Trägt er Schuhe mit Absätzen?!

Hisokas Gegner, Ryu Kantaro, sah im direkten Vergleich aus wie ein gestriegelter Typ, der von Beruf Sohn war.
Perfekt gescheiteltes dunkles Haar, jedoch ein wenig zu lang, wahrscheinlich um seine rebellische Ader hervorzuheben. Groß und athletisch schlank, schritt er in lässiger Manier auf Hisoka zu. Sein Blick war abfällig und arrogant. Die Kleidung, die er trug, war viel zu vornehm für diesen Anlass: Ein dunkelblauer Anzug mit Manschettenknöpfen und einer schmalen Krawatte, die nicht akkurat gebunden war.

"Hisoka, mein Freund. Wie lange ist es her?", fragte Ryu in überheblichem Ton. "Junge, Junge, wie die Zeit vergeht. Wie lange ist die Schule schon her?" Sein gekünsteltes Lachen drang durch die Lautsprecher durch die Kampfarena.

Auf einmal erinnerte sich YN wieder. Ryu Kantaro war damals der Kopf der Clique, die Hisoka das Leben in der Schule schwer gemacht hatten. Mehr oder weniger. Er und seine Clique regierten den Schulhof und niemand wagte es, sich mit ihnen anzulegen. Jeder noch so kleine Konflikt wurde aufgebläht, vor den Lehrern und dem Direktor konnten sie jedoch jedes Mal ungescholten davon kommen. Hisoka war vermutlich der erste und letzte, der ihnen jemals Paroli geboten hatte.

"Ich bin so froh, dass wir endlich unsere Meinungsverschiedenheit aus dem Weg räumen können. Findest du das nicht auch... super? Joker?!" Das letzte Wort platzte aus Ryus Mund heraus und in seinen Augen funkelten Abscheu und die Wildheit eines angeketteten Hundes. Er wollte sein Gegenüber provozieren, aber Hisoka blieb unbeeindruckt stehen.

"Ryu, Ryu, Ryu. Lass uns diese Zeitverschwendung endlich hinter uns bringen. Ich habe heute Abend noch was vor." Hisokas Blick wanderte zu seiner Privatloge. Ryu drehte sich um und starrte YN direkt in die Augen. Sein Blick bohrte sich in ihren.
Panisch merkte YN, wie unendlich viele Augenpaare seinem Beispiel folgend zur Loge gerichtet wurden. "Sag Hisoka, ist das deine Liebste, die dort oben auf dich wartet? Konntest du dich von ihr verabschieden?" Der Hohn in seinen Worten war nicht zu überhören. Lässig griff er sich an den Kragen seines Hemdes.

"Der Kampf wird auf jeden Fall phänomenal, wenn wir diesem verbalen Schlagabtausch glauben dürfen, meine Damen und Herren." Die schrille Stimme der Kommentatorin holte die komplette Arena in die Gegenwart zurück.

"Ey Clownsgesicht, es wäre doch jammerschade, wenn sie hier heute Abend alleine, bitterlich weinend, die Arena verlassen müsste. Nur weil du zu schwach warst, um mich zu besiegen. Aber keine Sorge, meine Jungs und ich werden uns gut um sie kümmern." Ryu zeigte die Zähne.

Jegliche Gelassenheit in Hisoka war gewichen und an ihre Stelle trat rasende Wut. Ohne Vorwarnung griff er Ryu an, er zückte in unmenschlicher Geschwindigkeit sein Kartendeck und schleuderte eine Karte nach der anderen auf seinen Gegner.

"Alles klar, der Kampf hat begonnen." Anfeuernde Rufe waren zu hören, doch YN konnte nicht zuordnen, wem sie galten. Überfordert versuchte sie, die Bewegungen der beiden jungen Männer auseinander zu halten, doch sie waren zu schnell. Das Tempo, welches sie an den Tag legten, war mit bloßem Auge kaum zu erkennen.
Hisoka feuerte weiterhin Karten ab und nicht wenige schnitten Ryu im Gesicht und hinterließen feine Risse in seinem Anzug.

Plötzlich hielten beide inne und Hisoka blieb wie erstarrt stehen, irgendwas war passiert. Ryu hatte eine elegante Pose eingenommen, die Handfläche offen nach oben gerichtet. Man könnte meinen, er bot diese einer Dame an, um ihr aus einer Kutsche herauszuhelfen. Eiskalte Luft breitete sich in der Arena aus. YNs Nackenhaare stellten sich auf.

Woher kommt diese Kälte? Doch nicht aus... seiner Hand?

Verwunderte schaute sie zu Hisoka, der noch immer regungslos mitten in seiner Bewegung eingefroren war. "Wie ich sehe, hast du deine Fähigkeiten trainiert. Dann wird dieser Kampf vielleicht doch ganz amüsant. Langweilige Gegner sind nur lästig."
Hisoka dehnte seine Aura aus und zerbrach die unsichtbare Eisschicht, die ihm die Beweglichkeit geraubt hatte. Er lockerte seine Schultern und schoss einen Faden Bungee Gum auf Ryu zu, der nur knapp ausweichen konnte.

"Das war aber knapp", meldete sich die Kommentatorin überflüssigerweise zu Wort; der Kampf bedarf keiner Anmerkungen, denn die beiden unterhielten problemlos das gesamte Publikum.

Als Ryu sich wieder gefangen hatte, feuerte er feine Eiskristalle aus seinem Handgelenk, die sich messerscharf in Hisokas Haut fraßen. Blut strömte aus den winzigen Verletzungen, doch er ließ sich dadurch nicht beirren.

"Was würdest du tun, Hisoka", fragte Ryu spöttisch, "wenn deine Perle...?" Er konnte seine Frage nicht beenden, da sprang Hisoka ohne zu zögern auf Ryu und riss ihn mit Gewalt zu Boden. Aus dem Kampf auf Distanz, jeder mit seiner Art von Messer, wurde augenblicklich ein hemmungsloser Nahkampf.
YN erkannte, dass das nicht ihr üblicher Kampfstil war.
"Halt die Fresse! Ich hätte dich damals erledigen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte", entfuhr es Hisoka zischend, "das wirst du bereuen, Ryu." Er schlug dem Mann, der rücklings auf dem Boden lag, brutal ins Gesicht. Immer und immer wieder, Ryus Nase musste mittlerweile zertrümmert sein und das Blut spritzte in alle Richtungen.

Ganz erschrocken zuckte YN in der Loge zusammen. Der wahnsinnige Ausdruck in Hisokas Augen jagte ihr Angst ein. Auf einmal erinnerte sie sich an die vielen Gerüchte aus ihrer Schulzeit und ein Anflug von Panik überkam sie.

Würde er Ryu töten? Will denn niemand eingreifen?!

Die Menge rief begeistert durcheinander, niemand störte sich daran, dass hier bis aufs Blut gekämpft wurde.
Auf unerklärliche Weise konnte Ryu sich aus Hisokas Angriff befreien und er streckte erneut seinen Arm aus. Das Blut, das ihm aus der Nase tropfte, wischte er sich mit dem anderen Arm weg. Erneut wurde es kalt.

Es muss tatsächlich Ryu sein, der die Kälte heraufbeschwört. Wie macht er das? Hisoka hat mir von den sechs Typen erzählt und das muss Ryus Fähigkeit sein.

Aus den anfänglichen Eiskristallen wurden Eiszapfen, die mittlerweile eine beachtliche Länge angenommen hatten. Unzählige dieser spitzen Eisdolche flogen auf Hisoka zu, der mit Leichtigkeit ausweichen konnte.
"Ryu, es hat keinen Sinn. Mein Bungee Gum umhüllt mich und schützt mich vor deiner Emissionsfähigkeit. Solange ich Bungee Gum aufrecht erhalte, kann das Eis mir nichts anhaben."

Zorn verzerrte Ryus Gesicht, als er merkte, dass die Angriffe seinem Gegner nichts anhaben konnten. Er wusste, dass er körperlich unterlegen war, es jedoch eine andere Möglichkeit gab, Hisoka während eines schwachen Augenblickes zu überraschen und so einen Sieg zu kassieren.
"Hisoka?" Ryu spuckte Blut und wischte sich den Mund sauber. "Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Wir kennen deine Schwäche, deine Achillessehne. Du bist ein niemand, du bist allein auf dieser Welt." Ryu starrte seinem Gegner voller Abscheu in die Augen. "Aber heute sitzt da oben jemand." Er zeigte auf YN. "Sie ist der Schlüssel, um an dich heranzukommen. Sie ist es, deine Schwäche. Ich könnte hier und heute sterben, aber es werden andere kommen, die sie dir entreißen."

In Hisokas Augen war für einen Moment ein Aufhorchen zu erkennen. Doch genauso schnell wie es kam, war es wieder verschwunden. Er grinste siegessicher und machte kurzen Prozess.
Mit einer einzigen Bewegung flogen unzählige Spielkarten auf Ryu zu und zerschnitten jeden Zentimeter seines Körpers. Als sein Gegner ins Wanken geriet und sich schließlich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, ließ Hisoka von ihm ab.
"Ryu, deine Emission hat das Potential, etwas Großes zu werden. Ich werde dich töten, da kannst du dir sicher sein, nur nicht heute."

Der Kampf war beendet.