Elektroschocker, wie ich sie liebe! Die Wachen gehen reihenweise zu Boden. Sie würden bald wieder aufwachen, keine Sorge, aber dann bin ich längst über alle Berge. Ich will nur schnell einen Blick auf ihn werfen. Vielleicht ein paar Worte mit ihm wechseln. Das ist doch ein guter Grund, um in die Kerker einzubrechen, findest du nicht?
„Miss! Sie haben keine Aufenthaltsgenehmigung!“ Einer der Muskelkerle von der Kerkerwache stellt sich mir in den Weg.
„Das glaube ich schon,“ grinse ich frech. Der Kerl zuckt kurz und plumbst dann ohnmächtig zu Boden. Ich steige über ihn hinweg und betrete das Kerkergewölbe. Beeindruckt halte ich inne. Massive Steinwände aus einer mir unbekannten, graubraunen Gesteinsart mit gleichartigen hohen Decken und einem leicht unebenen Boden bilden die Grundlage. In regelmäßigen Abständen sind Zellen in die Mauern eingelassen. Weiter hinten gabelt sich der Gang in eine Kreuzung auf. Die einzelnen Zellen sind mit netzartigen Trennscheiben versehen und innen in streilem Weiß gehalten. Nur wenige besitzen eine einfache Einrichtung. In den Gängen ist das Licht golden und freundlich, während in den Zellen nur ein kalter, silberweißer Schein herrscht. Im Gegensatz zu den Gefängnissen auf der Erde wirkt es hier jedoch beinahe gemütlich, sähen die Insassen nicht so gewöhnungsbedürftig aus.
Mit einem Ruck reiße ich mich von dem Gedanken los. Ich darf keine Zeit verlieren. Also, wo könnte er sein? Ich schlendere den Hauptgang entlang und werfe in jede Zelle einen Blick. Die Gefangenen sehen mich misstrauisch oder wütend an, aber ihn habe ich bisher noch nicht entdeckt. Ich habe zwar keinen blassen Schimmer, wie er überhaupt aussieht, doch ich denke, dass ich ihn erkenne, wenn ich ihn sehe. Das dürfte bei den vielen myteriösen Gestalten nicht allzu schwer sein.
„Du bist keine Wache.“ Kalt. Ich fahre herum, vor mir die letzte Zelle vor der Kreuzung. Da ist er, seine Stimme wie Eis. Und er liegt richtig.
„Scheint fast so,“ antworte ich und lächele ihn an. Ich habe ihn gefunden.
„Wer bist du und was willst du hier?“ Skeptisch schießen seine Augenbrauen in die Höhe. Seine Augen sind zu weich für die Kälte in seiner Stimme.
„Namen, wer braucht die schon,“ weiche ich aus. Ich zucke mit den Schultern und unterziehe den Mann vor mir einer kurzen Musterung. Auf der Erde würde man ihn als britisch beschreiben, mit den hohen Wangenknochen. Außerdem hat er Hundeaugen. Gut, er sieht vielleicht etwas ungepflegt aus, seine schwarzen Haare sind durcheinandern und auch ein wenig zu lang. Aber dennoch: britisch.
Da fällt mir etwas ein, was ich vor einiger Zeit über ihn gelesen habe.
„Warum machst du dir nicht die Mühe, mich mit einem Trugbild zu täuschen? Hast du etwa keinen Besuch erwartet?“ Er runzelt kurz die Stirn, ehe sich seine Gesichtszüge wieder entspannen.
„Wer sagt dir, dass ich das nicht gerade tue?“ fragt er fast gelangweilt.
„Gut gekontert,“ gebe ich zu, dann deute ich eine auschweifende Bewegung mit meiner Hand an. „Aber das hier wäre wohl kaum deine erste Wahl.“
„Richtig. Du bist schlau.“ Er verschränkt die Arme hinter dem Rücken. „Was führt dich zu mir?“ Ich trete einen Schritt näher an die Scheibe, meine Nase berührt fast das Trennmaterial.
„Ich wollte dich sehen.“ Erneut zuckt seine Augenbraue nach oben. „Wollte sehen, ob du wirklich existierst. Oder ob ich mir den Chitauri Angriff nur eingebildet habe.“ Ich lächele, Loki tritt einen Schritt zurück.
„Wie du freilich erkennen kannst, existiere ich. Dann kannst du jetzt gehen.“ Er entlässt mich mit einem Kopfnicken. Ich werfe ihm über die Schulter noch einen Blick zu. Er hat recht, es wird Zeit.
„Pass auf die Wachen auf,“ formen seine Lippen. Leider zu spät. Auf der Treppe sammeln sie mich auf, entwenden mir den Elektroschocker und fixieren mir die Hände auf dem Rücken. Ich fauche und trete um mich, aber ich bin nicht in der Lage, mich zu befreien. Die Männer sind stark. Den ganzen Weg bis zum Thronsaal schleifen sie mich zappelnd hinter sich her.
Dort wartet schon der König der Asen auf seinem protzigen, goldenen Thron sitzend. Ich schenke ihm ein strahlendes Lächeln und fletsche gleich darauf die Zähne wie ein wildes Tier. Er nimmt das alles mit einer gleichgültigen Gelassenheit hin und sieht genießerisch zu, wie seine Wachen mich auf die Knie schubsen. Ich denke gar nicht daran, mich zu verneigen.
„Sie ist in die Kerker eingedrungen und hat meine Männer mit dieser Waffe betäubt,“ lässt einer der Männer verlauten. Ich nicke.
„Das ist korrekt,“ bestätige ich und fange mir einen deftigen Schlag auf den Hinterkopf ein. Odin mustert mich mit seinem kalten, gleichgültigen Blick.
„Eine Einbrecherin also.“ Mäßig interessiert beugt er sich auf seinem Thron vor. „Bringt sie dahin, wo sie hergekommen ist und belästigt mich nicht länger mit solchen Problemen von niederer Dringlichkeit.“ Die Wache, die mich festhält, gibt ein protestierendes Geräusch von sich, traut sich aber nicht, dem König zu widersprechen.
„Ihr seid zu gütig, Eure Majestät.“ Ich neige spöttisch den Kopf und lasse mich rückwärts in Richtung Kerker schleifen.
„Nicht so vorlaut, Göre!“ herrscht mich der Muskelprotz auf halber Strecke an und zerrt mich an den Haaren auf die Füße. Eher schlecht als recht stolpere ich hinter ihm die Treppen herunter und werde schließlich unsanft in eine Zelle geschubst.
„Vielen Dank für die Hilfe,“ rufe ich spitz und rutsche dann an der Wand herab. Ich erschrecke mich beinahe zu Tode, als plötzlich eine samtig weiche Stimme mit mir spricht.
„So zeitnah erwartete ich deine Rückkehr gewiss nicht.“
„Ach halt die Klappe!“
„Und dabei warnte ich dich noch vor den Wachen. Hättest du nur auf meinen Rat gehört.“ Lokis Stimme nimmt einen gespielt bedauernden Ton an. Ich werfe ihm einen wütenden Blick zu. Er trägt eine Rüstung aus Leder, seine Haare sind makellos nach hinten gekämmt.
„Du kannst mit den Spielchen aufhören,“ sage ich kalt, woraufhin er das Trugbild fallen lässt und aus meinem Sichtfeld verschwindet. Ich drehe den Kopf und sehe ihn mit einigem Abstand neben mir an der Wand sitzen. Die Haare sind wieder zerzaust und seine seltsame Kluft hat er auch wieder gegen einfache Sachen eingetauscht.
„So gefällst du mir besser,“ meine ich unüberlegt und knalle im nächsten Moment innerlich den Kopf gegen die Wand. Der Halbgott grinst selbstgefällig. „Schau nicht so blöd! So habe ich das nicht gemeint.“ Das schreckt ihn nicht ab.
„Sicher?“ Ich nicke schnell. Vermutlich etwas zu schnell, um überzeugend zu wirken.
„Wie auch immer. Da ich wahrscheinlich noch einige Zeit deine Gesellschaft ertragen muss, habe ich noch eine Frage.“ Er macht eine bedeutungsschwere Pause. „Wer bist du?“ Ich verdrehe die Augen und seufze.
„Das hatten wir doch schon.“
„Aber du gabst mir keine Antwort.“
„Schön,“ gebe ich mich geschlagen. „Ich bin ein Mensch, zumindest redet man mir das ein. Ich komme von der Erde und wurde in New York City geboren – das ist zufällig die Stadt, die du mit deiner Außerirdischen-Armee platt gemacht hast. Ich habe beim Angriff der Chitauri meine Eltern und mein Zuhause verloren, doch ich gebe dir keine Schuld daran. Mein Mentor hält mich seit meinem siebten Lebensjahr für unfähig und hat dies bis heute nicht abgelegt, obwohl ich mein Bestes gebe, ihm zu zeigen, dass ich etwas tauge. Ich habe in meinem Leben mehr gesehen, als jeder andere und die meisten Menschen machen einen weiten Bogen um mich, weil sie sich vor mir fürchten oder mich für verrückt halten. Ich habe keine Freunde, nur Feinde. Aber ich will kein Mitleid, von niemandem, auch wenn du sicher nicht der Typ für Mitleidsbekundungen bist. Du hast mich gefragt, wer ich bin und ich habe es dir gesagt. Keine weiteren Fragen und keine weiteren Antworten.“ Loki, der mir aufmerksam zugehört hat, öffnet den Mund, um etwas zu erwidern. Ich ziehe die Augenbrauen nach oben, als er nichts sagt.
„Eine Frage hätte ich noch,“ erwidert er nach einer Weile. Fragend lege ich den Kopf leicht schräg.
„Die wäre?“
„Hast du einen Namen?“ Ich nicke. „Und der wäre?“
„Such dir was aus.“ Verwirrt schaut er mich von der Seite an, gibt sich dann aber damit zufrieden.
Ich lehne den Kopf an die Wand und schließe die Augen. Ich habe seit einigen Tagen nicht länger als zwei Stunden pro Nacht geschlafen und mein Tag war nervenaufreibend.
„Gute Nacht, Loki Laufeyson.“
„Gute Nacht, Mädchen.“
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Loki ff = Monster
FanfictionEs ist nur ein Besuch in den Kerkern Asgards. Eine Fremde auf der Suche nach dem Einen, der sie versteht. Aber der Beginn von so viel mehr.