Kapitel [75]

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Traitor

Immer wieder hallte dieses eine Wort durch meinen Kopf, immer wieder wiederholte ich es und immer mehr festigte es sich, brannte sich förmlich in mein Gedächtnis, sodass ich es immer mit mir, wie ein Brandzeichen tragen würde. Nur mit dem Unterschied, dass es niemand zu Gesicht bekam, außer ich selbst.

"Du elender Verräter!!!", ein weiteres Mal drang seine aufgebrachte Stimme zur mir durch, ließ mich zusammenzucken und meine Schultern schuldig hochziehen, ein unangenehmes Kribbeln durchfuhr meinen Körper und reichte bis in meine Zehenspitzen.

War ich das wirklich? War ich tatsächlich ein Verräter? Jemand, der den wichtigsten Menschen im Leben hinterging? Falsche Spielchen trieb? Denn wenn er das damit meinte, dann war ich es definitiv.

Schließlich hatte ich meinem Freund in diesem halben Jahr, in dem er seine Traumatherapie machte und in einer Klinik betreut wurde, nicht gerade oft einen Besuch abgestattet. Anfangs ließ ich mich wöchentlich einmal bei ihm blicken, doch mit der Zeit kam ich immer seltener, bis ich ihn schließlich gar nicht mehr besuchte. 

Meine Ausrede war dabei immer eine einzige gewesen: "Ich kann dich diese Woche leider nicht besuchen, weil ich was für die Uni tun muss. Du weißt ja, wie sehr mich der ganze Stress mitnimmt". Genau so hatte ich es ihm per Telefon mitgeteilt, bis ich gar nicht mehr anrief.

Zuerst quälte mich das schlechte Gewissen und verfolgte mich beinahe bis in den Schlaf, Schuldgefühle plagten mich, da ich ihn bewusst im Stich gelassen hatte, ihn im Unklaren gelassen habe, warum ich plötzlich nicht mehr zu ihm kam und ich weiß, dass es wahrscheinlich ein Fehler war.

Aber es war ein genauso großer Fehler mich überhaupt auf ihn einzulassen und jetzt, da ich endlich eine Chance gefunden hatte, ihn loszuwerden, fühlte ich mich so gut, wie schon lange nicht mehr.

Ich merkte, wie sehr mich das Ganze zuvor belastet hatte und war endlich froh, wenigstens ein Problem weniger mit mir herumtragen zu müssen. Und dieses Problem war er.

Er schränkte mich immer mehr ein, verbat mir so einiges, übernahm komplett die Kontrolle über mich und mein Leben. Und da ich ihn jetzt endlich los hatte, konnte ich endlich wieder meine eigenen Entscheidungen treffen - war endlich frei.

Doch diese Freiheit wollte er mir gerade eben in diesem Moment wieder nehmen, indem er ohne Ankündigung bei mir aufkreuzte, obwohl seine Therapie noch nicht einmal beendet war. Und das auch noch mit einer Waffe - seinem Lieblings Spielzeug. 

Ich wusste, dass er eine große Vorliebe für große, scharfe Messer hatte. Sie symbolisierten für ihn sowas wie Eleganz. Er war beinahe vernarrt in das glänzende Metall, was ich in keinster Weise nachvollziehen konnte.

Damit ich es verstehen konnte, versuchte er es mir zu erklären, doch das veranlasste mich nur noch mehr dazu, den Wusch endlich zu äußern, getrennte Wege zu gehen.

Damals sprach er mit solch einer Hingabe über sein Ein und Alles - was nicht ich war.

Sondern sein Messer.

So glänzend, graziös und so wunderschön - doch trotzdem so scharf und gefährlich. Ein einziger gezielter Schnitt würde reichen, um ein Leben zu beenden. Ein einziger Stich würde reichen, um rubinrotes Blut aus der hellen Haut quillen zu lassen. Eine einzige falsche Bewegung und alles wäre vorbei.

Ein lautes Rumpeln riss mich aus meinen Gedanken, in denen ich beinahe ertrank, ich nahm einen heftigen Schlag wahr, der aber nicht von der Tür aus kam, sondern aus der Richtung des Wohnzimmers. 

Meinem Mund entfloh ein erstickter Laut, den ich durch meinen Handrücken auf die Lippen gepresst abfangen konnte, sodass dieser nicht im ganzen Haus widerhallte. Der Schock gefror in meinen Adern, lähmte mich und verschnellerte meine Atmung.

𝐃𝐄𝐒𝐈𝐑𝐄 | kookmin ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt