Kapitel 27.

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Nico

Gedankenverloren klopfe ich mit den Fingern einen Beat zur Musik auf mein Lenkrad. Ich parkiere vor unserem Haus, habe meinen Wagen aber noch nicht verlassen. Erst muss ich den Song noch zu Ende hören. Denn erstens ist das Lied übelst geil und zweitens hab ich noch keine Lust ins Haus zu gehen.

Als der Song dann doch zu Ende ist, öffne ich mehr oder weniger begeistert die Wagentür und latsche in Slowmotion zum Haus.

Ich hatte Nora vorhin bei ihr zu Hause abgeladen und sie schien ziemlich glücklich zu sein. Zuerst war ich mir nicht sicher, wie mein Vorschlag bei ihr ankommen würde.
Eigentlich wollte ich nur die komische Stimmung zwischen uns aufheben und möglicherweise wollte ich auch etwas mehr Zeit mit ihr verbringen.

In Gedanken noch ziemlich weit weg öffne ich die Tür und betrete das grosse Haus. Die Haustür fällt mit einem leisen Klicken ins Schloss und noch ehe ich mich richtig umdrehen kann, packen mich schon zwei grobe Hände und schupsen mich heftig gegen die nächst beste Wand.

Leon hat sich vor mir aufgebaut, seine Finger krallen sich in mein T-Shirt. Mit überaus angepisstem Blick fixiert er mich. Überrascht zeihe ich die Augenbrauen hoch und versuche die Situation zu ordnen.

„Du verdammte Schwuchtel!", faucht er mir entgegen und ich sehe, wie er die freie Hand zu einer Faust ballt und drohend auf Höhe meines Gesichtes hebt. Leon zieht das T-Shirt enger um meinen Hals und schnürt mir beinahe die Luft ab.
Nichts desto trotz gelingt es mir ruhig zu bleiben. Ich bin solche Ausbrüche von meinem Halbbruder inzwischen gewohnt. Regungslos blicke ich auf ihn runter und warte geduldig auf eine Erklärung, die er bestimmt bald liefern würde.

Dass ich grösser bin als Leon, hat ihn schon immer gestört. Auch jetzt kostet es ihn sehr viel Überwindung seinen Stolz hinunterzuschlucken und zu mir hochzuschauen. Aber im Moment hat er die Zügel, oder besser gesagt mein blödes Shirt, in den Händen.

„Was willst du?", frage ich mit möglichst monotoner Stimme, weil von Leon immer noch nichts Gescheites kommt.

„Du hältst dich verdammt noch mal von ihr fern, verstanden?!", schnauzt er jetzt zornig. Er spuckt mir die Worte förmlich ins Gesicht, etwas angewidert rümpfe ich die Nase.
Natürlich weiss ich von wem Leon spricht, aber ich beschliesse mich vorläufig dennoch dumm zu stellen.

„Von wem zum Teufel redest du?", blaffe ich ihn also an und versuche mich nebenbei aus seinem Klammergriff zu lösen.

„Du bist zwar dumm, aber so dumm bist du nun auch wieder nicht. Du weisst haargenau wen ich meine!"

Leon war schon immer sehr schnell reizbar und auch jetzt schien er gleich zu platzen vor Wut und dass, obwohl ich erst zwei Sätze gesagt habe.

„Halt dich von Nora fern", fügt er dann doch hinzu, damit es auch ja bei mir ankommt.

„Warum sollte ich das tun?", gebe ich genervt zurück, was vermutlich nicht die beste Antwort war für jemanden in meiner Situation. Blitzschnell nimmt Leon seine zweite Hand zur Hilfe und der Druck um meinen Hals verstärkt sich.

Ich bin vielleicht nicht so aufgepumpt wie Leon, das heisst aber noch lange nicht, dass ich mich nicht auch wehren kann.
Ich trete also kräftig gegen sein Schienbein, zu meinem Glück habe ich meine Schuhe noch nicht ausgezogen und stosse ihn so gut es geht von mir weg.
Mein Halbbruder humpelt einige Meter zurück, sein Gesichtsausdruck ändert sich jetzt von angepisst auf mordlustig.

Er ist aber schlau genug sich nicht nochmals auf mich zu stürzen und bleibt mit einem Sicherheitsabstand zu mir stehen.

„Du hältst dich von ihr fern. Wenn ich dich noch einmal in ihrer Nähe sehe du behinderter Wichser, dann..."

„Dann was?", gebe ich zurück. Scheinbar fällt  meinem Bruder keine wirklich überzeugende Drohung ein. Auch die Beleidigungen scheinen ihm ausgegangen zu sein. Ich sehe förmlich wie es in seinem Kopf rattert.

„Ich nehme an, das war's? Nette Unterhaltung, aber ich hab' jetzt noch besseres zu tun", erkläre ich sarkastisch.
Ich dränge mich an ihm vorbei, kicke meine Schuhe weg und mache mich ans Besteigen der Treppe.

„Du hältst dich von ihr fern... oder Mom und Dad erfahren alles über deine dreckige kleine Sucht", höre ich Leons beschissene Stimme hinter mir und ich erstarre augenblicklich in meiner Bewegung.

Langsam drehe ich mich zu dem Scheisskerl um.

Dass Leon von den Schlaftabletten weiss, ist ein Missgeschick. Vor einigen Wochen war ich einmal gerade dabei gewesen mir einige Pillen einzuwerfen, als er ohne anzuklopfen in mein Zimmer stürzte. Er hatte mich buchstäblich auf frischer Tat ertappt.
Er war zwar verwundert, aber es schien ihn nicht wirklich zu jucken, dass ich mir die Medikamente täglich rein würgte. Es war ja nicht etwas, dass ich aus lauter Freude tat, weswegen Leon Emily und unserem Vater auch nichts davon sagte. Aber scheinbar war es ihm jetzt eingefallen und es war das einzige, was er gegen mich in der Hand hatte.

„Du würdest nicht...", beginne ich, meine Stimme klingt zu meinem Bedauern ziemlich ergeben. Ich kann nicht glauben, dass mein eigener Bruder mich mit so etwas erpressen will. Oder geschweige denn, dass er mich überhaupt erpressen will.

Meine Hand umklammert krampfhaft das Treppengeländer, während ich Leon mit finsterem Blick fixiere.

Mein Halbbruder lässt sich nicht einschüchtern. Er weiss bereits, dass er gewonnen hat. Ein schadenfreudiges Lächeln breitet sich in seinem Gesicht aus und in diesem Moment gleicht er Emily so fest, dass ich mich am liebsten übergeben hätte.

„Du gehst verflucht nochmal Nora aus dem weg, oder du wirst in naher Zukunft ziemlich Probleme mit unseren lieben Eltern haben. Und wenn mich nicht alles täuscht, solltest du davon im Moment ja schon genug haben."

Zwei Sterne am NachthimmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt