Teil 21 - Allein

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Unbehagen breitete sich in YN aus. Sie wusste zu gut, dass sie Kaito vor wenigen Tagen erst versprochen hatte, dass sie ihr katastrophales Date verschieben würden.

Es kommt mir vor, wie eine Zeit aus einem ganz anderen Leben und dabei ist es noch gar nicht lange her.

Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Eigentlich hätte sie ihm klipp und klar sagen können, dass sie es nicht wollte. Das war ihr gutes Recht, auf der anderen Seite wollte sie seine Gefühle nicht verletzen. "Kaito, es tut mir Leid, aber ich kann nicht", fing sie stotternd an, "ich habe jetzt..."

Ja, was habe ich denn? Was sind Hisoka und ich? Sind wir zusammen? Freund und Freundin hört sich irgendwie unpassend an. Aber was soll es sonst sein? Hisoka hat es auch nicht ausgesprochen, dann kann ich doch nicht...

"Also, es gibt da jemanden." Mehr konnte sie nicht sagen, denn Kaito stand bereits auf der Treppe, die in die Bibliothek führte. Er drehte sich um, sein kalter Blick bohrte sich in ihre Augen und YN lief ein Schauer über den Rücken.

"Jetzt sag nicht, es ist dieser widerwärtige Hisoka! Es war seine Loge, von wo aus du den Kampf gesehen hast, richtig? Lüg mich nicht an!"

Die Heftigkeit, mit der seine letzten vier Worte über seine Lippen gekommen waren, verletzten sie zutiefst. Sie hatte sich Mühe gegeben, sich so sensibel wie nur möglich auszudrücken und er machte jegliche Bemühung zunichte.

"Was findest du an ihm? Seit wann läuft da was?" Sein Tonfall war gereizt. "Hast du mir nicht gesagt, dass dir das alles zwischen uns zu schnell geht? Und was ist dann das zwischen euch?" Er gestikulierte wild und zeigte zwischen YN und einer imaginären Person hin und her. "Weißt du was, du bist mir egal!" Kaito war völlig aufgebracht und verließ das Treppenhaus.
Es war, als hätte er sie geschlagen. Allein und erschüttert stand YN da, sie musste ihre Tränen wegblinzeln, damit sie ihr nicht über die Wangen rannten.

Wie konnte er nur? Warum reagiert er so übertrieben?

YN brauchte Zeit, um sich zu beruhigen. Sie ging in den Mitarbeiterraum, wusch sich das Gesicht und setzte sich kurz hin. Bei der Arbeit wollte sie keinen Aufruhr verursachen oder gar, dass der Bibliotheksleiter etwas mitbekommen könnte. Deshalb ging sie wieder in das kleine Büro, um für sich zu sein. Die Rechnungen warteten geduldig auf sie.

Als ihr Arbeitstag sich endlich dem Ende zuneigte, blieb sie noch einige Minuten im Büro, ehe sie ihre Tasche holen würde. Zum Schichtende war die Gefahr zu groß, Kaito zu begegnen und so wartete sie ab. Nachdem ihr die verstrichene Zeit als angemessen erschien, ging sie eilig zu ihrem Spind, holte ihre Sachen und verließ die Bibliothek.
Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und zur Abwechslung wehte ein relativ starker Wind.

Sie hatte Hisoka versprochen, dass sie bei ihm übernachten würde und eigentlich musste sie vorher in ihre Wohnung, um sich saubere Wäsche mitzunehmen. Aber sie wollte nur schnell weg von hier und sich ins Bett legen. Kaitos Vorwürfe waren zu viel gewesen und außerdem wollte sie nicht mit offensichtlich getöteten Augen durch ganz Yorknew City fahren. Deshalb beschloss sie, direkt zu Hisokas Wohnung zu fahren, der Weg dahin war deutlich kürzer als bis zu ihrer.

Wie immer leuchtete die Himmelsarena in vollem Glanz und wie immer war es brechend voll, als sie am Ziel angekommen war. YN nahm den ihr mittlerweile vertrauten Weg zu den Aufzügen. Oben angekommen warf sie die Tasche in die nächstgelegene Ecke, zog sich die Schuhe aus und warf sich auf die große Couch.
Jetzt wo sie alleine war, kamen ihr die Tränen. Sie war traurig und wütend. Traurig, dass sie niemanden zum Reden hatte und wütend, dass sie überhaupt jemanden zum Reden brauchte.

Und was mache ich jetzt? Das ist doch scheiße!

Sie wischte sich die Tränen weg und setzte sich auf. Die Wohnung wirkte ohne Hisoka größer und steriler denn je. Alles war perfekt aufgeräumt und sauber, man könnte meinen, dass sie unbewohnt war.
In der Küche war nicht ein bisschen dreckiges Geschirr oder Besteck. Die Vorhänge waren akkurat zur Seite gezogen und der Boden roch nach Reinigungsmitteln.
YN stand auf und wanderte ziellos umher. In ihrem Gästezimmer war das Bett frisch bezogen worden und die Handtücher wurden ebenfalls ausgewechselt. Die Duschutensilien standen in Reih und Glied - bereit für ihren nächsten Einsatz.

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