7.: Etwas wie Liebe

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Wütend schaute ich ihn an: "Was?"

"Ich lasse dich nicht gehen", wiederholte er ruhig.

"Wieso nicht? Ich kann ganz gut alleine auf mich aufpassen!", schrie ich.

"Das hat man ja gesehen! Du rennst rum und besäufst dich, das nennst du auf dich aufpassen? Verdammte Scheiße, das nennt sich Selbstzerstörung und hat nichts, nicht mal das geringste bisschen mit 'Aufpassen' oder 'Disziplin' zu tun!", rief er aufgebracht.

"Wieso kümmerts dich eigentlich so, was ich mache und warum willst du mir helfen?! Ich kenn dich doch kaum!", erwiderte ich zornig.

Für einen Moment sah er mich einfach an.

Meine Wut verflog urplötzlich.

Unser Streit war unwichtig, ich vergaß ihn, mein Konzept, war gefangen von seinen Augen, von seiner Schönheit.

Er sah mich mit diesem Blick. Dem Blick, der genau die Richtige Mischung aus Verlangen und Schüchterheit hatte, der Blick, der den Frauen den Kopf verdrehte und die Sinne vernebelte.

Er sah mich an und ich vergaß alles um mich herum, sah nur noch sein wunderschönes Gesicht, dass mir immer näher kam, bis schließlich seine Lippen sanft auf meinen lagen. Für einen Moment genoss ich es, doch dann kamen die Erinnerungen hoch. Die Erinnerungen an schwitzige Hände an Stellen, an denen ich nicht berührt werden wollte, sabbrige Lippen die mein Gesicht erkundeten und andere widerliche Dinge, die mich sonst nicht kümmerten, aber in Momenten wie diesen wiederkamen, um mich vor der männlichen Welt zu warnen.

Ruckartig löste ich mich und stand auf. "Sorry. Ich kann das nicht.", sagte ich zittrig, ging ins Gästezimmer und schmiss mich auf das Bett.

Wieso bringt er mich mit einem verdammten Kuss so aus dem Konzept? 'Lasse nie wieder einen Mann an dich heran', hatte meine Devise bis dahin gelautet.

Macht das Leben einsamer, aber sicherer.

Und ein Junge, den ich gerade mal zwei Tage kannte, brachte mich dazu, gerade diesen schützenden Schwur brechen zu wollen.

Ich wollte mehr von seinen weichen Lippen.

Aber da waren diese Erinnerungen, Erinnerungen an Dinge an die ich nie erinnert werden wollte.

Die Erinnerungen von denen man sich nicht wünschte, sie zu haben und die man nicht vermissen würde, wenn sie weg wären.

Verdammt!

Ich brauchte meine besten Freunde, meine Retter in der Not, meine Heiler.

Die Klingen.

Hastig stand ich auf und suchte in der Tasche, in der meine 'lebenswichtigen' Dinge steckten. 'Lebenswichtig'. Komisches Wort für jemanden, der sein Leben am liebsten beenden würde.

Als ich sie nach einer Zeit Gewühle endlich fand, setzte ich mich auf das Bett und fuhr mit einer Klinge über meinen vernarbten Arm, über den Arm, der meine Geschichte erzählte. Erst sanft, dann fest drückte ich die Klinge in das Fleisch, dass Blut kam. Das warme Blut, das erst aufhören würde zu fließen, wenn ich tot war.

Jedoch jetzt fühlte ich mich lebendiger als je zuvor.

Es war schwer, doch ich zwang mich aufzuhören um erneut nach zu denken.

Ich musste Adam sagen, was ich für ihn fühlte, oder besser, was ich nicht wollte für ihn zu fühlen.

Doch erst musste ich meinen Arm säubern. Und schlafen.

Ich ging zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Als ich sah, dass auf dem Flur niemand war, huschte ich rüber zum Bad und wusch mir mit ein wenig nassem Toilettenpapier den Arm ab.

Dann rannte ich wieder in mein Gästezimmer, zog mich bis auf die Unterwäsche komplett aus und kletterte in mein Bett.

Ich rollte mich auf die Seite und dachte nochmal über alles nach.

Über die komplette Geschichte, angefangen bei exzessiven Partys.

Es tat mir gut, von den Jungen begehrt zu werden, ich fühlte mich gut, ihr Verlangen tat mir gut, es gab mir das Gefühl, etwas wert zu sein.

Ja, wenn ich genau darüber nachdachte, war ich eine Schlampe gewesen.

Viel Alkohol, viele durchtanzte Nächte, viele unwichtige Jungs, viele lieblose Küsse, viele bedeutungslose Bettgenossen.

Doch ich fühlte mich gut. Es war komisch, doch ich fühlte mich gut, bis hin zu dieser einen Nacht.

Es war eine zuerst gewöhnliche Nacht. Rauchen vor dem Club, einen Tequila zum warm werden, dann hemmungslos Alk hinunterschütten, je mehr desto besser, tanzen, begrapscht werden, küssen, nach Hause, es tun.

Dieses Mal war es anders.

Sonst waren die 18 bis 25-jährigen Jungen meine Zielgruppe.

Er war geschätzte 35, nicht alt, aber älter.

Auf der Tanzfläche, als ich schon nicht mehr ganz bei Verstand war, tanzte er mich an. Ich tanzte weiter, keine deutliche Abfuhr, jedoch der Wink mit dem Zaunpfahl, einen Gang runter zuschalten.

Das tat er nicht.

Er begrapschte mich mitten auf der Tanzfläche, vor allen Leuten.

Wenn ich nicht so viel getrunken hätte, hätte ich mich vielleicht wehren können.

Ich hatte aber so viel getrunken.

Er zerrte mich auf die Toilette und fasste unter mein kurzes Kleid.

"Lass das", sagte ich, vermutlich nicht ganz überzeugend.

"Ach, jetzt aufeinmal? Sonst gefällts dir doch ganz gut, angefasst zu werden, oder?", antwortete er mit dem dreckigen Grinsen, mit dem er wahrscheinlich schon viele Frauen in die Flucht geschlagen hatte.

"Jetzt aber nicht. Ich will das nicht."

"Ich aber."

Ich erinnere mich daran, wie ich mich erst wehrte, doch es dann unterließ, weil ich sah, dass ich keine Chance hatte.

Nach gefühlten Stunden war es vorbei, aber die Erinnerungen blieben bis heute und machten mich fertig, sobald ich jemandem nah kam.

Eine Art Warnung, niemanden an mich heran zu lassen.

Und doch meinte Ich, für Adam etwas ähnliches wie Liebe zu empfinden.

Gott, war das ein Scheiß Gefühl, nicht zu wissen, was man fühlt.

Gedankenversunken starrte ich an die Decke, bis die Tür unerwartet aufging.

Es war Adam. Wer auch sonst.

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Narben { pausiert }Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt