Kapitel 4 - Zwei Flammen?

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Celosia war für mehrere Wochen täglich auf eben jenen Hügel zurückgekehrt, selbst, wenn ihr eigentlicher Auftrag sie in ganz andere Gegenden schickte. Und jeden Tag traf sie sich mit Theodor dem Barden, der immer schon dort saß und wartete, bis sie auftauchte.
Theodor, Sohn eines Bürgermeisters.
Neffe eines Pfarrers.
Ein Mensch.
Es gab wohl kaum eine größere Schande für eine Dämonin wie Celosia. Sie wusste selbst nicht, warum sie sich mit ihm traf. Vielleicht weil sie seine Art faszinierte.
Vielleicht, weil er sie faszinierte.
Und vielleicht die Tatsache, dass er sie noch immer nicht verraten hatte. Er hielt sie gegenüber seinesgleichen geheim, und dasselbe tat Celosia. Es hatte einen Tag gegeben, da war ein neugieriger Mann den Weg aus der Stadt entlanggelaufen, in Richtung ihres Hügels, in Richtung der beiden.

Es handelte sich zufälligerweise um den Pfarrer, Theodors Onkel. Die beiden hatten ernste Probleme auf sich zukommen sehen, verschwinden konnte Celosia nicht, hätte man doch das gezeichnete Pentagramm sehen können. So hatten sie in Windeseile die herumliegenden Zweige aufgehäuft, Celosia hatte ihre Flammengestalt angenommen und sich auf den Haufen gesetzt.
Ein normaler Mensch konnte schließlich den Unterschied zwischen gewöhnlichem und dämonischem Feuer nicht wahrnehmen.

Und so waren sie knapp davongekommen. Der Pfarrer hatte zwar Theodor für seinen Leichtsinn getadelt, an einem Sommertag auf einer trockenen Wiese ein Feuer zu machen, hatte aber nicht weiter genervt und war relativ bald wieder abgezischt.
Und so ging es längere Zeit.
Die beiden unterhielten sich lange, mit jedem Tag schienen die Gespräche länger zu werden. Irgendwann duldete es Celosia sogar, dass der Barde in ihrer Gegenwart Musik spielte.
Es kam die Zeit, in der sie es schon beinahe genoss, wenn er dies tat. Sie lehnte sich an den Stamm des majestätischen Baumes und lauschte den Klängen.
Zwei weitere Male tauchte Pfarrer Ludwig auf.
Celosia und Theodor konnten die Nummer mit dem Feuer nicht mehr abziehen, das wäre zu auffällig gewesen - sie brauchten eine längerfristige Lösung. Da hatte Celosia den Baumstamm gepackt und war daran emporgeklettert, was ihr nicht allzu schwer gefallen war.
So hatte die dichte, ausladende Baumkrone als Versteck genutzt, während Theodor unten sitzen blieb, weiter Musik machte und so tat, als würde er währenddessen die Ruhe der Natur genießen.
Beide Male kaufte der Pfarrer es ihm ab.

Celosias Leben konnte kaum besser sein. Die Tage verbrachte sie mit dem Barden, mit dem sie sich stundenlang unterhielt und dessen Musik sie genoss. Des Nachts war sie wieder auf der Jagd nach den Opfern, nach denen der Teufel verlangte. Doch davon wusste Theodor nichts, das war auch besser so.
Jedoch wusste er, wer sie war.
Dass sie ein Dämon war.
Und er musste um jeden Preis der einzige bleiben, der ihr Inneres kannte.

Es ging gut. Er hielt sie geheim auf seiner Seite, auch sie verriet niemandem ihre Treffen.

So kam bald, was unweigerlich kommen musste: Celosia wurde klar, dass Theodor in sie verliebt war. Und auch sie konnte nicht leugnen, irgendwie auch etwas für ihn zu empfinden, trotz ihrer Natur, die dafür sorgte, dass sie kaum Gefühle nach außen hin zeigte.

Der Sommer wich dem Herbst und so, schließlich, wurde der 26. September des Jahres 1401 zum Tag einer großen Wende. Celosia und Theodor, eine Dämonin aus der Hölle und ein menschlicher Barde, küssten sich an jenem Datum unter demselben großen Laubbaum, unter dem sie sich fast jeden Tag der vergangenen Monate getroffen hatten. Die zuvor saftige grüne Farbe der Blätter war bereits in ein warmes Gelb übergegangen, im Oktober würde der Baum vermutlich goldbraun leuchten.
Es hatte sich also an diesem Septembertag etwas ereignet, was niemals denkbar, noch weniger geduldet worden wäre. Eine Dämonin kam mit einem Menschen zusammen, ein Mitglied derer, die alles Andersartige, in ihren Augen Widerwärtige verachteten.

Die Monate kamen und gingen, und immer mehr wuchsen die beiden jungen Geschöpfe zusammen. Der Baum wurde golden, verlor seine Blätter, bis er schließlich in neuem Grün erstrahlte.
Im Frühling des Jahres 1402 waren sich Celosia und Theodor sicher, ihre Liebe würde ewig wären - nichts würde jemals einen Keil zwischen sie treiben können.

Doch dann, im Mai, ereignete sich etwas, das ihre beiden Leben verändern sollte:
Ludwig, der Pfarrer des Dorfes und Theodors Onkel, litt plötzlich an einer sonderbaren Krankheit, die ohne jegliche Vorwarnung gekommen war.
Theodor eilte also in Windeseile zu ihm, um ihm Beistand zu leisten.

Theo's POV
„Ludwig!", rief er, noch bevor er die hölzerne Tür hinter sich zuschlug. Der Pfarrer lag in seiner Behausung auf seinem Bett, eingewickelt in Laken. Bei ihm kniete sein Bruder, Theodors Vater und Bürgermeister, außerdem war ein Doktor anwesend, der stirnrunzelnd im Zimmer auf und ab lief und nicht recht zu wissen schien, woran genau der Pfarrer nun litt. Theodor stolperte, von Panik ergriffen, an das Bett des Pfarrers.
„Ludwig, hört Ihr mich? So sprecht doch mit mir!", versuchte er dem alten, ziemlich blassen Mann zuzureden. Er hatte die Augen geschlossen, bewegte sich nicht, er schien Theodors Reden nicht einmal zu hören.
Er schläft nur, versuchte sich Theodor zu beruhigen. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen...
Doch sein Inneres schrie nahezu. Alle Alarmglocken in seinem Gehirn gaben ihre Signale ab. Es war bei Weitem nicht alles in Ordnung. Das hier konnte wirklich schlimm sein...was, wenn sein Onkel nun an der mysteriösen Krankheit starb? Und sie würden nicht einmal wissen, was genau dazu geführt hatte.
„Das war wirklich eigenartig", begann der Doktor zu erzählen, „erst viel jemandem auf, dass seine eine Gesichtshälfte gelähmt zu sein schien, dann ist er umgekippt. Wir können nur hoffen, dass es nichts Schlimmes ist und er bald wieder aufwacht."
Nichts wollte Theodor mehr. Für ihn wäre es grauenvoll, würde sein Onkel jetzt sterben. Ja, er war alt, aber er hatte ein besonderes Verhältnis zu diesem Mann. Er unterstützte ihn, gab ihm Rat, war für ihn da, wenn sein Vater es nicht war.
Und jetzt war es möglich, dass er starb? Da meldete sich sein Vater, der neben ihm kniete, zu Wort. Mit Bitterkeit in der Stimme warf er eine neue Theorie in den Raum: „Was, wenn es ein Fluch ist? Oder schlimmer: Was, wenn Gott uns für irgendetwas bestraft?"
Das brachte den jungen Barden zum Zittern. Anders als die Mehrheit war er nicht streng gläubig. Er glaubte nicht, dass es einen Gott im Himmel gab, der über die Menschen „wachen" sollte. Andererseits gab es Dämonen.

Verdammt, er war mit einem zusammen. Und niemand wusste davon...

Doch was, wenn an dem Ganzen etwas dran war? Wenn es am Ende gar ihre Schuld war? Sein Herz wehrte sich immens gegen diese Befürchtung. Er glaubte es nicht.
Aber es war doch möglich?

Sein Onkel war nicht tot. Den Kopf auf dessen Brust legend, lauschte er Ludwigs Herzschlag. Er lebte.
Er würde nicht sterben.
Theodor würde ihn nicht verlieren.

Also wagte er es, stand langsam auf und ließ seinen Vater und den Doktor beim Pfarrer. Er musste zu Celosia.
Musste sie sehen.

Und so machte er sich, wie an den unzähligen anderen Tagen, auf den Weg zum Hügel. Schon von Weitem sah er das in ihren Umhang gehüllte Mädchen dort unter dem Baum sitzen und er beschleunigte seine Schritte.
Endlich angekommen, fielen sie einander um den Hals, wie sonst auch, und küssten sich. Sie blickte ihn mit ihren roten Augen liebevoll an. Theodor hatte noch vor einem Jahr nicht geglaubt, dass diese Augen jemals so dreinblicken konnten.
Ja, er liebte dieses Mädchen, aber die seltsamen Gedanken ließen nicht von ihm ab. Sie hatten sich in seinem Gehirn festgekrallt, und zwar von dem Moment an, in dem sein Vater seine Theorien in den Raum geworfen hatte. Doch er gab sich gerade größte Mühe, sich nichts anmerken zu lassen...

Celo's POV
Etwas stimmte nicht, das konnte sie spüren. Sie begrüßten sich, küssten sich, alles schien wie immer zu sein. Aber Celosias Instinkt sagte ihr, dass etwas ihren Liebsten beschäftigte.
Vermutlich war es sein sonderbarer Blick gewesen, als sie sich wieder in „normaler" Entfernung hingesetzt hatten. Er hatte besorgt dreingeschaut, auch ein wenig verwirrt. Celosia konnte seinen Blick beim besten Willen nicht deuten, aber sie wusste, dass etwas geschehen war. Etwas, das ihrer beider Leben verändern würde.

Out of Hell - Die Geschichte eines uralten DämonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt