✞︎𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 15✞︎

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Der Tag ist zwar scheiße, aber zumindest bin ich den anderen, außer Jaemin, nicht über den Weg gelaufen.
Der Vorschlag, den ich Jaemin gemacht habe, bereitet mir etwas Bauchschmerzen. Er wird es bestimmt den anderen sagen und dann werden sie einen neuen Grund haben, mich zu verarschen...
Außerdem musste ich mir nach jeder Beleidigung, die ich in der Klasse abbekommen habe, zusätzlich noch ein "fängst du jetzt an zu heulen?" anhören.
Menschen sind so scheiße...
Aber vielleicht heule ich einfach wirklich zu oft... Immerhin bin ich ein Junge. Ich darf mich nicht wie ein kleines Mädchen verhalten..

Erst wollte ich das Gespräch mit Mr. Hwang schwänzen, doch dann habe ich es mir anders überlegt.
Sonst will ich doch immer, dass sich jemand um mich kümmert, wieso sollte ich dann diese Chance einfach wegwerfen?
Ich hab ihm nicht viel gesagt. Nur, dass mir Menschen manchmal wehtun, weil er mich auf die blauen Flecken angesprochen hat- wer genau hab ich aber nicht gesagt. Ich konnte den Mut dazu nicht fassen. Er meinte aber es sei okay und ich müsste ihm nicht alles erzählen, aber ich soll wissen, dass ich mit ihm reden kann.
Natürlich hab ich gesagt, dass es nicht meine Eltern sind, oder er würde vielleicht die Polizei informieren..
Ich schätze es sehr, dass er mir zugehört hat. Dennoch glaube ich, tut er das nicht, weil er sich für mich interessiert. Ich kenne Menschen... Er macht das nur, damit er sich gut fühlt und sich denken kann "ich hab jemanden geholfen", weil er bemerkt hat, dass es mir nicht gut geht. Aber auch das ist besser als nichts.

Für eine Stunde saß ich nur da.
Stillschweigen- während er seinen Papierkram machte- weil ich nicht nach Hause wollte.
Mein Lehrer musste zwar deswegen meine Eltern anrufen, damit sie nicht denken, ich sei vermisst, aber das war mir in dem Moment egal.
Erst bekam ich zwar einen irritierten Blick, als ich ihn fragte, ob ich einfach nur eine Weile hier sitzen darf, doch er hatte nichts dagegen.
Vielleicht wollte er auch nur etwas Gesellschaft.
Als ich da saß, fühlte ich mich zum ersten Mal nicht fehl am Platz...
Wahrscheinlich werde ich nicht noch einmal mit ihm reden, dennoch hat es den Tag etwas erträglicher gemacht.

~

Mit feuchten Händen öffne ich die Wohnungstür. Plötzlich ist es mir nicht mehr so egal, dass er meine Eltern angerufen hat. Erst recht da mein Dad heute Abend frei hat. Ob sie lange nachfragen?

Der erste Schritt in die Wohnung und schon höre ich die Stimme meiner Mutter: "Lass die Schuhe gleich an, wir gehen auf den Markt in der Stadt!"
Ach du scheiße...
Genervt erwidere ich: "Es ist fast Februar, sollten die Weihnachtsmärkte nicht schon geschlossen haben??"
Dort ist es immer so unruhig und voller Menschen- einfach unangenehm...
"Heute ist der letzte Tag und ich lasse dich ganz sicher nicht alleine hier, bevor du dir doch noch ein Messer in die Kehle rammst!"
Anstatt es gegen mich zu verwenden, könnte sie einfach fragen, ob es mir gut geht...

Ich dachte schon es ist in Vergessenheit geraten, doch dann ruft mich mein Vater zu sich.
Nachdem ich meine Schultasche abgelegt habe, trete ich vor ins Wohnzimmer und stehe meinem Dad gegenüber.
"Worüber hast du mit deinem Lehrer geredet?", fragt er ernst und angespannt.
Er hat wohl Angst, dass ich geplappert habe, dass er Mom schlägt. Tsk.. irgendwie erbärmlich...

Wir starren uns gegenseitig in die Augen.
Seine hasserfüllt und meine einfach nur müde.
"ich will nicht mehr hier sein.", antworte ich leise aber ernst.
Es beantwortet nicht ganz seine Frage, aber es ist das, was ich gerne meinem Lehrer gesagt hätte, aber nicht aussprechen konnte.
Irgendwie fühlt es sich gut an, diese Worte endlich ausgesprochen zu haben.
Schon Jahre lang stecken diese Gedanken in meinem Kopf fest.
Ein unerwarteter Aufprall auf meiner Wange, welcher meine stets unterdrückten Tränen zurückholt.
"Denkst du wir reißen uns seit deiner Geburt den Arsch auf und schmeißen unser Leben für dich weg, nur damit du das auch tust?!"
Sein Gesicht ist so nahe- seine Stimme so laut- und der Schmerz auf einer Wange so stark.
Mit zitternden Lippen flüstere ich ein leises, bedauerliches "Es tut mir leid."

𝑹𝒂𝒊𝒏𝒚 𝑫𝒂𝒚𝒔 / {𝐶ℎ𝑒𝑛𝑗𝑖}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt