Vorgeschichte

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Aschenkralle duckte sich und starrte seinen Gegner aus zusammengekniffenen Augen an.

Die letzten Sonnenaufgänge lasteten schwer auf ihm und vor Müdigkeit und Erschöpfung knickten seine Beine ein. Sein orange-grauer Pelz mit den schwarzen Streifen stand struppig und ungepflegt von ihm ab. Sand hatte sich darin festgesetzt, wie lästige Kletten.

Sein Gegenüber umkreiste ihn. Aschenkralle ließ seinen Blick über die Weite der Savanne schweifen. Überall war Sand, Staub und Trockenheit. Die Zunge klebte in seinem Maul, wie konnten die Löwen hier überleben? Kein Wasser, kein Fluss und nirgends Bäume, die ihnen Schatten boten.

Die Verwüstung, die die Menschen in ihrem alten Gebiet angerichtet hatten, war noch nicht bis hierher durchgedrungen, noch war das karge Land ohne eine dreckige Spur, oder ein lautes Heulen ihrer Bestien, die für sie die Erde aufrissen und alles zerquetschten, was ihnen in den Weg kommt. Aschenkralle hatte sein Rudel in das scheinbar einzige Gebiet geführt, wo die Menschen keine endlos hohen Steinhöhlen bauten. Doch wie sollten sie hier überleben?

Sein Blick wanderte zurück zu dem Löwen vor ihm. Muskeln spielten geschmeidig unter seinem dichten Fell. Schwarze Mähne umrahmte das Gesicht, was von Narben gekennzeichnet war, was ihn noch mächtiger aussehen ließ.

»Was wollt ihr hier? Das ist unser Revier und wir werden darum Kämpfen, wenn ihr nicht verschwindet« Der Löwe, wahrscheinlich der König des Rudels, knurrte tief. »Wir wollen keinen Kampf, aber wir werden unser Revier verteidigen, wenn ihr nicht verschwindet.«

Aschenkralle fauchte, doch es klang schwach. Er spannte die Muskeln, ohne Kampf würden sie nie ein Revier bekommen. Zu viele Erfahrungen hatten sie gemacht. Zu oft hatten sie Kämpfe verloren und mussten weiterziehen, mit der Hoffnung auf ein neues Revier.

Das Rudel des orange grauen Tigers ging ebenfalls in Kampfstellung. Aschenkralle wusste, dass jeder einzelne von ihnen auf seiner Seite kämpfen würde. Nach so langer Zeit, wusste er, dass sie ihm vertrauten und für ihn sterben würden.

Doch hatte er die richtigen Entscheidungen getroffen oder würden sie umsonst sterben? Jetzt blieben ihm keine Zeit für Selbstzweifel, er musste mit seinem Rudel kämpfen.

Löwen und Tiger, die auf der weiten Savanne mit ihren schwarzen Streifen fremd aussahen, standen sich mit ausgefahrenen Krallen und gebleckten Zähnen gegenüber.

»Ihr habt es so gewollt, Katzen mit schwarzen Streifen. Ihr gehört hier nicht her und werdet es auch nie!« Der König des Löwenrudels gab seinem Rudel das Zeichen zum Angriff. Die Löwen würden ihr Revier verteidigen, aber die Tiger mussten eines gewinnen.

Aschenkralle schoss vor. Die Löwen bewegten sich in einer engen Formatierung, jeder hatte seinen Platz und keiner wich seinem Rudel von der Seite. Sie kamen mit wirbelnden Pranken wie eine Welle immer näher auf die Tiger zu.

Aschenkralle fauchte verzweifelt. Tiger waren Einzelkämpfer, während Löwen immer in Rudeln kämpften. Wenn die Löwen in ihrer Formatierung blieben, würde Aschenkralles Rudel keine Chance haben.

                                                                ***

Aschenkralle blieb stehen, seine Gedanken schweiften ab. Würde sein Rudel überleben? Der Kampf gegen die Löwen war hart gewesen, sie hatten mit schweren Verletzungen davonkommen können, doch es gab auch Opfer. Sie mussten fliehen. Wieder einmal, aber diesmal hatten sie neue Hoffnung.

Ihm wurde schlecht dabei, als er sich erinnerte, was er alles durchmachen musste und das alles, nur für das, nur für diesen Augenblick wo sie sowieso versagen würden? Wieso hatte er die Aufgabe, sie zu retten, an was für einen schrecklichen Ort hatte er sein Rudel geführt? Wieso musste sein Vater ihn verlassen, er hätte es besser gemacht.

Stern der HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt