Kapitel 9: Gute Wendung

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Ben tippte. Löschte das gerade geschriebene wieder. Tippte das gleiche nochmal. Überwand sich. Schickte es ab. "Hey Max", hatte er geschrieben "Ganter ist krank, das heute wird nichts, holen wir dann aber so bald es geht nach. Hast du Lust, dass wir uns trotzdem treffen? Wenn du möchtest könntest du zu mir nach Hause kommen. Dann könnte ich dir schon mal den Song zeigen und wir können zusammen überlegen, welche Ideen wir haben". Max war online. Es dauerte keine zwei Minuten, bis er die Nachricht gelesen hatte. Er tippte. Ben saß gespannt vor seinem Handy, kam sich wahnsinnig albern vor. "Ja klar", hatte Max geschrieben "wo soll ich hinkommen?" "Kannst du mir deine Nummer geben? Dann schick ich dir den Standort", antwortete Ben. Nichts hätte dagegen gesprochen, einfach seine Adresse zu schreiben. Gar nichts. Aber er brauchte Max Nummer sowieso. Über WhatsApp konnten sie sowieso deutlich bessser kommunizieren, als über Instagram. Max Nummer erschien im Chat. Einige Minuten später hatte Max den Standort von Bens Adresse. "Wie spät soll ich da sein?", wollte er noch wissen. "Mir egal. Komm einfach gleich irgendwann vorbei", antwortete Ben. "Okay. Bin unterwegs", kam es von Max zurück. Ben grinste. Der Tag hatte eine ganz gute Wendung genommen.
Während Ben schon nicht mehr mitzählen konnte zum wievielten Mal er bereits die Strecke zwischen Couch und Wohnungstür zurückgelegt hatte, klingelte es endlich. Er musste sich zusammenreißen, um die letzten Schritte zur Tür nicht zu sprinten. Als er diese erreicht und geöffnet hatte gelang es ihm jedoch nicht ganz, sein breites Grinsen voll freudiger Erwartung zu verstecken. "Hey", sagte er dann "komm rein", um diesen einen Moment zu vermeiden, in dem niemand etwas zu sagen weiß und beide Gesprächspartner sich unangenehm anschweigen. Max erwiderte Bens zuckendes Lächeln, als er eintrat und die Tür hinter sich wieder zuschob. Erst jetzt fiel Ben auf, dass Max' Klamotten beim Auswringen wahrscheinlich eine ganze Badewanne füllen könnten, so nass waren sie. Vorsichtig schielte er zum Fenster. Tatsächlich regnete es draußen schon wieder wie aus Kübeln. Scheinbar war er vorhin mental so abwesend gewesen, dass er von diesem Umstand nichts mitbekommen hatte. Max stand immer noch tropfend auf Bens Fußmatte und ließ seinen Blick neugierig durch den Flur wandern. Jetzt war es doch passiert. Diese Stille hatte sich zwischen sie gelegt und es würde sicherlich deutlich unangenehmer sein, diese wieder zu durchbrechen, als wenn er direkt konzentriert gewesen wäre und einfach weitertgeredet hätte. Max grinste immer noch amüsiert vor sich hin und Ben überlegte einen Moment, ob da nicht auch ein Funken Provokation in seinem Ausdruck lag. "Ich würd mich ganz gern umziehen", sagte Max dann und deutete auf seine Tasche. Ben nickte nur, freudig darüber, dass Max ihm die Aufgabe des Durchbrechens der Stille abgenommen hatte, und bedeutete ihm den Weg zum Bad. Dann begab er sich in die Küche, kochte Kaffee und traf im Wohnzimmer wieder auf Max, der mittlerweile selbst eine kleine Erkundungstour durch seine Wohnung gestartet zu haben schien. "Magst du nen Kaffee?", fragte Ben und hielt ihm eine Tasse hin. Max lächelte bei dem Anblick noch mehr, nickte und ergriff eine der beiden Tassen. Als Ben sich auf die Couch fallen ließ, tat Max es ihm gleich. Einen kurzen Augeblick saßen sie wieder schweigend nebeneinander. "Ich mag deine Wohnung", meinte Max dann. Ben murmelte etwas, das ein "Danke" sein musste und hatte plötzlich Mühe den Blickkontakt mit Max zu halten. Ihm war wieder in den Sinn gekommen, warum sie hier saßen und das machte ihm auf eine skurile Art und Weise Angst. Plötzlich schien sich sein Verstand so weit verselbstständigt zu haben, dass er sich gar nicht mehr so sicher war, ob seine ganze Idee wirklich gut war. Immerhin konnte es passieren, dass Max den Song für total beschissen hielt. Dass er sich selbst nicht damit identifizieren konnte. Dass er das alles hier irgendwie albern fand. Noch skuriler kam es ihm vor, als plötzlich die Worte "darf ich dir schon mal den Song zeigen?" aus seinem Mund klangen und keine Zeit mehr für Zweifel ließen. Max war mindestens einverstanden, denn er nickte Ben zu und lächelte dabei ein so außergewöhliches Lächeln, dass Ben Mühe hatte, nicht doch wieder in sein Gesicht zu starren. Sowieso traf es das ganz gut. Außergewöhlich. Max war wirklich außergewöhlich. Außergewöhnlich selbstbewusst, außergewöhnlich individuell, außergewöhlich schön. Und all das machte ihn außergewöhlich spannend und anziehend. Ben fühlte sich, als hätte er in seinem Kopf aus Versehen vertauscht, an welchem Karrierepunkt er und an welchem Max stand, denn sein Verhalten hätte er eher einer Situation zugeordnet, in der einer der größten Weltstars in seiner Wohnung sitzt. Das ist aber nicht der Fall. Zusätzlich ist er objektiv gesehen derjenige von beiden, der deutlich näher am "Weltstar sein" dran ist. Denn mit ihm in seiner Wohnung sitzt nur ein junger Mann. Jünger als er selbst, objektiv weniger erfolgreich, weniger bekannt. Aber dafür mit einer wirklich außergewöhlichen Ausstrahlung.
Während er so in seine Gedanken vertieft war, hatte er kaum mitbekommen, wie er aufgestanden war und den Laptop und eine Box geholt hatte, um Max den Song vorzuspielen, dem er seine Stimme leihen wird, wenn alles gut läuft. Er suchte nach der Aufnahme, fand sie und drückte fast die Play-Taste. Fast, denn kurz bevor er drücken konnte beschleunigte sich sein Herzschlag auf die mindestens dreifache Anzahl von Schlägen pro Minute. Einen kurzen Moment dauerte es, bis Ben sich wieder gefangen und die Kraft gefunden hatte, endlich auf Play zu drücken.

Ich sang die ganze Zeit nur von dir - Casper/Drangsal Ff Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt