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"Samu ich ruf dich zurück, muss mal etwas essen", sagte ich und wusste genau, dass es wenig Sinn ergab. Eben gerade hatte ich mich noch geweigert und tat jetzt so, als hätte keiner der beiden gesagt ich solle etwas essen. Natürlich wusste ich, dass Samu jetzt erst recht irritiert war und mich darauf ansprechen würde, doch dem würde ich schon irgendwie entfliehen können. "Ähm..klar..guten Appetit mein Schatz", sagte er verwirrt und schon legte ich auf. "Was ist dein Problem Liv? War das pure Absicht? Man das ist Vergangenheit! Lass es einfach sein und vor allem lass mich meine eigenen Entscheidungen treffen klar? Wenn ich Samu etwas davon erzählen möchte, dann tue ich das! Aber solange ich es ihm nicht sagen will, dass ich eine fucking Essstörumg habe, dann tue ich das auch nicht! Kapier das bitte". Liv rollte die Lippen ein und schaute mit einem Blick nach unten auf mein Handy. "Ich denke das hast du gerade getan..", murmelte sie. Schnell schaute ich auf das Handy in meiner Hand und sah, dass das Telefonat noch nicht abgebrochen war, sondern Samu mich immernoch hören konnte. Scheinbar hatte ich den Button zum auflegen nicht richtig getroffen. Ich schluckte schwer und blieb still. Keiner von uns sagte etwas, bis Samu schließlich einfach auflegte. Tatsächlich war ich ihm sehr dankbar dafür, er ließ mir die Zeit. Oder jedenfalls hoffte ich das. "Toll gemacht Liv...", murmelte ich. "Dafür konnte ich jetzt echt nichts...du hast nicht aufgelegt...". Ihre Stimme war jetzt ruhiger und ich wusste, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte. "Fuck!", fluchte ich. "Willst....willst du was haben?", fragte sie unsicher und schob mir zögerlich den Tisch mit dem Essen hin. "Ja gib schon her..". Ich hatte wirklich Hunger und hatte versucht ihn zu unterdrücken. Doch ich durfte da nicht wieder reinrutschen. Es war schon schwer genug da damals wieder rauszukommen. Essstörungen sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wie oft bekommt man zu hören, dass man doch einfach mal etwas essen soll und dann passt das schon. Doch so einfach ist das nicht. Die Menschen vergessen immer, dass auch das eine Krankheit ist und die nicht weg ist, indem man etwas gegessen hat. Danach wird es erst so richtig schlimm, wenn man sich dann schlecht fühlt. Nach jedem Essen sich zu fühlen, als würde man direkt 50 Kilo mehr wiegen und jedes Gramm an sich zu sehen ist eine Qual. Wieso ich dort reingerutscht bin, wusste ich nie und werde es wohl auch nie erfahren. Ich war nie der sportlichste oder muskolöseste gewesen. Eigentlich hatte ich viel mehr immer zu den schmalen Typen gehört. Nach einer Magendarmgrippe vor einigen Jahren fing es dann schließlich an. Liv hatte nur zusehen können, wie das Leben aus meinem Körper wich. Ich ging vom einen auf den anderen Tag nur noch Nachts raus, um joggen zu gehen und jeden Gramm von dem Tag wieder herunter zu laufen. Niemand anders bekam mich zu Gesicht, ich verschloss mich vor einfach allem und jedem. Liv hatte keine Chance mich aufzufangen. Wie oft hatte ich sie schon verletzt und sie musste schon oft um mich bangen, ob ich überhaupt am nächsten Tag wieder aufwachen würde. Doch ich hatte immer gekämpft, um Liv's Willen. Was aber noch viel schlimmer war, als diese Magersucht, war das ich all meine Freunde verloren habe. Alle bis auf Liv, sie blieb immer und in jeder Lebenssituation bei mir. Ich habe mich auf Grund und Boden geschämt für mein Aussehen, an mir war rein garnichts mehr dran. Überall standen die Knochen hervor, ich sah wirklich tot aus. Nichts an mir wirkte noch lebendig. Dass ich damit meinem Körper der Art geschadet habe, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Mein Herz war nicht ohne Grund schwach. Ich hatte es wortwörtlich kaputt gemacht. Wenn ich ganz ehrlich war, dann habe ich mich selbst dafür so sehr gehasst. Ich fand es nicht einmal schön so dünn zu sein. Viel mehr hat es mir Angst gemacht, ich habe mich selbst nicht mehr erkannt. Und trotz allem kam ich dort nicht mehr raus. Zu tief hatte mich diese Magersucht schon involviert. Alles an mir war nicht mehr ganz, ich hatte alles ruiniert und wollte tatsächlich nicht mehr leben. So dumm und unverständlich das auch klingen mag, ich habe dieses Hungergefühl geliebt. Wenn der Magen komplett leer ist und anfängt zu grummeln, dieses Gefühl habe ich geliebt und das war etwas, worüber nur ich die Kontrolle hatte. In diesem Momenten habe ich mich so unheimlich gut gefühlt. Keiner konnte mir dann etwas wegnehmen, so wie Lenny mir damals genommen wurde. Nichts konnte mir diese Kontrolle nehmen, rein garnichts. Eines Tages aber kam Liv weinend in mein Zimmer, knallte mir jede Menge Essen aufs bett mit einem Tablet und sagte "Wenn du jetzt nicht SOFORT dein scheiß Leben in den griff bekommst und anfängst wieder zu essen, ich schwöre dir Riku ich bring dich in eine Klinik! Und wenn ich dich an den Haaren dort hinschleifen muss, ich tue das! Viel mehr ist ja eh nicht mehr an dir dran!". Diese worte hatten gesessen. Zum einen tat mir Liv's Anblick in der Seele weh, so verzwifelt wie sie wirkte und zum anderen hatte ich richtig Schiss vor Ärzten, die einen dann nicht mehr aus der Klinik rauslassen, bis man ein bestimmtes Gewicht erreicht hat. In diesem Moment, nachdem Liv mein Zimmer mit krachender Tür und ohne auf eine Antwort zu warten mein Zimmer verlassen hat, hat es in meinem Kopf Klick gemacht. Plötzlich sah ich das Essen vor mir nicht mehr als pure Kalorien, sondern als schlichtweg unvermeidlich, wenn ich leben wollte. Und ab diesem Moment wollte ich wieder leben, ohne Lenny.

Teil 1: „Blackrose" Story🥀 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt