Juli denkt nicht nach, wenn sie mit Dana schläft. Wenn sie sich küssen und dabei wahlweise Richtung Bett oder Couch stolpern, tritt ihr Bewusstsein in den Hintergrund. Die Intuition übernimmt die Kontrolle über alle ihre Handlungen. Mit niemand anderem ist der Sex so kopflos und so frei von Zweifeln. Mit Dana beobachtet sie sich nicht selbst von außen. Sie weiß, dass Dana das übernimmt und dass ihr alles gefällt, was sie von Juli sieht.
Ihre Hand fährt in Danas kurze Haare und hält sich an ihnen fest. Sie zieht ihren Kopf zu sich und in einen Kuss, der so verlangend ist, dass ihre Lippen schmerzend brennen. Schnell und ohne sich zurückzuhalten ziehen sie sich aus. Als sie endlich aufeinanderliegen, fließt eine Bewegung in die nächste. Sie verschwinden ineinander und nehmen sich bei der kleinsten Andeutung alles. Sie sind laut, fordernd, verschwitzt und sie halten einander fest. Außerhalb der Grenzen ihrer Körper gibt es nichts mehr. Wenn sie alleine oder gleichzeitig kommen, schauen sie sich in die Augen und verzerrten Gesichter. Es gibt nichts, was sie voreinander verbergen wollen.
„Das hat doch immer funktioniert bei uns", sagt Dana danach, als sie bei offenem Fenster auf der ansonsten leeren Matratze liegen. Draußen scheint die Sonne und der Wind rauscht durch den kleinen Baum im Garten. Es ist wie all die unzähligen anderen Male, wenn Juli sich fühlt, als dürfe sie sich ausbreiten bei Dana.
„Wir haben das Gute an uns behalten, findest du nicht? Eigentlich haben wir richtig Glück, dass das bei uns geht." „Mhm", macht Juli.
„Es ist einfach mit niemandem so gut wie mit dir. Auch wenn wir davon abgesehen nicht zusammenpassen." Dana lacht kurz und lautlos. „Verrückt." „Ja", sagt Juli nur, dann schweigt sie. Sie erinnert sich plötzlich, wie sie am Abend ihrer Trennung noch Sex hatten. Sie haben beide geweint dabei.
Die Musik läuft immer noch. Es ist die gleiche, die sie damals schon gehört haben. Aber es ist nicht mehr das gleiche Zimmer. Die Fotos von ihnen, die immer über dem Bett gehangen hatten, sind durch neue ersetzt worden. Es ist auch nicht mehr das gleiche Bett.
Juli streckt sich aus und spürt die Luft vom Fenster kühl über ihren Körper streichen. Die Blase um Dana und sie löst sich langsam auf. „Wie geht's dir so?", fragt sie. „Gut", sagt Dana für Julis Geschmack viel zu schnell und unüberlegt. Es klingt wie das gleiche gut, dass man auch sonst jedem antwortet.
„Ich habe morgen ein Date, von Tinder." Juli lacht auf. „Ach, echt? Ich dachte, du hasst Dating-Apps?" Auf dem Rücken liegend zuckt Dana mit den Schultern. „Tu ich auch. Ausprobieren macht trotzdem Spaß. Was Ernstes suche ich im Moment sowieso nicht." „Na dann." „Und du so?" „Auch gut. Ich bin irgendwie dauernd unterwegs oder arbeite. Manchmal kommt es mir so vor, als käme ich nur zum Schlafen nach Hause." Juli weiß selbst nicht, wo diese Antwort herkommt. Vielleicht folgt sie einem Protokoll, von dem sie nicht gewusst hat, dass sie es kennt.
Früher hätte Dana sich jetzt zur Seite gedreht und ihren Arm um Juli gelegt. Sie hätte sie gefragt, wo und mit wem sie unterwegs ist und ob sie sich auch nicht zu viel vornimmt. Sie hätte alles ganz genau wissen wollen. Sie hätte sie daran erinnert, dass Juli sich oft übernimmt und dann zu spät merkt, dass sie Zeit für sich braucht. Sie hätte sich für Juli um sie gesorgt.
Immer noch auf dem Rücken liegend lacht Dana. „Soso, immer unterwegs. Brich aber nicht zu viele Herzen." Juli schnaubt. „Als ob."
Träge bleiben die Belanglosigkeiten zwischen ihnen hängen. Das hat sich nicht geändert, seit sie wieder miteinander sprechen. Zuerst waren sie in eine Schockstarre gefallen, in ein Kommunikationsvakuum. Alles, was Juli Dana in dieser Zeit hätte mitteilen wollen, erschien absolut sinnlos.
Dann war Juli gekommen, um ihre Sachen abzuholen. Dana hatte ihnen Tee gemacht und einen Teller Kekse. Juli fühlte auf die unangenehme Art, was sie sich immer unter erwachsenem Verhalten vorgestellt hatte, als sie es noch nicht gewesen war. Respektvoll hatten sie sich unterhalten und dabei um die Minen herumgetänzelt. Juli hatte sich nicht sehnlichster gewünscht als ein ehrliches Gespräch. Aber diese Distanz konnten sie nicht mit Worten überwinden, sie hätten wieder gestritten. Wahrscheinlich hatte sie Dana darum geküsst.
Es war immer beiden klar gewesen, dass sie damit nicht zurückgingen zu dem, was sie vor der Trennung gewesen waren. Sie hatten nicht darüber sprechen müssen. Dana hatte damals schon das alte Bett gegen das neue getauscht.
Danas Handy vibriert auf dem Bettrand und sie setzt sich auf, den Rücken Juli zugewandt. Sie dreht sich eine ganze Weile nicht mehr um, liest und tippt. Der Fuchs auf ihrem Rücken schaut Juli stumm an. Er ist relativ frisch gestochen und seine Konturen noch ganz schwarz. Juli fühlt sich durchschaut von seinen aufmerksamen Augen. Danas Wächter. Er sieht auch, was sie nicht sieht. -
„Dein Date?" Juli angelt sich ein Kissen vom Fußboden und wirft es gegen Danas Hinterkopf. „Heee." Dana legt das Handy weg und schmeißt sich statt des Kissens selbst auf Juli. Sie drückt Julis Hände in die Matratze und hält sie fest. Ihre Augen mustern sie dominierend. „Bist du etwa eifersüchtig?" Juli schaut sie mit dem gleichen Blick an. „Das hättest du wohl gern." Der Blickwettstreit endet in Gelächter und mehr spannungsgeladenen Küssen. Während Danas Zunge über ihren Oberkörper kreist, fällt Julis Blick auf die gegenüberliegende Wand und die Fotos. Sie schließt die Augen.
Es ist spät, als Juli ihre Wohnungstür aufschließt. Im Badezimmer putzt sie sich die Zähne und stellt ihre Zahnbürste danach in den Zahnbürstenbecher, zu der zweiten, die seit Monaten unbenutzt ist. Sie wirft einen kurzen Blick in die Küche, wo sich das Geschirr der letzten Tage stapelt. Doch auch wie schon an den Abenden zuvor kann sie sich nicht dazu aufraffen und löscht das Licht wieder. Sie wird auch morgen wieder zu viel Zeit haben, sie wird es dann erledigen. Den Weg zum Schlafzimmer findet sie im Dunkeln. Ihr Bett ist noch das gleiche. An ihrer Wand hängen noch die alten Fotos.