Kapitel 1

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"Ist noch jemand übrig?", frägt uns unser Sportlehrer Herr Winter. Und so wie eigentlich in jeder Sportstunde antworte ich kleinlaut: "Ja ich, ich habe noch keinen Partner".
Ich verstehe wirklich nicht, warum er jedes Mal aufs Neue diese Frage stellen muss! Als würde ihm die Tatsache gefallen, dass dadurch alle mitbekommen, dass ich wieder alleine da stehe.
Was danach kommt ist jedoch noch tausend Mal schlimmer.
Ich muss  nämlich nun mit unserem Lehrer die Übungen machen.
Ich schaue ihn mit angewiderten Blick an. Wenn man ihn so beobachtet, verschwitzt in seinen viel zu kurzen Jeans die einem viel zu viel offenbaren, auf das man selber lieber verzichten würde, und seinen "etwas" engen Trikots, müsse man meinen er gehöre irgendeiner Sekte von Pedofilen an.
Keine Ahnung wie dieser Mann es geschafft hat Sportlehrer zu werden. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder war er tatsächlich mal sportlich. Ein weiterer Blickzu ihm lässt diesen kurzen Gedanken sofort verschwinden. Oder er hat seine Prüfer bestochen. Vieleicht sogar irgendeine Gehirnwäsche vollzogen! Okay okay das ist jetzt etwas übertrieben.
Wenn ich mit ihm die Übungen für die Klasse vormache schiebt er seine Fehler jedes Mal auf mich. Ich weiß Selbstlob stinkt, aber Sport ist so ungerfähr die einzige Eigenschaft auf die ich an mir wirklich stolz bin. Er gesteht sich jedoch nicht wirklich ein, dass er sogar unsportlicher als Otto ist. Otto isst zirka 50 Schokoriegel am Tag, und bewegt sich geradezu in Zeitlupe. Manchmal erinnert er mich an ein Faultier.
Jedenfalls scheint Herr Winter mehr als durchschnittlich von sich überzeugt zu sein. Wenn er zu Beginn der Stunde immer von seinen sportlichen Aktivitäten vom Wochenende prahlt und meint uns Tipps zu geben, unseren Körper so in Schwung zu halten, damit wir, ich zitiere "  später  mal so fitt wie er aussehen werden", muss ich mich echt zusammenreißen, nicht laut loszuprußten.
Ich bin überzeugt, dass er zu Hause keinen einzigen Spiegel besitzt. Das würde erklären warum er einen durchtrinierten Mann anstelle seines  Bierbauches sieht.

" Heute beginnt unsere neue Lektion", reißt mich Herr Winter aus meinen Gedanken.
" Akrobatik!".

Oh gott! Nein! Nein! Bitte das darf doch nicht wahr sein! Ich habe insgeheim immer gebeten, dass wir nie soweit, bis zu dieser Lektion, kommen werden.
" Terra? Kommst du bitte gerade mal zu mir?", mein Kopf raste. Ich suchte verzweifelt nach ausreden doch es viel mir einfach keine ein. Verdammt! Und da stand ich schon neben ihm.
Er sprach nun laut zu der Klasse: " Wir zeigen euch nun die erste Figur". Alle grinsen, ich sehe keinen einzigen mitleidvollen Blick.
Ich kann nur erahnen was in jeden Kopf dieser Personen vor sich geht. Sie beten zu Gott nicht an meiner Stelle zu sei und ffreuen sich nun auf Belustigung.

Dies war der Grund weswegen ich jeden Tag zu Unterrichtsschluss die Erste war, die die Klasse verließ. Nicht um möglichst schnell nach Hause zu kommen, nein da war es auch nicht viel besser, sondern um möglichst schnell diesen Ort zu verlassen. Auch an diesem Tag rannte ich als der Gong erklang sofort aus der Halle und zog mich schnell um. Ich rannte den Schulweg entlang direkt in den Wald. Weg von all den Schülern und Lehrern, denen ich so viel Leid verdankte. Ich ging ein paar Waldwege entlang immer tiefer in den Wald. Mit verbundenen Augen könnte ich diesen Weg finden. Endlich war ich da. An dem alten Baum. Es war mein Platz und dort fand ich Ruhe. Ich kletterte geschwind den Baum hoch. Höher und höher. Bishin zur Spitze. Und als ich oben war umhüllte mich dieses Gefühl wie immer wenn ich hier stand. Plötzlich konnte ich meine ganzen Sorgen und Ängste vergessen! Ich konnte mich von der Außenwelt abschirmen aber war gleichzeitig trotzdem ein Teil davon. Ich fühlte mich nicht mehr einsam. Ich konnte meine Gedanken ordnen und hatte alles unter Kontrolle! Eine Weile stand ich so dar dann wachte ich plötzlich aus meinen Tagesträumen auf. Ich schaute auf die Uhr und sah schockiert, dass schon eine Stunde vergangen war. Kaum stand ich wieder auf festem Boden fühlte ich mich schlagartig wieder unsicher und verletzbar. Ich rannte aus dem Wald sprang in die S-Bahn und fuhr nach Hause. Als ich ankam saßen schon alle am Tisch und aßen. Meine Großeltern, meine Oma, meine Eltern, mein kleiner und meine zwei älteren Zwillingsbrüder. Doch es war nicht so wie sonst. Denn ersten war meine Tante Isa da. Und die kam nun wirklich nicht oft. Seit sie sich im Urlaub auf Mallorca in einen Schwimmretter am Strand "verliebt" hat hängt sie dort nur noch rum und versucht ihr komplette Aufmerksamkeit auf ihn zu ziehen. Das merkwürdige an der Sache ist nur, dass sie bisher erst einmal miteinander geredet haben und dass war als sie ihn gefragt hatte wo die Toiletten seien. Sie wusste nicht einmal seinen Namen geschweige denn sein Alter.

Doch dass sie nun an unserem Tisch saß war nicht das einzig komische denn
das was ich sah, sah eher nach einer Feier als nach normal an einem Tisch sitzen und essen aus. Als ich das Zimmer betrat würdigte mir keiner einen Blick und es schien mir so dass nicht einmal jemand bemerkt hatte dass ich jetzt fast 2 Stunden zu spät war. Und plötzlich ging mir ein Licht auf, weswegen alle so guter Laune waren und mitten an einem stinknormalen Tag feierten. Und ich wusste dass ich demnächst wohl öfter den Baum besuchen müsste.

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