Andy

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Ich musste schließlich bis Mitte Juni im Mungos bleiben. Anfang des Monats bekam ich eine Zimmergenossin, die jedoch die meiste Zeit schlief und unansprechbar war. Sie war zwanzig Jahre alt und bekam nie Besuch. In der letzten Woche brachte Emm nicht nur mir Schokolade und andere leckere Dinge mit, sondern auch meiner Bettnachbarin. Sie sagte kein einziges Mal Danke, oder rührte die Dinge an.
An einem schwülen Junitag durfte ich nach Hause.

Mit wackligen Beinen schlurfte ich hinter Emmeline zu unserem Auto, das uns in die Whitehall-Street Nummer 13 brachte. Ich würde dieses Jahr erst wieder für die Abschlussprüfungen nach Hogwarts gehen. Emmeline und ich hatten beschlossen, dass ich die Prüfungen zur geregelten Zeit machen würde. McGonagalls Angebot, die Prüfungen erst Anfang September nach zu machen, wollte vor allem ich nicht annehmen. Ich wünschte mir, so schnell wie möglich wieder in den normalen Alltag zu kommen.

Emmeline versuchte ihre Arbeitsstunden so gut es ging zu reduzieren, schaffte dies jedoch häufig nicht. Ich versuchte so viel zu lernen, wie nur möglich, lag schlussendlich aber trotzdem viel Zeit im Bett und schlief. Fünf Tage vor den Prüfungen gab ich auf und machte nur noch lange Spaziergänge.

In einem kleinen Laden am Ende der Whitehall Street lernte ich schließlich einen Muggeljungen in etwa meinem Alter kennen. Er sprach mich urplötzlich an, während ich eine Schokolade aus dem Regal zog: "Wohnst du hier in der Nähe?"

Irritiert hielt ich in meiner Bewegung inne. Ich hatte bisher nur mit sehr wenigen Muggeln Kontakt gehabt. Noch nie hatte ich einem Muggel geantwortet oder gar mit einem gesprochen. Der Junge hatte brünette Haare, ein weißes T-Shirt und kurze Hosen an. Ich antwortete nach einigem Zögern mit einem "ja".

"Ich wohne eine Straße weiter. Bist du erst neu hier, oder gehst du einfach nie außer Haus?"
"Ich gehe auf ein Internat in Schottland."
"Oh", er starrte die Schokolade in meiner Hand an. Dann sah er mir wieder ins Gesicht. "Bist du dann mit Philo verwandt?"

"Ja, ich bin seine Ziehschwester." Er nickte und sah so aus, als würde er plötzlich die ganze Welt besser verstehen. "Wir machen in den Sommerferien immer Mal wieder was zusammen. Komm doch auch einmal mit. Wir müssen auch kein Fußball oder so spielen."

"Vielleicht." Ich ging zur Kassa und legte meine Schokolade und die Limonade auf die Ablage. Der Junge legte sein Zeug neben meines. Nach dem Zahlen folgte mir der Junge nach draußen. Eigentlich wollte ich noch ein wenig durch den Park gehen, doch plötzlich wusste ich nicht, ob ich nicht doch lieber gleich nach Hause gehen sollte.

"Ich heiße Andy, du?"
"Alecto." Ich beschleunigte meine Schritte etwas.
"Interessanter Name. Wieso bist du jetzt gerade nicht im Internat, Alecto?"
"Ich war die letzten Monate im Krankenhaus."
"Oh. Soll ich deine Tasche tragen? Ich meine, wenn du irgendwie noch schwach bist, oder so, dann ist es sicher nicht gut, wenn du die trägst."

Ich packte meine Tasche noch etwas fester. Mit zusammengebissenen Zähnen schüttelte ich den Kopf. Diesem Andy schien richtig langweilig zu sein. Er folgte mir auf die andere Straßenseite und sprach weiter: "In dieser Gegend wohnen echt wenige in unserem Alter. Ich finde es total schade, dass Philo und du im Internat wohnt. Wieso habt ihr euch dazu entschlossen, nicht in eine normale Schule zu gehen?"
Ich seufzte schwer. "Meine ganze Familie war dort."
"Dürft ihr im Internat telefonieren?"
"Nein."

Andy zog seine Augenbrauen etwas zusammen. Er hatte schöne blaue Augen. Ich stolperte fast über die Gehsteigschwelle. Andy packte mich an meiner Bluse und grinste schief. Mit einem Schweißtropfen auf der Stirn riss ich mich von ihm los. Mir wurde schlecht. "Ich muss nach Hause", krächzte ich. Ich lief ein paar Schritte, Schwindel packte mich.
"Soll ich dich noch begleiten?"
"Nein."

Schwarze Punkte tanzten in meinem Sichtfeld, aber ich rannte einfach weiter. In einer Seitengasse übergab ich mich auf den Gehsteig. Mein Blut rann in an einer Hauswand entlang. Ich kniete mich auf den dreckigen Boden. Die zweite Ladung Blut landete in einem Gulli. Mein Körper schüttelte sich.

"Alecto!" Durch einen Tränenschleier durch erkannte ich Andy. Er rannte auf mich zu und hielt meine Haare in die Höhe, als ich das dritte Mal Blut von mir gab. Schließlich sank in mich zusammen und presste meinen Kopf in meinen Schoß. Andy strich mir unbeholfen über den Rücken. Ich schaute erst wieder auf, als meine nackten Knie am Steinboden mehr weh taten, als Bauch und Herz. Andy sah schockiert aus. Als ich aufstehen wollte, wollte mir Andy helfen, aber ich schüttelte ihn ab. Das hier durfte niemals irgendwer erfahren. Ich wollte für nichts und wieder nichts zurück ins Mungos.

"Oh Gott, was war das?" Andy sah so aus, als wollte er gleich die Rettung holen. Leider konnte ich noch keinen Vergessenszauber und würde auch sofort vom Ministerium entdeckt werden.
"Ich habe das häufiger und einfach vergessen, meine Medikamente zu nehmen."
"Ja aber, was ist das für eine Krankheit?"
"Die kennst du sicher nicht. Ich muss jetzt schnell nach Hause und die Medikamente nehmen."
"Mein Vater ist Apotheker."
"Tschüss."
"Ich begleite dich nach Hause."

Ich beachtete Andy hinter mir einfach nicht mehr und stakste auf wackeligen Beinen nach Hause. Ich musste mich mehrmals an einer Hauswand anhalten, um nicht umzufallen. Als ich unser Gatter erreicht hatte, stellte ich erleichtert fest, dass Emmeline noch nicht zuhause war. Ich steckte den Schlüssel ins schloss und drehte mich noch einmal zu Andy. Er sah mich aus großen blauen Augen an.
"Danke", presste ich heraus und schmiss die Türe hinter mir zu.

Durch das Fenster sah ich, dass Andy nach einer Minute davon ging. Ich atmete schwer aus. Am Tisch stand mein Trank, den ich eigentlich nur ein Mal am Tag in der Früh gegen Übelkeit neben sollte. Ich nahm zwei kräftige Schlucke und spülte alles mit kaltem Wasser hinunter.

Nachdem ich ein paar Minuten auf dem Sofa gelegen hatte, fiel mir ein, dass es vielleicht Aufmerksamkeit erwecken würde, wenn ich das Blut auf der Straße nicht wegzaubern würde. Schwerfällig stand ich also auf, zog mir einen Umhang mit großer Kapuze an und lief in die Seitenstraße. Schnell reinigte ich den Boden und die Hauswand.

Emmeline sprach mir gut zu, als ich mit ihr nach Hogwarts mit dem Auto flog. Wir machten uns beide große Sorgen, dass ich die Prüfungen nicht schaffen würde, weil ich aber behauptet hatte, dass ich wieder gesund sei und sie wusste, dass ich gut in der Schule war, erlaubte sie mir diese Reise.

Als wir gerade über Hogsmeade waren, wurde Emmeline ernst und sagte: "Deine Krankheit hat etwas Gutes mitgebracht: Wir sind uns etwas näher gekommen. Ich habe die letzten Wochen beinahe genossen." Ich schaute sie von der Seite an. Sie lächelte warm. Weil sie mich mittlerweile gut kannte, erwartete meine Ziehmutter keine Antwort von mir. Anders als früher, schien sie das jedoch nicht mehr zu stören.

Versonnen schaute sie auf Hogwarts. Es leuchtete im Schein der untergehenden Sonne gelblich.
Ich drückte Emms Hand und antwortete: "Ja, das war schön." Emmelines strahlender Blick zeigte mir, dass es gut war, dass ich mir diese Antwort abgerungen hatte.

Die Tochter des dunklen Lords (Harry Potter Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt