Teil 27 - Jackpot

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Egal was YN tat, sie war so unbekümmert wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Seit sie mit Hisoka zusammen war und das nahm sie - nach ihrer beiden Liebesgeständnisse - als gegeben an, war sie wie ausgewechselt. Ihre Augen funkelten, ihre Mundwinkel zeigten öfter nach oben und ihre gesamte Ausstrahlung hatte dieses gewisse Etwas.

Hisokas Sorglosigkeit färbte auf sie ab, er brachte sie dazu, Dinge zu tun, die sie sich vorher niemals hätte vorstellen können. Etwa die Tatsache, dass sie mittlerweile fast ausschließlich in der Himmelsarena wohnte; sie betrat ihre eigene Wohnung nur noch, um sich frische Sachen mitzunehmen, ihre Blumen zu gießen und durch ihre Post zu schauen.
Das Leben schien ihr leichter und sogar bei der Arbeit war das den Kollegen aufgefallen.
Besonders die ersten Tage musste sie mehrfach erklären, dass sie keinen bestimmten Grund hatte, zu lächeln. Nein, sie hatte weder in der Yorknew City-Lottoziehung gewonnen, noch war sie über Nacht anderweitig zu großem Reichtum gekommen oder hatte den Weltfrieden herbeigeführt.

Es war etwas deutlich Kleineres. Es war die Liebe zu einem anderen Menschen, die sie erstrahlen ließ. Etwas Simples und gleichzeitig Hochkomplexes: Grenzte es nicht beinahe an ein Wunder, dass zwei Individuen zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen waren und sich dann noch ineinander verliebten?
Da war es vermutlich nur vernünftig von ihren Kollegen, dass sie nach der Höhe des angenommenen Gewinns fragten.
Doch die Antwort war ganz einfach: Hisoka war ihr Jackpot.

Sie war einfach nur glücklich. Glücklich dass sie jemanden an ihrer Seite hatte, der sie zwar ernst nahm, aber dafür das Leben umso weniger. Mit Hisoka erschien vieles nicht mehr so kompliziert und seine gelassene Art und Weise, die Dinge anzugehen, übertrug sich auf sie selbst. Es war, als wäre er die Lösung, nach der sie lange gesucht hatte und viele Probleme erschienen ihr indes unwichtig.

YN war nach einem anstrengenden Arbeitstag auf dem Weg zu ihrem Spind, um ihren Feierabend einzuläuten, da fiel ihr etwas ins Auge.
Im Mitarbeiterraum hing ein hellblauer Zettel an der Pinnwand. Es war wieder soweit. Zwei Mal im Jahr, immer zum Semesterwechsel, veranstaltete der Bibliotheksleiter eine kleine Feier als Dank für die getane Arbeit.
Auch wenn der Professor ein strenger Chef war, war er trotzdem ein warmherziger Mensch. Die akkurate Disziplin, die er verlangte und auch selbst an den Tag legte, war die Fassade, die seine herzliche, menschliche Seite verbarg. Schließlich wollte er nur, dass gewissenhaft gearbeitet wurde, doch er zeigte sich immer erkenntlich.
Besonders in der Prüfungsphase hatten die Mitarbeiter der Universitätsbibliothek mehr als gewöhnlich zu tun: Unzählige Studenten tummelten sich zu dieser Zeit in den Lesesälen und dutzende von Büchern wurden ausgeliehen und zurückgegeben.
Einige Studenten lebten bis kurz vor den Examen förmlich in der Bibliothek und mussten teilweise vor Dienstschluss hinausgetragen werden, nur um sie morgens unmittelbar zu Dienstbeginn wieder hinein zu lassen. Gerade dann gingen auch ungewöhnlich viele Bücher verloren, entweder weil sie unter dem Stress falsch einsortiert wurden und danach nicht mehr auffindbar waren oder weil sie schlichtweg entwendet wurden. Und dieses Wochenende sollten sie für ihren Einsatz entschädigt werden, indem der Bibliotheksleiter sie einlud.

Dieses Mal war geplant, dass das Team gemeinsam in ein Restaurant essen gehen würden. Nach YNs Erfahrung war es bisher immer ein netter Abend unter Kollegen gewesen und die jüngeren unter ihnen gingen danach meistens noch in eine Bar, um dort den Abend ausklingen zu lassen und obwohl YN sich die letzten Male zwingen musste dorthin zu gehen, war es im Nachhinein immer sehr schön gewesen. Wenn man keine hohen Erwartungen hatte, konnte man nur positiv überrascht werden.
Doch jetzt freute sie sich wirklich. Sie führte ihre Vorfreude auf Hisoka zurück und dass sie so glücklich wie nie zuvor war, breitete sich ebenfalls auf die anderen Bereiche ihres Lebens aus.

Zuhause - es fühlt sich irgendwie immer noch unwirklich an, die Himmelsarena so zu nennen - muss ich Hisoka unbedingt davon erzählen. Es wäre der erste Abend, den wir ohne einander verbringen.

In Hisokas Wohnung angekommen wartete er bereits auf sie. Er saß auf der Couch und hielt sein Handy in der Hand. Er trug seine Montur, Träne und Stern aufgemalt und die Haare gestylt; er war also ebenfalls unterwegs gewesen.

"Ich habe gute und schlechte Nachrichten", verkündete er ohne YN zu begrüßen.

"Hallo Hisoka, ich freue mich auch, dich zu sehen", sagte sie mit ironischem Unterton, böse war sie ihm trotzdem nicht. Manchmal gab es wichtigere Dinge als ein banales 'Hallo'. Er grinste, erhob sich und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen.
Wie könnte sie ihm jemals böse sein?

"Welche willst du zuerst hören?", fragte er, als sie sich gelöst hatten.

"Als ob ich eine Wahl hätte... Erst die schlechte."

"Ich muss wieder auf eine Mission, irgendeine wichtige Persönlichkeit muss eskortiert werden. Vielversprechende Geschäftsbeziehung oder so. Langweilig, wenn du mich fragst, aber der Chef verlangt es." Hisoka verzog mürrisch sein Gesicht. "Der Auftrag soll fast zwei Tage dauern, das bedeutet, dass wir uns dann leider nicht sehen." Den letzten Halbsatz hauchte er in ihr Ohr, sodass alles in ihr kribbelte und ihr Herz für einen Moment aussetzte.
Auch wenn es beinahe schon zum Dauerzustand geworden war, würde sie sich wahrscheinlich nie daran gewöhnen können, welche Wirkung Hisoka auf sie ausübte.

"So schlecht ist das gar nicht, ich bin nämlich selber beschäftigt." Vielsagend kniff sie ihre Augen zusammen und spitzte den Mund. "Das Semesteressen steht an." YN erklärte ihm knapp, was es damit auf sich hatte.

"Hätte ich keinen Auftrag gehabt, dann hättest du mich also ganz alleine gelassen? Charmant."
Das konnte er gut: So zu tun, als ob er empört wäre. In seiner Stimme lag gespielte Bestürzung, doch sein Ausdruck war neckisch wie eh und je. Seine Hand glitt zu ihrer Hüfte hinab.

"Und jetzt die gute Nachricht."

Augenblicklich weiteten sich Hisokas bernseinfarbene Augen und sein Grinsen erreichte eine unnatürliche Breite. "Ich habe eine Überraschung für dich, aber", er hob seinen Finger, "das verrate ich dir erst, wenn die Mission beendet ist." Er lehnte sich vor, aufgeregt wie ein kleines Kind, und fuchtelte wild mit seinen Händen.
YN wollte protestieren, wurde jedoch sofort von ihrem Vorhaben abgebracht, denn Hisoka hatte bereits seine Arme um sie gelegt, er wusste, dass sie das aus dem Konzept und zum Schweigen bringen würde.

Wie gemein! Er kann mir doch nicht einfach eine Überraschung ankündigen und dann für die nächsten Tage verschwinden!

"Na gut, ich gebe dir einen Tipp." Hisoka vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. "Es hat etwas mit dir und mir zu tun, etwas was uns in Zukunft betrifft."

Gelegenheit macht LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt