Kapitel 1

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Kapitel 1

 In der North Road sahen die Vorgärten aus, als hätte man sie aus einem Katalog für Gartenbepflanzung kopiert. Niedrige Hecken waren zu Mustern gestutzt, in den Blumenstauden fand sich keine welke Blüte und der wenige Rasen dazwischen war akkurat kurz geschnitten. Mehr oder weniger schmale Wege führten durch die künstlerischen Landschaften zur Haustür oder am Haus vorbei in den hinteren Teil des Gartens.

 Severus stand inmitten dieser farbenfrohen Vorstadtsiedlung wie ein Schmutzfleck, der von der Müllabfuhr vergessen worden war.

 Mit verbissener Miene raffte er seinen schwarzen Umhang zusammen und ging zielstrebig auf das Haus mit der Nummer 31 zu. Das niedrige Gartentor quietschte, als er es aufschob, und noch mehr, als er es wieder schloss. Kritisch sah er die Straße hinauf und hinunter.

 Die Türklingel war melodischer als mancher Gesang, der im magischen Radio als solcher bezeichnet wurde. Während er darauf wartete, dass man ihm öffnete, verschränkte er die Arme vor der Brust und wippte auf seinen Füßen vor und zurück. Eine Spinne krabbelte aufgescheucht über seine Schuhspitze.

 Severus wollte schon anfangen, seiner ehemaligen Schülerin die Leviten zu lesen, als er einem fremden Gesicht entgegenblickte. Mühsam schluckte er die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, während sein Gegenüber den Anflug von Überraschung angesichts seines Auftretens überwand.

 „Kann ich etwas für Sie tun?", fragte die ihm fremde Frau mit dem blassen Gesicht schließlich. Ihre weichen Gesichtszüge wurden von ersten Fältchen verziert, sie hatte weder Augenbrauen noch Wimpern und auf dem Kopf trug sie eine selbst gehäkelte Mütze.

 Severus räusperte sich. „Entschuldigen Sie die Störung. Mein Name ist Severus Snape. Ich denke, es ist Ihre Tochter, nach der ich suche."

 „Oh, ich verstehe. Hermine hat mir von Ihnen erzählt." Sie lächelte.

 „Ich nehme an, es waren Dinge, die man nicht freiwillig wiederholen würde", schloss er aus dieser Reaktion.

 „Nicht ausschließlich. Nach Ihrem letzten Schreiben jedoch ..."

 „Ich kann es mir denken. Wäre es möglich, dass ich persönlich mit ihr spreche?" Sein Lächeln geriet merklich verspannt.

 „Im Moment leider nicht. Sie ist gerade beim Einkaufen. Aber Sie können gerne auf sie warten. Ich habe frischen Tee gekocht."

 Wieder sah Severus die Straße hinab. Ein Junge von vielleicht zehn Jahren bog auf dem Fahrrad um die Ecke und aus dem entfernten Klingeln war zu schließen, dass dem einen Kind noch weitere folgen würden. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht", presste er daher gegen besseres Wissen hervor.

 „Nein, gar nicht. Aber wenn Sie sich wohler dabei fühlen, dürfen Sie auch gerne hinter dem Haus warten." Sie zwinkerte ihm zu und trat zur Seite, so dass er sich ins Innere des Hauses retten konnte.

 „Danke für das Angebot. Im Gegensatz zu Ihrer Tochter weiß ich jedoch, wie ich mich zu benehmen habe."

 „Wie erfreulich", entgegnete sie ohne eine Spur von Verärgerung. „Mir war es leider nicht vergönnt, meiner Tochter Dinge dieser Art beizubringen. Im wichtigsten Alter verschwand sie für neun Monate im Jahr in ein magisches Internat. Finden Sie das nicht auch ganz fürchterlich, Mr Snape?" Mit einem verhaltenen Lächeln ging sie an ihm vorbei und er folgte ihr in die Küche.

 „Es wäre nur halb so fürchterlich, wenn dort auf eine angemessene Erziehung geachtet worden wäre. Leider kämpft man damit auf verlorenem Posten. Die Gören tun, was sie wollen und niemand kümmert sich darum."

Medicus IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt