Kei POV
„Vielen Dank", winkte ich und das Taxi fuhr davon.
Wir standen vor dem mehrstöckigen Haus, in dem ich wohnte.
„Kannst du Treppen laufen?", fragt ich, und der Blonde, der im Taxi angefangen hatte, wie verrückt zu zittern, nickte knapp. Er hatte die Arme um sich geschlungen und zitterte wie Espenlaub.
Halb zog, halb schleifte ich ihn die Treppen nach oben. Es dauerte eine Weile, da ich ganz oben lebte. Als wir endlich die Treppen hinter uns gelassen hatten, schloss ich die Tür auf und da kippte er um. Ohne Vorwarnung, fiel er einfach nach hinten um. Wie eine Puppe, die man umgestoßen hatte. Ich schaffte es gerade noch, die Arme auszustrecken und ihn aufzufangen. Er war so leicht. Wie eine Feder. Ich nahm ihn auf meine Arme, wie als wäre er eine Braut und ich der Ehemann, und betrat meine Wohnung, stieß die Haustür mit dem Fuß zu. Kurz stand ich da, starrte auf den Boden, unter mir sammelte sich sofort eine Pfütze. Es tropfte von uns beiden herab. Und nun? Was sollte ich machen?„Hey", sagte ich, setzte ihn vorsichtig ab und lehnte ihn gegen die Tür.
Keine Reaktion. Sollte ich vielleicht die Polizei rufen? Den Krankenwagen? Was, wenn er irgendwie gefährlich war? Wieso zum Teufel war ich so dumm und nahm einen Fremden mit zu mir? Was war nur los mit mir? Doch meine Gedanken drehten sich im Kreis. Die Antwort darauf wusste ich, und deshalb sollte ich einfach aufhören, mir unnötige Gedanken zu machen, die sich sowieso nur die ganze Zeit wiederholten.
Zögernd ging ich einen Schritt zur Seite. Er kippte nicht um, weswegen ich schnell ins Bad flitzte und Handtücher holte. Ich wickelte mich schnell in eines ein, und wollte ihn gerade in ein rotes, großes Handtuch einwickeln, da öffnete er plötzlich die Augen.
„Oh", machte ich nur.
Er erhob sich langsam, dann knickten seine Beine unter ihm weg. Ich fing ihn auf und er sah zu mir hoch. Er war klein. Wirklich klein. Bestimmt 10 Zentimeter kleiner als ich, und ich war nicht gerade der Größte. Wie alt war er nur?
„Ich heiße Kei", sagte ich und hielt ihm das Handtuch hin.
„Aki", flüsterte er und ich machte große Augen. Endlich hatte er geredet!
Vorsichtig ließ ich ihn los. Er nahm das Handtuch zittrig entgegen.
„V-Vielleicht solltest du dich ausziehen, ehm... Ich kann dir Kleidung von mir geben", sagte ich und kratzte mich verlegen am Hinterkopf. Er fand es doch bestimmt auch total seltsam, dass ein Fremder ihn einfach zu sich nach Hause mitnahm? Hatte er keine Angst, dass ich böse Absichten hatte oder so etwas?
Er nickte und zog sich den Pullover, den er trug, über den Kopf. Es machte ein Geräusch, als würde man einen nassen Lappen auf den Boden klatschen, als er den Pullover fallen ließ. Als er da so halb nackt vor mir stand, und ich seinen dünnen Oberkörper sah, fragte ich: „Hast du Hunger?"
Er zog seine Hose aus und ich sah zur Seite, hielt ihm immer noch das Handtuch hin.
Ich spürte, wie er es nahm und ich sah wieder zu ihm. Er hatte sich darin eingewickelt und wankte etwas.
„Setz dich... Ich mach schnell etwas", sagte ich und lief den kleinen Gang entlang, geradeaus, ins Wohnzimmer. Er folgte mir, ich sah, dass er ziemlich unsicher beim Laufen war.
Auf das braune Sofa zeigend, sagte ich: „Setz dich da einfach hin"
Er lief zu dem Sofa und setzte sich, schloss die Augen und zitterte immer noch.
Ich lief in meine kleine Küche und setzte heißes Wasser auf, sah in den Kühlschrank.
„Ach, verdammt. Ich muss einkaufen gehen", murmelte ich und zog einen Beutel aus dem Gefrierfach.
>>Nudeln mit Hühnchen<<
Da ich nur Fertigessen besaß, zuckte ich mit den Schultern, zog eine Pfanne aus dem Wandschrank und schüttete den Inhalt des Beutels in die Pfanne, stellte sie auf den Herd.
Der Wasserkocher klickte und ich nahm zwei Tassen und sah in meinen Schrank. Der einzige Tee, den ich hatte, war Früchtetee. Besser als nichts, das mochte doch fast jeder, oder?
Ich goss das heiße Wasser in die Tassen und lief in das kleine Wohnzimmer.
„Hier...", murmelte ich und stellte die Tassen auf den kleinen Glastisch, der vor dem Sofa stand.
„Danke", flüsterte Aki zurück und ich lächelte. Dann sah ich hinunter und bemerkte, dass ich immer noch meine nassen Sachen trug, und eine riesige Sauerei auf dem Boden hinterließ. Da brachte mein Handtuch auch nichts mehr.
„Oh... Ich hol schnell... Was zum Anziehen... Wollte dir ja auch etwas geben", sagte ich und flitzte in mein Zimmer, ließ mein Handtuch zu Boden fallen und zog mich aus. Wieso hatte ich das jetzt eben vergessen? Ich war irgendwie ziemlich nervös...
Ich öffnete den Schrank, kickte die nassen Klamotten in eine Ecke, in der Schmutzwäsche lag, und zog wahllos etwas aus dem Schrank. Ob ihm meine Sachen passen würden? Niemals. Ich war viel breiter und größer als er. Aber besser als nichts. Ich schlüpfte in eine Jogginghose und einen schwarzen Pullover und lief dann wieder in das Wohnzimmer.
„Hier", sagte ich und legte die Kleidung neben ihm ab.
Er hatte beide Hände um die Teetasse gelegt, nippte daran, sah auf, als ich die Kleidung neben ihm ablegte.
Langsam stellte er die Tasse wieder ab, erhob sich und ließ das Handtuch fallen. Ich wollte zur Seite sehen, doch ich konnte nicht. Ich starrte seinen nackten Körper an, mein Blick war aber eher auf seine Beine gerichtet. Sie waren übersät mit Narben, und auch frischen Wunden, die bestimmt nicht älter als ein paar Tage waren. Kleine, dünne, feine, weiße Narben, aber auch große, rote, wulstige. Ich wusste, was das für Narben waren, und mir wurde schlecht. Das hatte Shin auch gemacht. Selbstverletzung.
Dass ich so starrte, schien ihm überhaupt nichts auszumachen. Er schlüpfte in die Hose, die ich neben ihn gelegt hatte und in den blauen Pullover.
Wie ich es mir gedacht hatte, es passte ihm kein bisschen. Alles war viel zu groß.
Als er die Hose anzog, sah ich wieder zur Seite, dann fiel mir ein, dass ich ja etwas auf dem Herd stehen hatte!
Schnell rannte ich in die Küche und rührte den Inhalt in der Pfanne um. Nudeln klebten am Pfannenboden und es stank nach Verbranntem.
„Gott, ich bin sogar zu blöd, um Fertigessen zu machen", murmelte ich und schaltete den Herd aus.
Ich nahm zwei Teller aus dem Schrank, füllte sie, und lief wieder in das Wohnzimmer.
„Sorry, ich hab nichts anderes", sagte ich und stellte die Teller auf den Tisch.
Aki sah zu mir. „Wieso machst du das?", fragte er und seine Stimme klang nun fester, war nicht mehr nur ein Flüstern.
Der Klang seiner Stimme ließ mich lächeln. Er klang überhaupt nicht wie Shin, worüber ich wirklich froh war. Mehr Ähnlichkeit zwischen ihnen hätte ich wirklich nicht mehr ertragen.
Shin hatte eine raue Stimme. Der Junge neben mir hatte eine recht hohe Stimme, aber sie war irgendwie so leer... Emotionslos. Fast wie ein Roboter.
„Was meinst du?", fragte ich und steckte mir eine Gabel Nudeln in den Mund.
„Mir helfen. Du kennst mich gar nicht, und nimmst mich mit zu dir nach Hause...", murmelte er und rührte zögernd die Nudeln um.
„Oh. Du... siehst einem alten Freund von mir sehr ähnlich. Deswegen...", murmelte ich und kaute.
„Achso"
Kurz war es ruhig, wir aßen, und irgendwie war es eine verdammt seltsame, fast schon peinliche Atmosphäre.
„Ich kann dir Geld geben", sagte Aki plötzlich.
„W-Was? Nein, das musst du nicht"
„Was willst du dann?"
„D-Du musst mir nichts geben... Aber, sag mal, wieso saßt du da einfach so rum?"
„Ich bin von Zuhause weggelaufen. Und ich wusste nicht, wohin. Da hab ich mich einfach irgendwo hingesetzt"
„Oh. Und wie lange saßt du da schon?"
„Weiß ich nicht"
Damit war unsere kurze Unterhaltung wieder beendet. Die Nudeln lagen mir plötzlich extrem schwer im Magen. Er war von zuhause weggelaufen? Warum das denn?
„Wie alt bist du?", fragte ich und sah ihn fragend an. Ich schätzte ihn recht jung ein... Vielleicht... Höchstens 14?
„16", sagte er und ich hob überrascht die Augenbrauen. Ich dachte wirklich, er wäre jünger.
„Und du?", fragte er dann.
„19"
„Und du wohnst alleine?"
„Ja"
„Das ist schön. Das will ich auch"
Wieder war es still. Ich hatte meinen Teller leer gegessen und schob ihn von mir. Aki starrte stumm auf den Teller, wickelte die Nudeln um seine Gabel.
„Gehst du noch zur Schule?", fragte ich.
„Ja. Und du?"
„Ich auch. Obwohl ich mich wirklich frage, wozu überhaupt", seufzte ich und erhob mich.
„Es tut mir Leid", sagte Aki plötzlich und ließ seine Gabel sinken.
„H-Hä? Was tut dir Leid?"
„Dass ich hier... Dass ich dir so viel Arbeit mache..."
„Ach, kein Problem, wirklich. Ich hab dich ja angesprochen..."
Aki sagte nichts mehr, sah jedoch auf und sah mich mit einem traurigen Blick an. Das erste Mal, dass sein Blick nicht komplett leer und emotionslos war.
„Ich geh wieder nach Hause..."
„Du kannst ruhig bis morgen hier schlafen", erwiderte ich und könnte mich selber dafür schlagen. Ich kannte ihn nicht mal. Ich ließ einfach einen wildfremden Menschen bei mir schlafen? Nur weil er aussah wie Shin? War ich von allen guten Geistern verlassen?!
„Wirklich?"
Ich sah ihn überrascht an. Ich hätte nicht wirklich gedacht, dass er das wollen würde.
„Na klar", sagte ich dann.
„Du bist wirklich sehr nett... Wie heißt denn dein Freund, der aussieht wie ich?"
Das Blut gefror in meinen Adern.
„Vielleicht kenne ich ihn?", fragte Aki und schob den leeren Teller von sich.
„Nein", sagte ich in einem festen, groben Ton und der Blonde wandte den Blick ab.
„Verstehe", sagte er nur.Ja, das Kapitel ist ziemlich lang, tut mir Leid deswegen ^^'' Aber da dies sowieso nur eine 'kurze' Geschichte sein wird, dachte ich, es macht mehr Sinn, lange und dafür wenigere Kapitel zu machen. Ich hoffe, das stört euch nicht so.
Danke!
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Tell me everything about you
RandomJeder Mensch auf der Welt hat eine Last zu tragen. Manche mehr, manche weniger. Doch wem konnte man schon von seiner grausamen Vergangenheit, von der Last, die man zu tragen hatte, erzählen? Nur ein Mal, ein einziges Mal, wollte man sich jemanden a...